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Die Welt, in der wir leben, wird wieder zunehmend vom Faustrecht, vom Recht des Stärkeren, von der Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, beherrscht. Der lange in Europa blühende Nachkriegs-Glaube an eine sich ausbreitende globale Weltordnung unter der Herrschaft des Rechts, des Friedens und der Kooperation wird immer mehr zertreten. Von der amerikanischen Illusion (die in Europa stets auf gewisse Skepsis gestoßen ist) einer globalen Ausbreitung der Demokratie gar nicht zu reden.
Das ist besorgniserregend. Besonders für kleine Länder wie Österreich, für deren Sicherheit die allgemeine Akzeptanz des internationalen Rechts die wichtigste Grundlage ist. Fast sehnt man sich zurück in die Zeiten der Ost-West-Spannungen, als ein zwar hochgerüstetes, aber relativ ausbalanciertes Gleichgewicht für eine gewisse Stabilität gesorgt hat. Aber eben nur fast, denn dieser Kalte Krieg war ja mit großen Atomkriegsrisiken, einigen Stellvertreterkriegen und furchtbaren humanitären Katastrophen für die Menschen verbunden, die zwischen Preßburg und Wladiwostok unter der sowjetischen Diktatur leiden mussten.
Die aggressive chinesische Reaktion auf ein Urteil des obersten Völkerrechtsgerichtshofs ist die jüngste Bestätigung für diese Sorge einer globalen Destabilisierung. China denkt nicht daran, das Urteil zu beachten, das über die Hoheitsrechte im Meer zwischen China, Vietnam, Malaysia und den Philippinen entschieden hat. Das Völkerrecht wird von den Chinesen einfach mit einem verächtlichen Fingerschnippen vom Tisch gefegt.
China erhebt weiterhin massive territoriale Ansprüche auf Felsen weitab seiner Küste, die knapp vor dem Territorium anderer südostasiatischer Länder liegen, und verbindet damit das Verlangen nach einer territorialen Herrschaft über riesige Meeresgebiete. Jeder Blick auf eine Karte zeigt zwar die Absurdität der chinesischen Forderung. Aber für China existiert nur die Logik der in diesen Gebieten vermuteten Bodenschätze. China zeigt die gleichen imperialistisch-nationalistischen Attitüden, welche das Verhalten der europäischen Kolonialmächte bis zu den Weltkriegen geprägt haben.
China hat von Anfang an gegen das völkerrechtliche Schiedsverfahren polemisiert, da es um die rechtliche Aussichtlosigkeit seiner Position wusste. Es scheint jetzt sogar zu einem Krieg bereit. Worauf mehrere Faktoren schließen lassen:
Die südostasiatischen Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft des gelben Riesen sind nun tief verängstigt. Sie versuchen alle unter die Rockschöße Amerikas zu fliehen. Sogar Vietnam tut das, das noch in den 70er Jahren einen langen und blutigen Krieg mit Amerika gefochten hat.
Ob freilich die USA diese Länder wirklich gegen das chinesische Vormachtdrängen schützen werden, ist durchaus fraglich. Wollen sie es angesichts eines wachsenden inneramerikanischen Isolationismus überhaupt? Können sie es? Sind sie ernsthaft bereit, Krieg zur Verteidigung der Souveränität fremder Staaten in Hinblick auf Territorialgewässer und ein paar Felseninseln zu führen? Haben die Vereinigten Staaten dort genug eigene Interessen, dass die Regierung den amerikanischen Bürgern ein Eingreifen als legitim vermitteln kann?
Man sollte nicht vergessen, dass es noch keine ganze Generation vorbei ist, da die USA trotz gewaltigen Blutzolls Südvietnam nicht gegen den Angriff Nordvietnams (das damals eng mit China verbündet war!) retten konnten.
Mittelfristig dürfte sogar eher eine andere Macht wieder ins Spiel kommen, die einst in diesem Raum noch imperialistischer agiert hatte, als es heute die Chinesen tun. Das ist Japan, dessen Regierung dabei ist, alle Restriktionen, die dem Land von den Amerikanern nach dem Weltkrieg auferlegt worden waren, abzustreifen und eine größere internationale Rolle zu spielen – wenn auch vorerst noch ohne irgendein Zeichen einer Rückkehr zu eigenem Imperialismus. Japan ändert sich heute durchaus mit Zustimmung der USA, die sogar verlangen, dass Japan mehr Verantwortung übernimmt. Freilich: Die Amerikaner sind den Vietnamesen, den Philippinen und den anderen Staaten der Region als Schutzmacht ungefähr zehnmal lieber als die Japaner.
Das Verhalten Chinas deckt sich mit der Entwicklung, dass in den letzten Jahren auch anderswo wieder imperialistische Aggression Mode geworden ist. Insbesondere in Russland. Dieses hat sich in Georgien große Gebiete durch einen Krieg unter seine Kontrolle gebracht; ähnlich, nur unblutig in Transnistrien (einen Teil Moldawiens); indirekt hat Moskau auch Armeniens – blutige – Eroberung von Berg Karabach ermöglicht. Durch diese fast völlig unwidersprochen bleibenden Eroberungen ermutigt, hat sich Russland nun auch die Krim militärisch einverleibt und Teile der Ostukraine okkupiert.
Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, all die Beispiele aufzuzählen, wo noch viele andere Länder Eroberungen von Gebieten oder Einflusssphären versucht haben. Marokko in der Westsahara, die Türkei im Nordirak, Israel in der Westbank sind da nur die Europa am nächsten gelegenen Exempel.
Die Souveränität eines Staatsgebiets scheint heute wieder so disponibel wie vor hundert Jahren. Immer mehr Länder glauben heute, es wieder notwendig zu haben wie in den Jahren des Kolonialismus, sich auszudehnen, fremde Gebiete unter Kontrolle zu bringen.
Das hat viele Ursachen. Die wichtigsten davon:
Wir brauchen zwar keine neue Friedensbewegung wie in den 70er Jahren – die damals viel Unsinn von sich gegeben hat –, wir bräuchten aber wieder viel mehr globales Bewusstsein von der Wichtigkeit des Friedens und seiner zentralen Grundlagen. Erst in zweiter Linie darf es dann um alles andere gehen, um nationale Interessen, um (ohnedies sehr strittige) CO2-Theorien, um den Schutz des Regenwaldes.
Wir bräuchten wieder das Bewusstsein, dass erstens Krieg das Schlimmste ist, was Politik auslösen kann. Und dass zweitens glasklare – wenige, aber unzweideutige und von der ganzen Völkergemeinschaft als wichtig angesehene – Rechtsregeln die beste, wenn nicht die einzige Methode sind, dauerhaft die Kriegsgefahr zu reduzieren.
Es bedarf hingegen nicht unbedingt ständig neuer internationaler Konventionen und Regeln. Es gibt nur zwei Fälle, wo Krieg moralisch legitimiert geführt werden darf:
Keiner dieser Gründe ist etwa in Libyen gegeben gewesen, wo Frankreich und Großbritannien militärisch interveniert haben. Auch wenn dahinter sicher keine territorialen Eroberungsabsichten der beiden Länder gestanden sind, so waren und sind leichtfertige Interventionen dennoch eine besonders dumme Attacke auf den Frieden in der Welt. Friede braucht immer eine geistige Ordnung in den Köpfen, die bei allen Akteuren gewisse fundamentale Gemeinsamkeiten aufweist.
Auch wenn die Motivationen der Westmächte in Libyen sicher moralisch höherwertig waren als der chinesische Imperialismus im Seerechtskonflikt, so ist doch in Libyen durch die Verletzung des Völkerrechts ein blutiges Geschwür aufgebrochen, unter dem wir noch lange leiden werden. Und das Zündeln im Südchinesischen Meer könnte halb Asien in Brand stecken.