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Der Irakkrieg und was wir daraus lernen

Wieder einmal sind es die Briten mit ihrem großen Sinn für Fairness, die die umfassendste und gründlichste Untersuchung des Irak-Krieges 2003 und der Rolle der westlichen Interventionsstaaten dabei zustande gebracht haben. Die Untersuchungskommission hat zwar sieben Jahre gebraucht, aber das nunmehr vorliegende Ergebnis scheint umso glaubwürdiger, seriöser und objektiver zu sein.

Denn es beurteilt die moralische und politische Verantwortung für diesen Krieg nicht aus der besserwisserischen Attitüde des Nachhineins, die heute alle Biertische in Europa und Amerika beherrscht, sondern auf Grund der damals vorliegenden Entscheidungsgrundlagen. Dabei ist eine Bilanz von historischem Gewicht zustandegekommen.

Den Regierungen der Westmächte wird zu Recht zweierlei vorgehalten:

  • Sie waren „völlig unzureichend“ auf das Nachher vorbereitet; sie waren zwar zum Kriegsführen imstande, aber sie hatten keinerlei Vorstellung, was nach dem Krieg im Irak eigentlich passieren soll.
  • Sie haben die politische Entscheidung zur militärischen Intervention gefällt, bevor „alle friedlichen Optionen für eine Entwaffnung“ des Iraks versucht worden sind.

Daher sollte in großen Lettern in jedem Regierungszimmer zumindest jener Länder, die zum Kriegführen überhaupt imstande sind, die zentralen Lehren affichiert werden:

Krieg darf wirklich nur die allerallerletzte Option sein, die Ultima ratio, vor der alle anderen Möglichkeiten bis zur letzten Sekunde ausgeschöpft sein müssen.

Und:

Wer in einen Krieg geht, sollte schon vor Beginn genaue Vorstellungen über das Nachher haben, über die Möglichkeiten einer guten Zukunft, eines friedlichen Miteinanders, sollte er den Krieg gewinnen. Und für den Fall einer Niederlage braucht er zwar nicht Pläne für das Nachher zu haben, aber er sollte (was zwar nicht in dem Bericht steht, was aber noch viel wichtiger wäre) umso skrupulöser überlegt haben, ob das Kriegsziel das damit verbundene Leid wert sein kann.

Diese fehlenden Vorstellungen über das Nachher sind jedenfalls auch Ursache – freilich eine von mehreren – der katastrophalen Entwicklung, die der Irak und Syrien seit dem Krieg gegangen sind. Heute müssen wohl auch die Interventionsmächte zugeben, wie falsch es war, die gesamte vorhandene Verwaltung und Armee hinauszuschmeißen, statt sie – nur eben ohne Saddam Hussein – weiter zu verwenden.

Denn viele gefeuerte und arbeitslos gewordene Saddam-Offiziere haben sich daraufhin dem mörderischen „Islamischen Staat“ angeschlossen. Erst durch sie haben die radikalen Islamisten erst zu ihrem Fanatismus auch richtiges militärisches Knowhow bekommen. Die neuen Machthaber in Bagdad auf der anderen Seite hingegen waren bis heute nicht imstande, eine Administration wenigstens von der Qualität der Saddam-Hussein-Zeit aufzubauen.

Die Tabula-Rasa-Methode hat zwar nach 1945 im total zerstörten Deutschland und Österreich funktionieren können, wo man auf hervorragend qualifizierte Vornazi-Eliten wie einen Adenauer aufbauen konnte. Im Irak konnte diese Methode jedoch nicht funktionieren. Dazu kommen die schweren religiösen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die schlechte Wirtschaftsstruktur, die schädlichen Interessen zweier großer Nachbarstaaten, der Hass auf den Westen, die Unterentwicklung.

Genauso von historischem Wert ist aber auch, wofür der Bericht keine Bestätigung gefunden hat. Nämlich für die Existenz einer zynischen Lüge als Grund für den Beginn des Krieges. Auch wenn fast alle Stammtische und antiwestlichen Ideologen davon überzeugt sind, hat es die anscheinend nicht gegeben. Wohl wissen wir heute, dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen hatte. Aber damals konnte man das nicht wissen. Damals mussten die westlichen Regierungen – auch unabhängig von einem fehlervollen CIA-Report – das ernsthaft befürchten.

Drei Gründe sprechen dafür, dass die Angst vor einem Irak mit Massenvernichtungswaffen keine zynisch und aus lauter Kriegslust absichtlich in die Welt gesetzte Lüge gewesen ist:

  1. Saddam Hussein hat Jahre vor der Intervention chemische Waffen nicht nur gehabt, sondern sie eindeutig auch gegen innerirakische Gegner eingesetzt. Was natürlich ein ganz starkes Indiz ist, dass er auch 2003 solche Waffen noch hatte.
  2. Der irakische Machthaber hat sich auch bis zuletzt stets geweigert, die verlangten Inspektionen der Atomenergiebehörde zuzulassen. So ein Verhalten deutet normalerweise nicht daraufhin, dass man nichts zu verbergen hat.
  3. Hätte der CIA wirklich bewusst gelogen, wie viele in Europa heute annehmen, dann wäre es ihm ja auch ein Leichtes gewesen, nachher die Beweise für eine verbotene Bewaffnung Saddam Husseins zu konstruieren. Diese Methode ist ja Geheimdiensten nicht ganz fremd: Belastendes zuerst selbst verstecken und dann ganz überrascht finden.

Das Ende der Interventionen

Eines ist aber jedenfalls für die künftige Weltgeschichte klar: Nach dem Irak-Fiasko wird es wohl nie wieder in irgendeinem Land Interventionen geben, um dieses an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu hindern. Auch die Libyen-Intervention der Briten und Franzosen wird sich wohl nicht mehr so leicht wiederholen (die nicht mit Sorgen über Massenvernichtungswaffen, sondern mit humanitären Argumenten begründet war). Es wird maximal Wirtschaftssanktionen geben. Die im Fall Iran offenbar Erfolg hatten, im Fall Nordkoreas aber völlig gescheitert sind.

Zugleich erwägen heute mehr Länder denn je den heimlichen Erwerb von Atomwaffen. Sie lernen etwa auch aus dem Beispiel Ukraine: Diese wäre mit Sicherheit auf der Krim und im Osten nicht von kleinen grünen Männchen (die ihre Hoheitszeichen von den Uniformen entfernt hatten) überfallen worden, könnte sie noch wie in den 90er Jahren ein atomares Arsenal aus einstigen sowjetischen Beständen kommandieren. Die Ukraine hat diese vielmehr zurückgegeben – und seither gelernt, wie wertlos in einer vom Recht des Stärkeren beherrschten Welt Verträge sind.

Das alles heißt aber auch: Das atomare Risiko in der Welt ist heute nicht geringer geworden. Nur redet seltsamerweise niemand mehr davon. Während in den Jahren der Ost-West-Konfrontation die Atomkriegsgefahr noch als die zentrale Bedrohung angesehen worden ist, vor dem sich alle gefürchtet haben, über das alle geschrieben haben, das Hunderttausende „Friedensaktivisten“ auf die Straße gebracht hat.

 

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