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Zwei spanische Lehren für ganz Europa

Spanien ist für mich eines der liebenswertesten Länder Europas, in dem ich mich vor allem in jüngster Zeit immer sicherer und wohler gefühlt habe als an vielen Wiener Brennpunkten. Spanien steht aber politisch heute am Rand der Unregierbarkeit. Das wird auch für den Rest Europas gefährlich, auch wenn es dort im Brexit-Schock noch nicht so richtig begriffen wird. Das hat zwei klare Ursachen, die auch der Rest Europas erkennen und die richtigen Lehren daraus ziehen sollte.

Die eine Ursache ist das ungelöste Katalonien- und Basken-Problem. Zwei Völker im Nordosten werden vom kastilisch-andalusischen Spanien in imperialistisch-nationalistischer Zwangshaft gehalten und an der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gehindert. Das hat nicht nur zum jahrelangen baskischen Terrorismus geführt. Das ist auch eine Hauptursache der Blockade im spanischen Parlament.

Der nun schon zweite spanische Wahlgang im Abstand weniger Monate führt zum gleichen Ergebnis: Beide Male haben weder die zwei linken noch die zwei rechten Parteien eine Mehrheit errungen. Aber sie schaffen es auch nicht, irgendwie zusammenzukommen. Denn jedes Mal verhindern es die Mandate der autonomistischen/sezessionistischen Parteien aus dem Nordosten, dass einer der beiden Seiten die Mehrheit erringt.

Das ist eine der vielen dummen Folgen des Beharrens der spanischen Mehrheit auf der staatlichen Einheit um jeden Preis. Diese argumentiert mit der Verfassung. Als ob der Buchstabe von Gesetzen und der Mythos historischer Staatsgrenzen wichtiger wäre als der Wille der Bürger und das Funktionieren von Gesellschaften.

Ganz ähnlich dringend sollte auch die EU – will sie überleben – lernen, das Recht an diese beiden obersten Prioritäten auszurichten. Und nicht an zentralistische Gestaltungswut und Machtgier der Elite.

Selbstbestimmung wirkt fast immer positiv

Einige Beispiele zeigen, dass Spanien wohl ewig Probleme haben wird, wenn es nicht das friedliche und rechtlich geordnete Selbstbestimmungsrecht akzeptiert, dass dessen Anwendung fast immer klug ist – oder gewesen wäre:

  • Es ist in den letzten 70 Jahren in der ganzen Dritten Welt umgesetzt worden und hat viele blutige Befreiungskriege beendet (auch wenn es – siehe etwa Zimbabwe – nicht alle Staaten geschafft haben, dass es ihnen heute besser geht als zuvor).
  • Es hätte in der Dritten Welt noch viel besser funktioniert, wären die einst bei Diplomatenkonferenzen in Europa machtpolitisch gezogenen Kolonialgrenzen nicht für sakrosankt erklärt worden.
  • Es hat im Falle der einstigen Tschechoslowakei hervorragend und völlig reibungslos funktioniert; und es hat Tschechen und Slowaken nach der Trennung zu ganz engen Freunden gemacht.
  • Es hätte im Fall Jugoslawien bei rechtzeitiger, freiwilliger und geordneter Anwendung viele blutige Bürgerkriege erspart.
  • Es ist im Falle der Sowjetunion zwar durch einen historischen Zufall teilweise umgesetzt worden und findet heute in den 14 dabei neu entstandenen Staaten auch große Zustimmung. Es wird nur vom heute imperialistisch-militaristisch denkenden Russland leider nicht akzeptiert und hat von Georgien bis zur Ukraine und Moldawien zu blutigen militärischen Aggressionen durch Russland geführt.
  • Es hätte auch der Ukraine etwa in Hinblick auf die Krim viel erspart.
  • Es hätte auch Österreich und Europa zwei furchtbare Weltkriege und zwei furchtbare Totalitarismen erspart (sowie den Südtirolern ein Jahrhundert der Fremdherrschaft und Millionen Deutschen die Vertreibung nach 1945), hätte man es schon vor 1914 auch regional angewendet.

Aber immer haben nationaler Stolz und Hybris – oder individuelle Machtgier der Herrschenden die Selbstbestimmung verhindert. Dabei weiß heute nicht nur jeder Österreicher, dass man letztlich viel besser dasteht, wenn man die Regionen und Länder nicht mit Gewalt hält, die gehen wollen. Heute geht es ja vielfach den kleinen Staaten besser als den großen (wenn man die relativen Erfolgsgeschichten USA und Deutschland einmal ausklammert).

Der Stolz des Mariano Rajoy

Individueller Stolz ist aber auch die zweite Ursache der spanischen Malaise. Und das ist im Konkreten der Stolz von Mariano Rajoy, dem Ministerpräsidenten und Chef der konservativen Partido Popular. Er ist zwar zweimaliger Wahlsieger – aber nur relativer, nicht mehr absoluter wie früher. Und manches deutet darauf hin, dass unter seiner Person eine Regierungsbildung nicht gelingen kann, aber sehr wohl mit und unter seiner Partei. Trotz der Problematik der baskischen  und katalonischen Abgeordneten (die eben wegen ihres kastilisch-andalusischen Sezessionsstrebens quasi automatisch Opposition sind).

Da wäre es jetzt der richtige Zeitpunkt für Rajoy, im Interesse seines Landes abzutreten. Er könnte das mit erhobenem Haupt und dem Lorbeerkranz eines relativen Siegers, der seine Karriere für das Vaterland opfert. Statt stolz verbissen auf der persönlichen Machtausübung zu beharren.

Es gibt halt bisweilen Situationen, wo ein Politiker im Dienste seines Landes besser freiwillig abtritt. Wieder einige Beispiele:

  • Eines der vielen lobenswerten Exempel war der Verzicht Kurt Waldheims auf eine zweite Kandidatur, weil einfach der (wenn auch zutiefst verlogene und opportunistisch von der SPÖ ausgegangene) internationale Widerstand gegen ihn zu groß und letztlich unüberwindlich war (dass der Nachfolger in anderer Hinsicht problematisch wurde, ist wieder eine andere Geschichte).
  • Ein Gegenbeispiel ist hingegen Angela Merkel, die aus persönlichem Stolz nicht zugeben will, welch schweren Fehler sie in der Migrationspolitik verschuldet hat, der Europa in seine schwerste Krise gestürzt hat.
  • Ein weiteres Gegenbeispiel ist EU-Kommissionschef Juncker, der nach dem britischen Referendum nur die Wahlsieger emotional zu beschimpfen vermag, der sogar Gespräche mit den Briten verbietet und als „Geheimverhandlungen“ denunziert, der aber offenbar aus Stolz (oder Intelligenzmangel?) keinerlei eigenen Fehler zuzugeben bereit ist.
  • Und das krasseste Gegenbeispiel war Adolf Hitler, der auch dann noch einen Krieg weitergeführt und Millionen Menschen in Tod und Elend gestürzt hat, als die (für uns, aber nicht für ihn erfreuliche) Niederlage des Nationalsozialismus längst allen klar war, er aber selbst lieber Deutschland zerstört sehen wollte, als sein eigenes Scheitern einzugestehen.

 

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