Völkermorde erster und zweiter Klasse
03. Juni 2016 02:24
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 6:00
Kein Zweifel: Nach allen mir bekannten Quellen haben die Türken an den Armeniern im ersten Weltkrieg einen üblen Völkermord begangen. Trotzdem bekomme ich ein mehr als ungutes Gefühl, wenn der deutsche Bundestag das nun auch – fast einstimmig – in einer Resolution formell festgestellt hat. Und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen.
Allerdings: Zwei denkbare Motivationen für dieses Gefühl, an die manche Leser gleich denken könnten, stehen nicht dahinter:
- Sicher nicht habe ich Angst vor den hysterisch-nationalistischen Reaktionen des türkischen Machthabers Erdogan. Im Gegenteil: Selbst wenn die Armenien-Resolution jetzt – so überproportional diese Reaktion auch wäre – zu einem klaren und finalen Bruch mit Ankara, zu einem Ende der türkischen Beitrittsambitionen und der damit verbundenen Erpressungen führen sollte, wäre das eindeutig positiv. Sie wird freilich nicht, ist zu befürchten.
- Und auch ein zweiter Grund steht nicht hinter meinem Bauchweh: Das wäre ein klammheimlicher Wunsch, dass mit der gleichen Logik jetzt auch gleich der Holocaust und die anderen Nazi-Verbrechen aus der Liste der Genozide eliminiert werden könnten. Ich respektiere aus vollem Herzen den Wunsch eines der letzten KZ-Überlebenden (eines Sozialdemokraten), der mir am Ende eines langen Gesprächs gesagt hat: „Ich weiß auch selber, dass das ganze Verbotsgesetz eigentlich der von mir hoch respektierten Meinungsfreiheit widerspricht. Aber es wäre für mich ein unendlicher Schmerz, wenn ihr es ermöglicht, dass die all ihre Grauslichkeiten wieder sagen können. Darum lasst bitte die Finger davon, solange auch nur ein einziger von uns noch lebt.“
Ganz abgesehen davon löst ein Genozid, das auch auf österreichischem Boden stattgefunden hat, also der NS-Holocaust, einen anderen Verantwortungsmechanismus aus als eines, das ein paar tausend Kilometer entfernt weit hinten in der Türkei abgelaufen ist. Daran kann auch das Faktum nichts ändern, dass die Täter Kriegsverbündete der beiden deutschsprachigen Kaiserreiche gewesen sind; dass das nach Wien depeschierte Entsetzen der k. und k. Diplomaten samt dem nachfolgenden Untätigbleiben Österreichs wohl dokumentiert ist; dass sich der große österreichische Schriftsteller Franz Werfel gewaltige Verdienste um die Sache der Armenier erworben hat.
Dennoch überwiegen die Gründe massiv, warum die Entschließung des deutschen Bundestags – obwohl sie fast einstimmig gefallen ist – eigentlich böse und dumm ist:
- Denn zum ersten ist es eine Perversion, wenn ein politisches Gremium über hundert Jahre zurückliegende Fakten urteilt, die nur Geschichtswissenschaftler und eventuell Juristen beurteilen sollten. Diese sind zwar auch keine Hellseher, sie haben aber gelernt, mit solchen Vorgängen besser umzugehen.
- Der Bundestagsbeschluss ist eine massive Attacke auf das wichtigste Prinzip des liberalen Rechtsstaats, nämlich die Meinungsfreiheit. Es ist einfach eine widerliche Anmaßung, wenn Politiker den Bürgern vorzuschreiben versuchen, was diese für wahr und was sie für falsch zu halten haben.
- Der einzige Maßstab, ob liberale Meinungsfreiheit in einem Land herrscht, ist es ja, ob jemand auch die volle Freiheit hat, Unsinn und Falsches zu sagen.
- Besonder schlimm sind solche Parlamentsbeschlüsse, seit in den Unions-Ländern die Leugnung von Völkermorden auf Grund hanebüchener EU-Vereinbarungen mit strengen Strafen belegt wird. Werden aus Angst vor solchen Strafen historische Erkenntnisse nur noch im geheimen Untergrund kursieren?
- Wie argumentieren Politiker gegebenenfalls eine Abkehr von solchen sich wissenschaftlich ausgebenden Resolutionen, wenn sich ein paar Jahre später herausstellen sollte, dass die Forschung zu ganz neuen Sichtweisen gekommen ist als der 2016 als staatsoffiziell verbindlich dekretierten? Macht man da alle paar Jahre eine neue und anderslautende Resolution?
- Ich kenne keinen einzigen Grund, demzufolge man zwar das Massaker an den Armeniern zur Tatsache erklären müsste, wenn man andere wissenschaftlich hundertprozentig als falsch entlarvte Aussagen aber weiterhin ungestraft machen kann. Als Beispiel sei etwa die Astrologie genannt, der sogar der eigentlich per Gesetz zur Seriosität verpflichtete ORF in Radio wie Fernsehen absurd viel Sendezeit (und zweifellos auch viel Geld) widmet.
- Solche Resolutionen sind auch angesichts der Masse der im Lauf der letzten Jahrzehnte hereingesickerten Türken letztlich gar nicht mehr durchsetzbar. Was will Deutschland denn heute machen, wenn sich 50.000 Türken ins Stadion begeben sollten, um dort ihre Sichtweise zum armenischen Kriegsschauplatz zu beschwören? Alle einsperren?
- Die deutsche Resolution ist überdies auch ein schwerer Verstoß gegen das Prinzip der Gleichbehandlung. Oder soll es jetzt völkermördische Verbrechen erster und zweiter Klasse geben?
Warum wird nicht etwa an die fast gänzliche Ausrottung der Indianer in Nord- und Südamerika mit Trauergottesdiensten erinnert?
Warum herrscht Schweigen zum mörderischen Vorgehen der belgischen Kolonialmacht im Kongo?
Warum wird der millionenfachen Mord der (kommunistischen) Roten Khmer an allen Kambodschanern totschwiegen, die ein Mindestmaß an Bildung hatten?
Warum wird das sowjetischen Vorgehen gegen Krimtataren, deutsche und andere Minderheiten totgeschwiegen, die kollektiv in Sibirien verrotten mussten?
Warum herrscht Ruhe zum brutalen Abschlachten von Sikhs durch die Briten und später durch die Hindus im Amritsar?
- Warum zum brutalen Vorgehen der Chinesen gegen Tibetaner?
Es ist noch etwas nicht sehr schlau: Durch solche Maßnahmen wird den in Deutschland lebenden Türken der ohnedies viel zu langsam laufende, aber unumgängliche Prozess der Integration und Assimilation noch weiter erschwert. Statt sie zu Glaubenbekenntnissen über für die Gegenwart sekundäre historischen Fakten zu zwingen, die völlig konträr zu all dem sind, was deutsche (oder österreichische) Türken bisher gehört haben, wären andere Maßnahmen viel bedeutsamer. Wir sollten Türken – natürlich auch Araber, Afrikaner und Afghanen – zwingen, sich öffentlich und ausdrücklich zu ein paar absolut grundlegenden Dingen unserer Gesellschaft zu bekennen, die hundert Mal wichtiger sind als die Armenienfrage; zumindest wenn sie in Europa bleiben wollen:
- Dass die globale Religionsfreiheit unabdingbar auch das Recht einschließt, die Religion zu wechseln und - beispielsweise - nicht mehr Muslim zu sein.
- Dass jede Frau das absolut gleiche Recht wie ein Mann hat, einschließlich Ehescheidung, Erbrecht, Sexualleben und Berufswahl.
- Dass jeder auch nur indirekte Druck auf Frauen, ihren Kopf irgendwie zu verhüllen, strafbar ist.
- Dass Polygamie ebenso wie Sex mit Kindern ein Verbrechen ist.
- Dass auch Praktiken wie Homosexualität zwar religiös verboten sein können, aber in keiner Weise zu irdischen Sanktionen führen können.
- Dass jede private Gerichtsausübung (Scharia-Gerichte) streng zu bestrafen ist.
- Dass jede Aussage – etwa eines Religionslehrers – dass das muslimische Straf- und Zivilrecht irgendeine Relevanz hat, sofort zu lebenslangem Lehrverbot führt.
- Dass die globalen Menschenrechte ebenso wie Zivil- und Strafrecht in Österreich ohne eine Berücksichtigung der Scharia umgesetzt werden müssen. Obwohl die islamischen Staaten einst staatsrechtlich den Vorrang für die Scharia verbindlich verlangt haben.
- Verstöße gegen all diese Punkte werden auch strafrechtlich verfolgt.
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