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Der Fußballer und der Rassismus

Seit dem Wochenende ist Deutschland wieder in Erregung, und zwar höchste Stufe. Der AfD-Politiker Gauland hat gesagt, dass viele Deutsche den farbigen deutschen Nationalspieler Boateng zwar schätzen würden. „Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Mehr hat Deutschland nicht gebraucht: So etwas wenige Tage vor der Fußball-Euro! Dagegen geht alles andere unter. (Mit nachträglicher Ergänzung)

Etwa die Tatsache, dass gleichzeitig nun schon zum dritten Mal ein AfD-Politiker Opfer eines Anschlags geworden ist. Unbekannte Täter haben die Scheibe der Geschäftsräume von Andreas Wild in Berlin-Lichtenberg eingeschlagen und rote Farbe versprüht.

Solche Lappalien konkreter Kriminalität ignoriert die Medien-Landschaft elegant. Es war ja keine Asylantenadresse das Ziel, sondern nur die eines AfD-(Unter-)Menschen. Aber Beleidigungen eines Fußballspielers kann man doch wirklich nicht ignorieren. Da muss auch die Bundeskanzlerin gleich erregt ausrücken.

Beleidigung? Nun eigentlich findet sich in dieser Aussage weit und breit keine Beleidigung, sondern eine Sach-Behauptung, welche nur die Zeitung unter die Überschrift „Beleidigung“ gerückt hat. Sachaussagen können nun stimmen oder falsch sein. Aber das interessiert die wie auf Pfiff erregte politisch korrekte Szene keine Sekunde. Endlich, so glaubt man, hat man die AfD erwischt und des Rassismus überführt. Und das noch dazu gegenüber einem Fußballer des Nationalteams, also des Heiligtums der deutschen Nation, also auch vieler AfD-Wähler.

Daher wird jetzt ein paar Tage lang – wie schon bei etlichen anderen irgendwie verdrehbaren AfD-Aussagen – die Erregungsmaschine auf vollen Touren laufen. Bis auch der letzte Journalist und Literat seinen korrekten Senf dazu gegeben hat – und bis man dann schockiert entdeckt, dass die ganze Erregung der AfD nicht schadet, sondern nützt. Die Österreicher kennen diesen Mechanismus ja schon seit 30 Jahren, wo er immer wieder gegen die FPÖ angekurbelt worden ist. Und wo er ihr jedes Mal geholfen und sie mittlerweile zur größten Partei des Landes gemacht hat.

Nun habe ich keine Ahnung, ob die Aussage des AfD-Mannes Gauland in der Sache stimmt. Ich nehme an, eher nicht. Neben einem berühmten Fußballteamspieler zu wohnen, ist ja durchaus für viele interessant, unabhängig von dessen Hautfarbe. Außerdem ist zumindest mir nichts bekannt, dass sich Boateng so aufführen würde wie etwa bisweilen der Österreicher Arnautovic, ein Weißer europäischer Abstammung.

Aber dennoch hat Gaulands Feststellung einen mehr als harten Kern. Auch wenn die Menschen zwischen Deutschland, Österreich, Brasilien und den USA bei Meinungsumfragen fast alle Fragen so beantworten werden, dass sie sicher in die Kategorie „Kein böser Rassist“ gereiht werden, so spricht ihr tatsächliches Verhalten doch eine ganz andere Sprache. Kaum ziehen ein paar schwarze Familien in ein Viertel, so kann man an den Immobilienpreisen eine negative Reaktion ablesen.

In den USA gibt es ganze einst „weiße“ Stadtteile, die einige Jahrzehnte später fast nur noch von Afroamerikanern oder Hispanics bewohnt werden. Während die Weißen anderswohin gezogen sind. Aber kaum einer von ihnen würde öffentlich die wahren Motive des Wegzugs nennen. Auch in Wien streben die noblen Gutmensch-Bezirke und die weniger guten voller Zuwanderer und FPÖ-Wähler immer weiter auseinander. Wohnungspreise sind mancherorts mehr als das doppelt so hoch wie in schlechten Gegenden (Deswegen wollen ja auch die Rathausmänner ihren Wolkenkratzer neben das Konzerthaus und nicht in die migranten-affine Donaustadt platzieren; dort verdient man ja nichts damit). In Deutschland umschreibt man dieses Phänomen des sozialen und ethnischen Auseinanderstrebens ganzer Stadtteile neuerdings im Soziologendeutsch als Gentrifizierung. Genau das ist es, was auch Gauland beschrieben hat, halt nur verständlicher.

Aber ganz sicher wird die AfD deshalb keine einzige Stimme verlieren. Die Menschen spüren die gekünstelte Überreaktion. Sie spüren, dass da wieder einmal alle Relationen in der Reaktion auf eine Sachaussage und auf echte physische Attacken verzerrt sind.

Alle anderen Parteien und erst recht deren mediale Herolde wissen hingegen jetzt mit noch größerer (Selbst-)Sicherheit: Wir sind die Guten. Zumindest bis zur nächsten Wahl.

PS: Dass Gauland geglaubt hat, er spräche mit den Journalisten (von der sonst eher seriösen FAZ) in einem nicht direkt zitablen Hintergrundgespräch, ändert nicht viel an der Sache. Es zeigt ihn höchstens als politischen Amateur, wenn er sich auf so etwas verlassen hat. Und die Meinung der Öffentlichkeit über die meisten Journalisten kann ohnedies nicht mehr schlechter werden...

Nachträgliche Ergänzung: Im Gegensatz zur Aussage Gaulands sind übrigens sehr wohl etliche jener Aussagen, die in niederländischen sozialen Netzen derzeit gegen eine schwarze TV-Moderatorin erscheinen, die jetzt in die Politik wechselt, unakzeptabel. "Heulneger" und "Affe" sind nur widerliche Beschimpfungen - egal ob sie nun der Haufarbe der Frau oder einem anderen anderen, bis Österreich noch nicht bekannt gewordenen Aspekt gelten. Aber diese üblen Exzesse sind wohl - auch - Reaktion auf die Tatsache, dass in den Niederlanden der Tugendterrorismus der Gutmenschen besonders lange und besonders intensiv getobt hat. So eskalieren sich ständige Übertreibungen beider Seiten immer tiefer nach unten.

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