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Nach den Präsidentenwahlen geht’s los

Der schlimmste Anschlag auf das Stadtbild Wiens seit Jahrzehnten nimmt immer konkretere Formen an. Und man kann so gut wie sicher sein, dass er von der Rathausmacht nach den Präsidentenwahlen eiskalt und schnell durchgezogen wird. Die Gemeinde Wien dürfte sich dabei sogar über die drohende Aberkennung des Titels „Weltkulturerbe“ durch die Unesco hinwegsetzen. Denn – was Rathausbeamte schon offen zugeben – es ist rund um das Projekt schon zu viel Geld (in welcher Form immer) geflossen, als dass man bereit wäre, das riesigen Profit versprechende Hochhaus neben dem Konzerthaus noch zu stoppen.

Die für das Projekt hauptzuständige Stadträtin Vassilakou antwortet nicht einmal mehr den verzweifelt gegen den Bau kämpfenden Bürgerinitiativen. Das ist ziemlich frappant bei einer Partei, die einst aus vielen Bürgerinitiativen heraus entstanden ist. Heute aber sind die Grünen total zum Bestandteil des millionenschweren Rathaus-Räderwerks degeneriert. Außerdem hat die griechischstämmige Stadträtin wohl Null emotionale Bindung an die historische Schönheit Wiens. Ihr geistiger Horizont reicht nicht über Sitzbänke in Begegnungszonen hinaus.

„Ersatzquartier am Schwarzenbergplatz“

Unverfroren führt der Anschlag auf das kulturelle und ästhetische Erbe dieser Stadt auch gleich an zwei Stellen zu massiven Eingriffen auf öffentlichen Grund. Einerseits wird die Lothringerstraße in einer Breite von zehn Metern dem Projekt geopfert. Dadurch wird überdies das Konzerthaus nicht mehr in der Straßen-Fluchtlinie, sondern weit dahinter liegen. Andererseits entnimmt man schockiert einem Schreiben des Wiener Eislaufvereins, der ja mit ein Profiteur des ganzen Projekts sein wird, dass auch der Schwarzenbergplatz beeinträchtigt wird. Wörtlich: „So herrscht jetzt Klarheit über das Ersatzquartier, das sich am Schwarzenbergplatz befinden wird.“

Das Allerschlimmste ist aber das direkt neben dem Konzerthaus geplante Hochhaus. Dieses soll rund doppelt so hoch werden wie das jetzt schon in dieser Umgebung extrem hässliche Hotel Intercontinental. Aber auch dieses soll noch aufgestockt werden.

Selbstverständlich wird das Hochhaus überhaupt nichts zur Linderung der Wiener Wohnungsnot beitragen. Denn dort wird es mit Sicherheit bloß extrem teure Luxuswohnungen geben, die sich nur osteuropäische Oligarchen und chinesische Neomillionäre leisten können. Anders ließen sich all die „Zusatzkosten“ des Vorhabens gar nicht finanzieren. Besonders verräterisch war ja schon vor einiger Zeit ein Interview des „Investors“ Tojner im Wirtschaftsblatt: „Die Unesco wird sich aufregen, ja. Aber die Stadt Wien hat das Commitment gegeben, das umzusetzen.“

Also auf Deutsch: Die mit ihrem Weltkulturerbe können sich brausen. Ich habe die Gemeinde schon in der Tasche.

Nicht einmal die allernaivsten Wiener können glauben, dass sich Rot und Grün ohne saftige Gegenleistungen in die Tasche stecken haben lassen; dass sie einfach so die negativen und tourismusschädlichen Schlagzeilen in vielen internationalen Medien in Kauf nehmen; und dass sie auch gleich noch zweifach wertvollsten öffentlichen Grund dem Projekt überlassen.

Der absurde Ringturm-Vergleich

Besonders lächerlich ist ein Argument, das Tojner und seine Propagandisten-Garde ausstreuen: Es würde mit dem Turm ja nur ein „Bruder“ zum Ringturm am anderen Ende des ersten Bezirks gebaut.

Sie verschweigen dabei jedoch, dass der Ringturm und die ganze Donaukanalfront gar nicht zur Zone des Weltkulturerbes gehören! Zu Recht. Denn dieser Teil der Innenstadt ist ja in den letzten Kriegstagen schwer beschädigt und dann in den ersten Nachkriegsjahren ganz hässlich und schnell neugebaut worden. Das Stadtviertel rund ums Konzerthaus ist hingegen zentraler Teil des Weltkulturerbes. Ist es doch – bis auf das Hotel und den weiter nicht auffallenden Eislaufplatz – eine prachtvolle und einer Metropole würdige Mischung aus Jugendstil, Biedermeier und Ringstraßenbauten.

Es bestehen aber auch wenig Zweifel über die weiteren Folgen: Sobald das Hochhaus zu bauen begonnen wird, wird es überhaupt kein Halten mehr geben mit spekulations- und profitfetten Attacken auf die letzten Reste der Schönheit Wiens. Und das geschieht ausgerechnet durch zwei Parteien, die sonst den Mund nicht voll genug bekommen mit moralistischen Beschimpfungen eines angeblich über kulturelle Werte drüberfahrenden (Neo-)Liberalismus.

(Diese Photomonage zeigt den künftigen Blick vom Belvedere nach Bau des Hochhauses und Aufstockung des Hotels)

Dabei ist das Gegenteil wahr: Die Schönheit des Ringstraßen-Wiens ist gerade in der großen Epoche des Wiener Liberalismus entstanden. Dieser hat übrigens auch das Rathaus gebaut, in dem jetzt Häupl & Co Hof halten (wenn sie nicht gerade in Singapur dubiose Deals abschließen). Im Liberalismus haben sich auch die allerreichsten Bauherren ganz penibel an die Vorgaben der Stadtplanung halten müssen. Von den Bauhöhen über sämtliche Fluchtlinien bis zum streng verlangten ästhetischen Gesamteindruck eines einheitlichen Stils, von dessen Wirkung Wien heute noch lebt.

Liberalismus – ob alt, ob neo – bedeutet ja: Es gibt zwar mehr Freiheit und weniger Regeln. Aber dafür werden diese Regeln strikt eingehalten und gelten zum Unterschied vom real existierenden Sozialismus für alle.

PS: Auch die ÖVP und die Neos sind so auffallend schweigsam zu diesem Projekt, dass man sicher sein kann: Das ist kein Zufall. Ebenso ist die Kritik der FPÖ bisher so zurückhaltend, dass man ebenfalls weiß: Herzensanliegen ist auch für sie das kulturelle Erbe Wiens nicht. Und auch die unter ihrem Gründer Hans Dichand noch kulturell und in Sachen Stadtschönheit sehr engagiert gewesene Kronenzeitung ist merkwürdig desinteressiert. Die Schönheit kann halt keine Inserate zahlen und Parteien etwas spenden. Aber dennoch lebt gerade Wien von ihr.

PPS: Wenn Herr Tojner Hochhäuser bauen will, was ihm ja unbenommen sein soll: Warum tut er das dann nicht jenseits der Donau, wo es Grundstücke genug gibt, und wo kein Stadtbild zu gefährden ist?

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

 

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