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Die dramatischste Krise Europas des letzten Vierteljahrhunderts und die schwierigste für Österreich seit 60 Jahren nimmt täglich neue Wendungen. Aufatmen kann man – worüber man heutzutage schon aufatmet! –, weil jetzt klar sein dürfte, dass der Verteidigungsminister doch totalen Unsinn geredet hat. Gleich wieder den Atem besorgt anhalten muss man freilich, weil sich jetzt ausgerechnet Heinz Fischer eingeschaltet hat. Aber viel interessanter sind die sich nun durch die Balkan-Einigung öffnenden Perspektiven, die von Russland bis Libyen und Australien reichen.
Fischer ist jetzt wirklich der Unnötigste in einer ohnedies schwierigen Situation. Er steht ja nicht gerade auf der Seite der Bevölkerung dieses Landes, die in ihrer großen Mehrheit ein rasches und möglichst totales Ende der Völkerwanderung verlangt. Der sich seit ein paar Tagen erfreulicherweise auch die Regierung gebeugt hat. Offenbar will er die ohnedies unsichere und – siehe nicht nur Hans Peter Droskozil – oft sehr amateurhaft agierende Regierung wieder davon abbringen, dass sie nun, ohnedies ein Jahr zu spät, eine relativ starke Beschränkung dieser Völkerwanderung vornimmt.
Ob das Fischer gelingt, wird man wohl erst in den nächsten Tagen sehen. Denn natürlich gibt es nach einem Treffen der Regierungsspitze mit dem alten Linksaußen in der Hofburg kein klares Beschlussprotokoll, sondern nur das übliche nichtssagende Politikergewäsch.
So wie sich auch der Verteidigungsminister nicht in klaren Worten dafür entschuldigt hat, dass er in einer wichtigen Frage – nämlich ob das Tageslimit von 80 Asylanträgen nur für Spielfeld oder die ganze Südgrenze gilt – mit großem Selbstbewusstsein völligen Holler erzählt hat. Aber immerhin hat er – von Interview zu Interview deutlicher – klargemacht, dass dieses Limit doch für die ganze Grenze gelten soll.
Warum Politiker nicht begreifen, dass eine ehrliche Entschuldigung für einen Fehler viel sympathischer wäre, als einfach von einem Tag auf den anderen das glatte Gegenteil zu sagen, werde ich nie begreifen. Nur so würden sie ja wieder ein wenig von dem verspielten Vertrauen erwerben können. Aber vielleicht glauben sie ja in ihrer eitlen Rechthaberei, dass sie das Vertrauen der Menschen gar nicht brauchen. Oder dass die Menschen nicht akzeptieren würden, wenn auch Politiker Fehler machen (als ob die Menschen das nicht wüssten...).
Immerhin ein schöner Erfolg war die Wiener Balkankonferenz, auf der zweieinhalb heimische Minister einen wichtigen Konsens unter zehn Staaten organisiert haben. Der Konsens besteht vor allem darin, dass man in Mazedonien einen starken Schutzwall gegen eine Wiederholung der „Flüchtlings“-Lawine des vergangenen Jahres errichtet (was übrigens Ungarn schon seit langem empfohlen hat).
Gewiss wird es bei der Realisierung dieses Konsenses noch viele Probleme geben. Gewiss wundert man sich, dass nicht auch der Bundeskanzler bei der Konferenz vorbeigeschaut hat. Gewiss hätte eine Sicherung der mazedonischen Südgrenze schon vor einem Jahr oder einem halben geschehen können. Aber die Politik – vor allem wenn sie unter dem Druck vieler linker Medien steht – braucht eben in einer Demokratie ihre Zeit. Was ja in vielen anderen Fragen auch durchaus positiv ist.
Ganz jenseits der Völkerwanderungsfrage ist aber festzuhalten, dass ein solches Balkanformat auch ganz generell eine wichtige außenpolitische Positionierung für Österreich bedeutet. Der Balkan war – mit all seinen guten wie schlechten Seiten – seit vielen Jahrhunderten für Österreich prägend. Dessen scheint man sich nun wieder bewusst geworden zu sein (natürlich ganz ohne die einstige imperiale Dimension), nachdem seit dem Hypo-Crash der Balkan eine eher gemiedene Region gewesen ist.
Nur Wurmfortsatz einer sehr wirren deutschen Politik zu sein, war für Österreich jedenfalls (fast) noch nie günstig. Das Land stand sonst international in den letzten Jahren sehr allein da, in keine Gruppe eingebunden. Die Außenminister wechselten zu rasch, um da etwas aufzubauen. Und Werner Faymann hat kein Gespür für die Außenpolitik (siehe seine kurzfristigen Techtelmechtel mit Parteifreunden in Frankreich, Griechenland und Italien, aus denen nie etwas geworden ist, und mit anderen hat er es gar nicht versucht).
Genauso wichtig wie der Balkan wäre es übrigens, wenn sich Österreich auch viel näher mit den Visegrad-Staaten anfreunden würde (Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei). Diese sind nicht nur geographisch und historisch genauso relevant wie der Balkan für Österreich. Sie sind auch ökonomisch und politisch viel gewichtiger.
In deren Richtung gibt es freilich nicht einmal die leiseste Fingerbewegung aus Wien. Da hat vor allem Faymann mit seiner antiungarischen Hetze im Vorjahr viel Porzellan zerschlagen. Aber auch davor gab es keine erkennbaren Ansätze. Weder in Richtung der anderen Staaten noch durch andere österreichische Politiker. Jene heimischen Staatsmänner, die dort aktiv und brillant vernetzt waren – Mock, Busek, Schüssel – sind im Austragstüberl. Und niemand ist ihnen nachgefolgt.
Aber immerhin kann man schon froh sein, dass sich in der Wiener Regierung niemand der dummen antipolnischen Hetze angeschlossen hat, die in Berlin, Straßburg und Brüssel eine Zeitlang nach den polnischen Wahlen losgegangen ist. Eine visionäre österreichische Außenpolitik würde vielleicht gerade jetzt erkennen, dass Polen, ein großes EU-Land mit einer dynamischen Wirtschaft, gerade jetzt sehr dankbar für Freunde wäre. Die Illusion einer dominanten Achse Paris-Berin-Warschau hegt ja dort wohl niemand mehr.
Gleichzeitig zeigen auch die Visegrad-Staaten erfreuliches Interesse an einer Sperre der Balkanroute. So schickt Tschechien bis zu 300 Polizisten in den Pufferstaat Mazedonien. Österreich übrigens nur 20. Ein seltsames Missverhältnis. Oder täuschen mich meine Geographiekenntnisse, und Tschechien liegt Mazedonien in Wahrheit viel näher als Österreich?
Wenn wir schon beim heiteren Teil sind (ein bisschen Galgenhumor muss erlaubt sein): Da hat sich doch jetzt glatt auch der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn zu Wort gemeldet. Er hat dabei – wie halt in Brüssel üblich – nationale Alleingänge kritisiert und gesagt: „Wir brauchen eine europäische Antwort.“ Ja eh, kann man da nur sagen. Aber sie kommt eben nie; darauf zu warten wäre wirklich Warten auf Godot, wie Reinhold Mitterlehner einmal durchaus treffend formuliert hat. Aber besonders köstlich ist, wie Hahn im gleichen Atemzug die „europäische Antwort“ beschrieben hat: „Die Türkei muss jetzt liefern.“
Das ist also die „Antwort“ der EU. Warten auf die Türkei. Wirklich lieb – aber eigentlich total peinlich. Weiß Hahn nicht, dass die Türkei nicht in der EU ist? Ein fremdes Land soll uns retten? Außerdem ist es sogar wahrscheinlicher, dass Godot vielleicht doch noch kommt (auf den die Literaturwelt seit 67 Jahren wartet), als dass die Türkei Europa den Gefallen machen würde, den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Das hat sogar Staatschef Erdogan vor ein paar Tagen selber gesagt: Die Türkei kann das gar nicht (was ausnahmsweise auch nicht ganz gelogen war).
Außerdem ist die Türkei zur gleichen Zeit, da Hahn auf sie wartet und wartet, der bisher einzige Staat, der die jetzt von Amerika und Russland endlich vereinbarte Syrien-Waffenruhe zu sabotieren versucht. Während diese für alle Kampfparteien außer dem „Islamischen Staat“ und Al-Kaida gelten soll, will die Türkei hingegen auch die Kurden nicht von der Feuerpause erfasst sehen. Dabei sind die syrisch-irakischen Kurden der weitaus effizienteste Gegner des IS. Zynischer geht’s nimmer.
Und auf ein solches kriegshetzerisches Land setzen die EU-Kommission und Angela Merkel. Naiver geht’s nimmer. Was für ein Unsinn das ist, hat Faymann immerhin bald erkannt, der sich ja zu Jahresende eine Zeitlang vor den deutsch-türkischen Karren spannen hat lassen.
Ein wenig Mitleid könnte man hingegen fast mit dem großen Nichteingeladenen der Wiener Balkankonferenz haben, mit Griechenland. Denn natürlich ist es ein wichtiges Balkanland. Denn natürlich wird Griechenland große Probleme haben, wenn die Balkanroute wirklich zugeht. Denn natürlich kann Griechenland die Küsten von 3000 Inseln nicht abriegeln, wie es auf dem Festland zumindest halbwegs möglich ist.
Dieses Mitleid und Verständnis heißt freilich nicht, dass es richtig gewesen wäre, Griechenland nach Wien dazuzuladen. Denn dann hätte Athen mit Sicherheit wieder mit halben Versprechungen und einer Flut levantinischer Schmähs jede wirksame Maßnahme verhindert. Österreich und die Balkanländer sind ganz im Gegenteil zu beglückwünschen, dass sie sich nicht so wie Berlin in der Euro- und Schuldenkrise von Athen ständig papierln lassen.
Diese Taktik hat Athen ja auch in der Flüchtlingskrise schon von Anfang an verfolgt:
Dabei wäre Griechenland das wichtigste Land, um das wohl einzige funktionierende gesamteuropäische Mittel gegen die Massenwanderung zu realisieren: nämlich das australische Modell. Wozu aber bisher weder Athen bereit ist, noch gibt es die dafür notwendige Unterstützung durch die EU.
Was aber wird die nun wahrscheinlich gewordene Beschränkung der Balkanroute bedeuten? Die meisten Szenarien werden kumulativ oder alternativ eintreten:
Aber bis dahin ist noch ein langer Weg, während dessen uns noch ein paar Millionen mehr Afrikaner und Asiaten beglücken werden. Ehe Europa dann endlich seine gutmenschlich-naiven Illusionen aufgibt.