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Das ist Atomkrieg in SPÖ und Rathaus

Seit dem Wochenende kann es nicht mehr verheimlicht werden: In der Sozialdemokratie tobt ein Konflikt, der fast an einen Atomkrieg erinnert. Ausgerechnet in der „Wiener Zeitung“ wird auf vollen zwei Seiten ein Wiener Korruptionsskandal aufgerollt. Und exakt im Zentrum des kritischen Visiers stehen dabei zwei Namen, die bisher zu den völlig unantastbaren in der roten Welt gegolten haben: Sonja Wehsely und – Michael Häupl.

Es ist eher nicht anzunehmen, dass in der seit einigen Jahren wieder total auf Parteilinie gebrachten „Wiener Zeitung“ plötzlich kollektives Selbstmordfieber ausgebrochen ist, das einen solchen Frontalangriff („Verdacht auf Geldwäsche bei Immobiliendeal der Stadt“) auf den Inbegriff neostalinistischer Parteimacht an allen Kontrollen vorbei ins Blatt gebracht hätte. Wäre das so, würden sehr bald in der Redaktion etliche Damen und Herren auf Staatskosten spazieren gehen. Wahrscheinlich würde man damit nicht einmal die Präsidentenwahl abwarten (nach deren Ende ja sowieso alles mögliche Schlimme auf die Österreicher wartet). Die Wiener SPÖ hat ja noch nie das Geringste für neoliberale Irrwege wie Presse- und Meinungsfreiheit übrig gehabt.

Viel wahrscheinlicher ist die einzig andere denkbare Erklärung für diesen Artikel: In der Wiener SPÖ herrscht Atomkrieg. Denn Korruptionsaffären an sich gibt es ja in Wien weit mehr als in allen anderen Bundesländern zusammen. Aber immer waren bisher die diesbezüglichen Vorwürfe von außen gekommen, und die Partei hat immer geschlossen zu mauern und dementieren vermocht. Das ist mit Hilfe bestochener Boulevardzeitungen und der absoluten Gemeinderats-Mehrheit des rotgrünen Blocks immer gelungen. Und die Wiener Staatsanwaltschaft hat – höflich ausgedrückt – noch nie sonderliches Interesse für die Vorgänge im Rathaus gezeigt.

Aber nun die Frontalattacke aus dieser Zeitung. In dieser Redaktion ist ja vor sechs Jahren wieder das Weisungsrecht des Eigentümervertreters eingezogen – der auch der SPÖ-Bundesvorsitzende ist. Aus diesem Grund ist ja in den letzten Jahren in dem Blatt auch keine Zeile erschienen, die der SPÖ, vor allem jener in Wien, unangenehm sein könnte. Und jetzt wird ausgerechnet dort der jahrzehntelang auch bundesweit allmächtige Wiener Parteichef und Bürgermeister in engste Nähe zu einem Korruptions-, Geldwäsche- und Umwidmungsskandal gerückt.

Das klingt nach einem Ende der Ära Häupl. Die parteiinternen Kritiker des Bürgermeisters und seiner radikalfeministischen Frauengarde trauen sich in einer bisher ungeahnten Weise aus der Deckung. Denn auch wenn der Artikel düster auf Informationen diverser internationaler Nachrichtendienste verweist, so sind die wichtigsten Quellen zweifellos im Wiener Machtapparat zu finden. Und jedenfalls nicht bei der blau-schwarz-pinken Opposition, die ja offenbar erst durch den Zeitungstext auf die Affäre aufmerksam gemacht worden ist.

Dieser Artikel steht eindeutig vor dem Hintergrund des parteiinternen Bebens ob der von Häupl und Wehsely verlangten Willkommenspolitik gegenüber der Völkerwanderung, die bis Jahresende von Werner Faymann auch brav umgesetzt worden ist. Aber im Jänner ist es auf Bundesebene zum radikalen Umdenken gekommen. Das zeigte sich etwa bei einer Mail-Umfrage unter den Parteimitgliedern, die trotz der stümperhaften Durchführung eine massive Ohrfeige für die Gutmensch-„Haltung“ von Häupl&Co und ein donnerndes Ja zur Begrenzung der Zuwanderung gebracht hat.

Seit Jänner arbeitet ein neuer SPÖ-Verteidigungsminister Hand in Hand mit zwei schwarzen Ministern auf eine spürbare Begrenzung der Völkerwanderung hin. Zwar ist noch immer sehr fraglich, ob die Regierung nicht untaugliche und vor den wahren Notwendigkeiten weiter zurückscheuende Mittel einsetzt. Aber erstmals klingt wenigstens das kommunizierte Ziel klar und eindeutig. Und dieses Ziel ist das genaue Gegenteil dessen, wofür Häupl, Wehsely, Schieder und Faymann das ganze Jahr 2015 gestanden sind.

Überraschend ist an dieser Wende, dass ausgerechnet Faymann vor den anderen drei aus diesem SPÖ-Quartett die Notwendigkeit einer Änderung der Willkommenspolitik begriffen hat. Er hat noch immer beste Kontakte in die Wiener Funktionärsschicht. Häupl hingegen scheint von seinem einstigen Instinkt und Gspür für die Basis total verlassen. Er hat sich mit Haut und Haaren vom linken Ideologenflügel einspannen lassen.

Einzig Wohnbaustadtrat Ludwig hat sich nie der linksradikal-feministischen Antifa-Linie der übrigen Stadträte angeschlossen. Und Ludwig ist bei weitem nicht so isoliert, wie das scheint. Häupl hat übersehen, dass nicht nur in den Bundesländern, sondern auch in fast allen großen Wiener Bezirken ein Sturm der Kritik an der Willkommenspolitik losgebrochen ist. Er kann sich daher ein offenes Kräftemessen mit Ludwig – und dem unversehens auf dessen Seite gewechselten Faymann – nicht mehr leisten. Und Wehsely/Frauenberger/Oxonitsch/Brauner können das noch viel weniger.

Nur vor diesem Hintergrund ist der aktuelle Vordergrund, der in der „Wiener Zeitung“ enthüllte Korruptionsskandal rund um die Gebäude der Semmelweis-Klinik, zu verstehen. Dabei gibt es an sich Korruptions-Skandale in Wien in letzter Zeit mehr als genug. Die waren aber bisher noch nie ein Anlass für Beunruhigung oder gar Streit im SPÖ-Machtgefüge.

Man denke nur an die Verbauung der Steinhofgründe, die Verschandelung mehrerer schöner Heurigenvororte durch Immobilienspekulanten mit meist russischen Geldgebern, an die Zögernitz-Affäre oder gar an den geplanten Hochhausbau neben dem Konzerthaus. Das sind nur die aktuell am meisten herausragenden Beispiele eines vor allem im Bau-, Widmungs- und Baugenehmigungsbereiches ganz übel stinkenden Filzes. Dabei stößt man immer wieder nicht nur auf seltsame Machenschaften, sondern auch auf irreversible Verschandelungen der Schönheit Wiens.

Aber dennoch ist jetzt alles anders. Zu dem zuvor geschilderten SPÖ-internen Atomkrieg rund um die Völkerwanderung kommt in der Causa Semmelweis nämlich auch die anrüchige Tatsache, dass Häupl vor drei Jahren persönlich nach Singapur gefahren ist, um den Privatisierungsdeal Semmelweis abzuwickeln. Damit ist es ihm nicht mehr möglich, wie sonst immer alles auf Stadträte und Beamte abzuschieben, nach dem Motto: Ein Bürgermeister, der nicht allzuoft im Rathaus ist, kann sich ja nicht um alles kümmern.

Gleichzeitig ist Singapur heute als jene Stadt bekannt, in die sehr viele Menschen dicke Bankkonten transferiert haben, seit ihnen die Vertraulichkeit der Schweiz und Liechtensteins nicht mehr verlässlich genug erscheint. Das kann also kein unverdächtiger Platz sein, und schon gar nicht für einen Sozialdemokraten, der ja scheinbar bloß ein paar Gebäude in Wien-Gersthof verkauft.

Mindestens ebenso stinkt die Tatsache, dass die „Wiener-Zeitungs“-Redakteure bei ihren Recherchen ständig auf Teile des Wiener Machtapparates gestoßen sind, die Schuld und Verantwortung auf andere Teile abschieben wollen. Keine Spur mehr von geschlossenem Mauern.

Gewiss wirft das, was da die Zeitung in dem Beitrag zusammengetragen hat, noch viele unbeantwortete Fragen auf. Gewiss hat für alles, was man dort lesen kann, das Vokabel „mutmaßlich“ zu gelten. Aber der Erklärungsbedarf für das Rathaus ist jedenfalls gewaltig.

Bei den mit vielen Indizien wattierten Informationen des Blattes geht es um den massiven Verdacht der Geldwäsche russischer Oligarchen. Es geht um den Verdacht, dass die Öffentlichkeit wieder einmal raffiniert getäuscht werden sollte, indem die Privatisierung des Areals zuerst laut Rathauspropaganda einer Musikschule dienen sollte, diese Widmung aber nun schrittweise Richtung Wohnen umgewandelt wird. Es geht um die Tatsache, dass eine Umwidmung angesichts der Preise in bester Wiener Lage einen gigantischen Profit bringt. Es geht um die Frage, warum jemand geglaubt hat, dass sich ausgerechnet eine Musikschule eine der teuersten Wohngegenden Wiens in hochqualitativen Jugendstil-Gebäuden leisten kann. Es geht um dubiose Geschäftspartner, mit denen das Rathaus da gedealt hat.

Vor allem aber geht es um die Frage, warum sich für ein solches Projekt Häupl ungewöhnlicherweise selbst nach Singapur begeben hat. Und damit geht es last not least auch um jenen gravierenden Verdacht, der wohl im Kopf jedes Lesers dieses Artikels entsteht, der die Zustände in Wien kennt.

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