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Briten ade, Scheiden tut (Europa) weh

Die Briten entscheiden über das künftige Schicksal Europas. Das von Premier David Cameron angekündigte Referendum über einen EU-Austritt muss in den nächsten zwei Jahren stattfinden. Es wird wahrscheinlich sogar bereits 2016 sein. Schon in den nächsten Wochen wird sich daher entscheiden, ob jene Gruppen in Großbritannien, die für einen Verbleib in der EU sind, genügend konkrete Unterstützung von den anderen 27 Mitgliedern bekommen, um beim Referendum eventuell doch noch zu obsiegen. Danach sieht es freilich derzeit gar nicht aus - trotz der versöhnlich klingenden Töne beim jüngsten EU-Gipfel, die aber inhaltlich völlig substanzfrei waren. Womit aber nicht nur ein Austritt der Briten, sondern auch der Startschuss zum Zerfall der Union unausbleiblich wäre. Eine historische Katastrophe.

Das ist freilich nicht etwa deswegen eine Katastrophe, weil es dann wieder deutsch-französische Kriege geben würde, wie manche EU-Apologeten in maßloser Verzerrung behaupten. Diese Gefahr besteht überhaupt nicht mehr. Weise deutsche und französische Staatsmänner haben nämlich bereits nach 1945 dafür gesorgt, dass eine Wiederholung der Konflikte rund um die Rheingrenze auszuschließen ist. Es gibt da wie dort auch in der Bevölkerung keinerlei relevante Emotionen mehr gegeneinander. Kein Deutscher, kein Franzose will wegen irgendeiner Grenze noch Krieg führen. Das ist umso mehr zu rühmen, als der deutsch-französische Antagonismus davor fast 200 Jahre die stärkste Ursache von millionenfachem Morden in Europa gewesen ist; der Bogen zieht sich von den napoleonischen Kriegen über 1870/71 bis zu den beiden Weltkriegen.

Ein Zerfall der EU, der nach einem britischen Ausscheiden aus der Union in einer kaskadenartigen Folgeentwicklung unvermeidlich werden könnte, wäre jedoch aus ganz anderen Gründen desaströs: Denn er würde einen katastrophalen wirtschaftlichen und damit auch sozialen sowie gesellschaftlichen Schaden anrichten. Es wird viel zu oft übersehen, wie sehr die Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft und eines Binnenmarktes in allen Mitgliedsländern zu einer erheblichen Steigerung des Wohlstandes geführt hat.

Diese positive Wirkung konnte auch durch die vielen Fehlentwicklungen der EU in den letzten 20 Jahren nicht zunichte gemacht, sondern nur reduziert werden. Der Bogen dieser Fehler reicht von der ständig zunehmenden Überregulierung durch EU-Gesetze über den eiskalten Bruch vieler eigener EU-Normen, über den Totalkollaps des Außengrenzschutzes bis zur massiv selbstbeschädigenden Griechenland-„Rettung“ und dem Diktat, dass Osteuropa auch gegen seinen Willen Syrer aufnehmen müsse.

Besonnene Europäer sollten alles tun, um die vielen Fehler der letzten Jahre wieder rückgängig zu machen. Sie sollten alles tun, um einen Zerfall dieser EU zu vermeiden. Für beide Ziele wäre es zentral, jetzt den britischen Wünschen entgegenzukommen.

Die wesentlichsten Bedingungen der Briten:

  1. Sie wollen Garantien, dass sich Beschlüsse der Euro-Länder nicht auf die Nicht-Euro-Länder auswirken. Sie wollen verhindern, dass sie und andere Nicht-Euro-Länder für verfehlte Aktionen wie die Griechenland-„Rettung“ zahlen müssten.
  2. Sie wollen die Sozialleistungen für Immigranten aus anderen EU-Staaten – de facto vor allem aus den osteuropäischen – beschränken können, wenn diese in Großbritannien arbeiten.
  3. Sie wollen wieder mehr Rechte für nationale Parlamente.
  4. Sie wollen eine signifikante Deregulierung und einen europäischen Bürokratieabbau.
  5. Sie wollen eine Abkehr vom fast mythologischen Ziel, dass Europa immer enger zusammenrücken müsse.

Das sind allesamt Ziele, die nicht nur vernünftig sind, sondern die auch vielen Menschen auf dem Kontinent absolut sympathisch sind.

Dennoch will nur eine Minderheit europäischer Politiker den Briten entgegenkommen. Ich habe lediglich die Namen Tusk, Merkel, Schäuble und Kurz mit einigen verbalen Akzenten probritisch vermerkt. Wohl ist es möglich, dass in den nächsten Monaten irgendein Kompromisspapier produziert wird. Es hat aber kaum Chancen, auch von den britischen Wählern akzeptiert zu werden. Denn es dürfte weit weg von den offiziell verkündeten Forderungen Camerons liegen.

Die große Mehrheit der politischen Klasse in der EU spielt aber auf hart oder ignoriert die Urgenz des Themas. Aus ganz unterschiedlichen Motiven.

  • Vielen fehlt die politische Phantasie für die Folgen des durch einen britischen Austritts drohenden Dammbruchs.
  • Die osteuropäischen Regierungen wollen keine Beschränkung der Ansprüche ihrer auf den Inseln arbeitenden Bürger hinnehmen (auch wenn sie zunehmend erkennen, dass ein Wegfall der britischen Nettobeiträge zwangsläufig weniger Geld für sie selbst bedeutet).
  • Die Südeuropäer haben überhaupt am meisten von den vollen EU-Kassen profitiert und sind bei romantischer europäischer Integrations-Rhetorik immer führend dabei (weniger freilich bei der Umsetzung von EU-Recht, wo interessanterweise fast immer die Briten führend sind).
  • Die meisten Linksparteien wollen aus ideologischen Gründen, dass die überwiegend liberalkonservativen Briten die EU wieder verlassen. Dann erhoffen sie sich selbst eine EU-interne Mehrheit.
  • Viele Christdemokraten sind noch immer flammende Verfechter des Europa-Mythos (und übersehen, wie sehr in den letzten 20 Jahren das einst fast rein christdemokratische Projekt Europa beschädigt worden ist).
  • Die Franzosen sind nicht nur als Profiteure vieler EU-Regelungen gegen jede Konzession an Großbritannien. Sie sind auch von Anfang an dem britischen Beitritt emotional skeptisch gegenübergestanden. Denn dadurch gibt es neben Deutschen und Franzosen ein drittes großes Land in der EU. Das relativiert naturgemäß ihre eigene Bedeutung. Es genügt für Frankreich halt jetzt nicht mehr, den deutschen Nachbarn unter Druck zu setzen (und dabei notfalls die Nazi-Keule auszupacken), um sich in der EU durchzusetzen. Den Franzosen ist auch die demonstrativ-pathosfreie und kühl-rationale Art der Briten fremd und insgeheim suspekt. Außerdem ärgern sie sich, dass die englische Sprache heute in der EU wichtiger ist als die einst dominierende französische.

Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass in all diesen Lagern doch noch substanzielle Kompromissbereitschaft gegenüber London entsteht, bevor es zu spät ist. Es braucht jedoch einen Konsens aller EU-Länder, damit die britischen Wünsche Realität werden. Andererseits wird sich die britische Regierung wohl nicht mit ein paar Peanuts zufriedengeben.

Das alles verdunkelt die Perspektiven für einen proeuropäischen Ausgang des britischen Referendums.

Auch die Völkerwanderung schadet

Dazu kommt, dass auch in Großbritannien selber alle Umfragen eine wachsende Austrittsbereitschaft zeigen. Diese findet man dort längst nicht mehr nur bei traditionell europaskeptischen Teilen der britischen Rechten – also bei der Austrittspartei UKIP und einem Teil der Tories.

Auch beim Rest der Briten hat die riesige Völkerwanderung des heurigen Jahres die antieuropäische Stimmung massiv verstärkt. Dabei hat sich Großbritannien selbst bisher gegen diese „Flüchtlings“-Welle ziemlich effizient schützen können. Aber alle Briten lesen und sehen etwa die Berichte, wie am französischen Ende des Kanaltunnels – also des britischen Haupttores nach Europa – Tausende Afrikaner mit wachsender Gewaltbereitschaft darauf warten, sich irgendwie doch nach Großbritannien hineinschmuggeln zu können. Fast kein Brite hat Verständnis für die romantische „Willkommens“-Politik der deutschen Regierung und eines – wenn auch schrumpfenden – Teils der deutschen Bevölkerung.

Dazu kommt noch etwas, was auf dem Kontinent ebenfalls gerne übersehen wird: Auch die oppositionelle Labour-Partei hat erstmals seit langem einen EU-skeptischen Parteichef. Jeremy Corbyn ist in allem und jedem eine Wiederbelebung der alten Linken, die europaweit zum Teil bis in die 90er Jahre gegen das als liberal-bürgerliches Projekt empfundene EWG/EG/EU gewesen sind.

Wer realistisch ist, sollte sich daher auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Brexit, eines britischen EU-Austritts, vorbereiten. Aber er sollte vorher jedenfalls noch alles versuchen, um diesen zu vermeiden.

Umso absurder ist, dass jetzt ausgerechnet unter Führung Österreichs eine Gruppe von acht Ländern – vor allem solche mit Sozialisten in der Regierung – einen Alleingang in Sachen „Flüchtlinge“ versucht. Zusammen mit der türkischen(!) Regierung will man sich für die legale Masseneinwanderung von Syrern und eventuell auch anderen Nationen öffnen. Diese Länder geben sich der widersprüchlichen und vagen Hoffnung hin, durch einen solchen Alleingang eine Wiederholung der illegalen Immigration des Jahres 2015 nach Ende des Winters verhindern zu können. Das kann freilich so nicht funktionieren, sondern wird die Völkerwanderung nur noch mehr verstärken.

Und das wird in den Briten jedenfalls noch mehr die Überzeugung bestärken: Diese EU ist nicht mehr unser Klub.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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