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Syrien: Der wahre Grund zur Freude

Eine wirklich gute Nachricht zum Syrien-Krieg: Das ist nicht die von Medien und Politik groß gefeierte Wiener Syrien-Konferenz, sondern ein Faktum, das hierzulande kaum wo begriffen wird.

Die entscheidende Wiederbelebung der schon fast gestorbenen Hoffnung für Syrien resultiert aus der sich rapid verschlechternden Finanzlage Saudi-Arabiens. Das ist durch das Down-Rating der saudischen Kreditwürdigkeit manifest geworden.

Das lässt jubeln. Ist doch dieses Land einer der allerschlimmsten Drahtzieher im syrischen Drama. Saudi-Arabien ist lange Jahre im Geld geschwommen; es hat damit auch sonst viel Schlimmes in der Welt finanziert, wenn auch oft nur heimlich und indirekt – von islamistischen Moscheen quer durch Europa über Selbstmordattentäter bis eben zum „Islamischen Staat“.

Heute aber ist Saudi-Arabien durch den steilen Absturz des Ölpreises finanziell und damit auch  außenpolitisch weitgehend kastriert. Dazu kommen die Kosten des Kriegs im Jemen und gleichzeitig die Rückkehr des verhassten Rivalen Iran ins weltweite Business. Die Ratingagentur S&P hat die Bewertung der langfristigen Verbindlichkeiten der Saudis auf „A+“ gesenkt. Diese Bewertung liegt damit etwa weit unter jener für das ja zuletzt auch nicht gerade Zuversicht vermittelnde Österreich. Und auch der Ausblick bleibt negativ.

Noch devastierender ist, was die S&P-Bonitätswächter bei der Berechnung des Budgetdefizits des Königreichs herausgefunden haben. Dieses Defizit bewegt sich in der gigantischen Höhe von 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die angehäuften Reserven werden bald aufgebraucht sein. Saudi-Arabiens Führung wird daher aus Selbsterhaltungsinteresse alle verfügbaren Mittel dem extensiven Wohlfahrtsstaat im Inneren widmen müssen, denn nur dadurch hat es seine vom steinzeitlichen Wahabitismus gequälte Bevölkerung bisher ruhig gehalten. Da rinnt zwangsläufig das Geld für internationale Abenteuer aus.

Ganz ähnliches spielt sich auch in den diversen kleineren Golfstaaten ab, die ebenfalls nach außen prowestlich-moderat, nach innen aber Geldgeber für oft sehr extreme und antiwestliche Richtungen sind.

Das alles ist eine der besten Entwicklungen der Weltpolitik seit langem. Sie hat dazu geführt, dass der IS neuerdings fast nur noch Rückzugsgefechte liefern und die Offensive der Vergangenheit nicht fortsetzen kann.

Erfreuliches Tauwetter der Supermächte

Eine weitere gute Nachricht in dunklen Zeiten ist die neue Politik sowohl Russlands wie auch Amerikas. Die beiden Großmächte haben sich erstens in Sachen Syrien inhaltlich angenähert (auch wenn sie sich noch keineswegs ganz einig sind). Und sie sind zweitens militärisch in Syrien ernsthaft aktiv geworden. Beide Länder fliegen nicht mehr nur Luftangriffe auf den IS, sondern haben seit kurzem auch (freilich vorerst nur wenige) Soldaten am Boden stationiert. Sie haben erkannt, dass nur aus der Luft kein Krieg gewonnen werden kann.

Das bedeutet aber auch, dass die beiden Supermächte nach den Iran-Vereinbarungen nun zum zweiten Mal wieder in etwa die gleiche Richtung aktiv sind. Was sie ja seit Jahren nicht waren.

In den letzten Jahren hingegen hat man viel eher besorgt sein müssen, weil in Amerika ein Präsident amtiert, der weitgehend desinteressiert an Außenpolitik ist; das ist erst durch den Wechsel im Außenminister-Job von Hillary Clinton zu John Kerry wieder austariert worden. Barack Obama hat gleichzeitig den Fehler begangen, das russische Selbstbewusstsein ganz überflüssig zu verletzen.

Ebenso musste man umgekehrt lange besorgt sein, weil der russische Präsident eine Zeitlang auf brutalen nationalistischen Expansionismus gesetzt hat, und nur ein einziges Interesse zu haben schien: Europa und Amerika eines auszuwischen. Das besserte sich erst, seit er gemerkt hat, dass weder die Außenwelt noch das russische Volk einen Ukraine-Krieg goutieren, und dass auch die Bürger der Ukraine sich viel erbitterter gegen Russland wehren, als Wladimir Putin ursprünglich geglaubt hat. Offenbar war er selbst Opfer der eigenen Propaganda geworden, die da ständig behauptet hat, dass in der Ukraine nur ein paar CIA-geleitete Putschisten am Werk wären, das Volk aber panslawistisch und prorussisch gestimmt wäre.

Zugleich hat Russland so wenig wie die USA Interesse an einer Konfrontation mit der anderen großen Supermacht. All diese Entwicklungen machen wieder ein wenig hoffnungsvoller. Sie haben dazu geführt, dass gleichzeitig zur Iran-Lösung und zur Annäherung in Sachen Syrien auch in der Ukraine ein paar (kleine) positive Signale zu sehen sind, wie etwa die Absage der Wahlen in den prorussischen Sezessionsgebieten.

Europa ist am meisten betroffen und am wenigsten aktiv

Umso erstaunlicher ist hingegen das Verhalten Europas – oder genauer sein absolutes Nichtstun. Dabei müsste Europa zehnmal mehr als Russland und Amerika zusammen an einer Befriedung Syriens interessiert sein. Ist doch Europa – und weder die USA noch Russland – das Ziel einer erdrückenden Massenmigration von Syrern. Noch dazu hat ja eine europäische Regierung selbst diese Völkerwanderung ausgelöst, als Berlin erklärt hat, dass jeder Syrer nach Deutschland kommen könne.

Dennoch gibt es keinen einzigen europäischen Soldaten in Syrien.

Dennoch sagt in Europa niemand den syrischen Migranten: „Freunde: Es ist euer Land, in dem jetzt durch den IS eine Horde Wahnsinniger und Sadisten große Gebiete erobert hat. Es ist vor allem  anderen eure eigene Pflicht, dagegen zu kämpfen. Wir helfen euch, aber kämpfen müsst ihr.“

Diese Botschaft hätte mit allen Konsequenzen den Zehntausenden jungen Syrern klargemacht werden müssen, die da jetzt in Europa einmarschieren. Es sind vielfach junge Männer, die vor dem Wehrdienst gegen den IS geflohen sind.

Warum sollen Russen und Amerikaner die Kohlen aus dem syrischen Feuer holen, während die Syrer selbst in großen Massen ins europäische Wohlfahrtssystem ziehen, während das bedrohte Europa selbst militärisch total untätig ist?

Europa tut nichts Zielführendes (außer hie und da ein paar französische Luftangriffe). Es glaubt offenbar, bloßes Jammern und ewige Konferenzen könnten diesen Krieg beenden.

Nur die Teilung bietet Chancen auf ein Kriegsende

Freilich wäre es abgesehen von der Notwendigkeit eines Erwachens der Möchtegern-Großmacht Europa auch dringend notwendig, ein paar Denk-Tabus zu durchbrechen. Nur so kann es eine Lösung geben.

  1. Zwar ist unbestritten, dass der syrische Präsident Assad ein unguter Diktator ist. Aber dennoch liegen alle falsch, die da sagen, sein Rücktritt würde das zentrale Problem lösen. So wie sich die Westmächte einst ja auch mit dem (im Vergleich zu Assad tausende Male blutrünstigeren) Diktator Stalin verbündet haben, um den Diktator Hitler niederzuringen, so muss man sich heute mit Assad verbünden, um ein noch viel schlimmeres Unheil niederzuringen. Denn Assad ist für zwei wichtige Minderheiten die Verkörperung ihrer Hoffnungen: Alewiten wie Christen sind sich sicher, dass eine statt dessen kommende Herrschaft der sunnitischen Mehrheit für sie alle eine Katastrophe wäre. Daher ist nicht Assad das Problem, sondern die Gemengelage von seit der islamischen Renaissance unvereinbaren Bevölkerungsteilen.
  2. Schon aus diesem Grund sollte endlich eine Teilung des Landes angedacht werden. Diese Perspektive ist zwar für viele internationale Diplomaten in ihrem strukturkonservativen Denken ein Gottseibeiuns. Aber in der Geschichte konnten schon viele opferreiche Kriege nur durch Teilung beendet werden. Wäre etwa in Korea, Kaschmir, Sudan oder Zypern bis zu einem „Endsieg“ einer Seite gekämpft worden, wären noch etliche Millionen Menschen mehr verreckt. Dieses Endsieg-Denken ist noch viel schlimmer als die Teilung eines Landes.
  3. Nur mit territorialer Teilung kann man auch den Kurden im Norden Syriens und des Iraks zu ihrem Recht verhelfen. Sie sind das weitaus größte Volk auf Erden ohne völkerrechtlich anerkannten eigenen Staat. Sie haben sich zugleich als die weitaus effizientesten Gegner des IS erwiesen. Sie haben sich daher das Recht auf einen eigenen Staat fast noch mehr verdient als Alewiten und Christen.
  4. Das heißt aber auch: Die Türkei ist nicht Partner für eine Beendigung des Syrien-Krieges, sondern das vielleicht schlimmste Hindernis für seine Beendigung. Die Türkei ist zusammen mit den Saudis der Hauptschuldige daran, dass der IS eine Zeitlang so erfolgreich gewesen ist. Die Türkei will keinesfalls erlauben, dass die Kurden Syriens einen eigenen Staat haben. Diese Haltung aber ist Imperialismus pur. Eine Lösung kann es nur an der Türkei vorbei geben.
  5. Das schwierigste Tabu sind die vielen verschiedenen Gruppen und Milizen, die da neben Assad, dem IS und den Kurden gleichsam die vierte Kriegspartei bilden. Sie sind zwar de facto alle sunnitisch, ihre Bandbreite reicht aber von einigen liberal-demokratischen Elementen bis hin zu Al-Kaida-Kämpfern. Das macht dieses Konglomerat extrem unberechenbar. Eine Lösung des Kriegs wird ihnen zwar sicher ein gutes Stück der Herrschaft zukommen lassen müssen. Schließlich sind die Sunniten das Mehrheitsvolk. Aber es gibt keinen Grund, ihnen die Herrschaft über das ganze bisherige Syrien zuzuschanzen. Und man sollte sie im Interesse der Stabilisierung des Raumes auch keinesfalls zu mächtig werden lassen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass diese bunt gemischten Gruppen jemals einen friedlichen Rechtsstaat für alle Bevölkerungsteile zu bilden vermögen, ist fast Null. Schon deshalb, weil da viel zu viel Al Kaida dabei ist.

Um all diese Tabus zu brechen, müsste sich vor allem Europa engagieren. Müsste es. Es beschränkt sich aber aufs Jammern und lässt alle Menschen herein, die behaupten, Syrer zu sein.

Die Wiener Konferenz

Manche werden sich wundern, dass in dieser Analyse so viel über Syrien die Rede ist, aber nicht über die Wiener Syrien-Konferenz. Nun ja, die Begeisterung vieler heimischer Medien darüber war ein wenig überdimensioniert. Sie hängt halt damit zusammen, dass man sich immer wichtig fühlt, wenn etwas in Wiener Hotels stattfindet.

Der Erfolg von Außenminister Kurz ist durchaus positiv zu vermerken, der sich ja wochenlang intensiv bemüht hat, nach den Iran-Verhandlungen auch diese Konferenz nach Wien zu bringen. Kurz war damit im Rahmen der die Wiener Außenpolitik seit langem dominierenden Bemühungen, Österreich als Drehscheibe anzubieten, der erfolgreichste Außenminister der Republik, seit 1957 die Atomenergiekommission nach Wien geholt werden konnte. Immerhin saßen jetzt Iran und Saudi-Arabien erstmals seit langem an demselben Tisch. Das ist durchaus gewichtig - aber eben primär mit der wirtschaftlichen Krise der Saudis zu erklären.

Dennoch sollte man bei allem Patriotismus in der Beurteilung in der Außenpolitik über den Horizont eines Hotelportiers hinausdenken, der zufrieden ist, wenn sein Haus voller prominenter Gäste ist. Das ist nett. Aber auch für Österreich ist eine funktionierende Syrien-Lösung wichtiger als der bloße Umstand, dass in Wien verhandelt wird.

Viel mehr finde ich jedoch an Sebastian Kurz lobenswert, dass er zu den wenigen europäischen Politikern gehört, die mutige und kluge Vorschläge zu Syrien wie auch zur Massenmigration gemacht haben. Gerade weil er damit in Österreich sehr einsam geblieben ist, ist das doppelt anerkennenswert. Auch sein eigener Parteiobmann täte gut daran, sich außenpolitisch genau auf dieser Linie zu äußern. Beim Türl-mit-Seitenteilen-Bundeskanzler hingegen wäre ein solches Verlangen freilich eine intellektuelle Überforderung.

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