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Sport, Kultur und Korruption

Es ist eines der interessantesten Medienphänomene: Während Zeitungen immer sehr bereit sind, Skandale in Politik und Wirtschaft kritisch und intensiv abzuhandeln (es sei denn, Geldgeber, Großinserenten oder die eigenen Verlage sind involviert), ist das in den Bereichen Sport und Kultur überhaupt nicht so. Dort agieren die Journalisten ständig als Amtsverteidiger der jeweiligen Branche.

Ein oder zwei Tage lang wird zwar notgedrungen vermeldet, wenn irgendwo eine Eiterbeule aufplatzt, aber dann wird rasch wieder abgelenkt und unverhohlen Gratis-PR betrieben. All die großen Skandale der letzten Zeit bei Olympia, im Burgtheater, im Museum Angewandter Kunst, bei den Osterfestspielen, beim Deutschen Fußballbund, bei der Fifa, beim russischen Leichtathletikverband oder bei Radfahren, Langlaufen und vielen anderen Sportarten, wo gedopt wird, werden so rasch wie möglich wieder unter den Teppich gekehrt.

Man fragt sich, warum.

Eine erste Erklärung dafür ist sicher, dass persönlichkeitsschwache Journalisten gerne eine anbiedernde Nähe zu Berühmtheiten und populären Menschen suchen. Und erfolgreiche Sportler und Künstler sind halt meist weit populärer als Politiker oder Manager. Viele Journalisten begreifen nicht, dass sie dabei nur als Instrument der PR benutzt werden. Echte Freundschaften zwischen Journalisten und jenen Personen, über die sie schreiben, kann es gar nicht geben, wenn Journalisten ihren Beruf ernst nehmen. Oder erst dann, wenn diese Menschen Ex-Sportler und Ex-Künstler sind. Dann aber verlieren interessanterweise auch die Anbiederer oft das Interesse an den Ex-Promis.

Ein zweiter Aspekt: Es ist für Sportjournalisten schwierig, außerhalb von Wettkampftagen genug Stoff zu haben, um ihre Spalten zu füllen, wenn sie nicht von Sportlern und Funktionären, also den Objekten der Berichterstattung, denen sie kritisch distanziert gegenüberstehen sollten, mit irgendwelchen Belanglosigkeiten gefüttert werden. Das schafft Abhängigkeiten. Und die „alternative“ Methode der Gratiszeitung „Österreich“, Interviews einfach zu erfinden, ist zum Glück vielen doch zu suspekt.

Drittens: Es würde bei keinem Leser gut ankommen, wenn sich Medien mit erfolgreichen Sportlern oder Teams anlegen, etwa in Österreich gar mit einem Skistar. Auch in der Kultur ist das eher selten. Da tun das höchstens manche Journalisten aus Berechnung, um selbst nach dem Motto „Der traut sich was“ berühmt zu werden. So hat etwa einst ein (inzwischen verstorbener) Musikjournalist ständig den absoluten Weltstar Herbert von Karajan attackiert – bis er plötzlich in dessen letzten Lebensjahren zu Karajans Leibschreiber und Biograph geworden ist. Was kein sonderlich honoriges Verhalten, aber wohl einträglich war.

Natürlich gibt es auch in den Bereichen Wirtschaft und Politik viele Journalisten, die sich gerne an der Seite von Berühmtheiten sonnen wollen. Motto: „Ich und Ronald Reagan“ oder „Ich und Dietrich Mateschitz“. Jedoch hat man es in Politik und Wirtschaft mit Personen zu tun, bei denen stets eine hohe Chance auf einen ruhmlosen Abstieg besteht. Politiker werden oft rascher gestürzt, als man glaubt. Und bei Wirtschaftsbossen sagt ein alter Spruch, dass jeder „Manager des Jahres“ Gefahr läuft, im nächsten Jahr eine Pleite zu erleiden. Hingegen droht Künstlern und Sportlern maximal ein Abgleiten in die Erfolglosigkeit, aber nur selten eine dramatische Pleite. Künstler werden in der Regel überhaupt bis zu ihrem Tod gefeiert.

Selbst während Politiker noch an der Macht sind, spüren intelligentere Journalisten, dass es ihnen nicht sonderlich nützt, als deren intime Freunde dazustehen. Dazu ist das Image der Politik zu schlecht. So gibt es lediglich beim inseratengefütterten Boulevard Journalisten, die sich als Faymann-Freunde profiliert haben. Was ihr journalistisches Ansehen nicht sonderlich erhöht hat.

Ein vierter Aspekt sei am Rande erwähnt: Manche Journalisten fürchten, bei allzu kritischer Haltung keine Gratiskarten (samt Begleitung) zu Konzerten, Theater oder Wettkämpfen zu bekommen. Die Mutigeren unter ihnen wissen freilich: Das schadet fast immer den Veranstaltern mehr als einem Medium, passiert daher nur ganz selten.

Ähnlich versuchen auch im politisch-wirtschaftlichen Biotop Mächtige immer wieder Medien mit Boykotten zu strafen – was aber auch selten Erfolg hat. So sind einst von mir geleitete Zeitungen eine Zeitlang nicht zu Pressekonferenzen des Landes Niederösterreich eingeladen worden, weil wir für den Semmering-Tunnel waren, Erwin Pröll aber dagegen. Das haben wir ebenso locker ausgehalten wie etwa den zweimal (unter Gerhard Weis und dann Alexander Wrabetz) verhängten Boykott durch den ORF, weil wir uns allzu mutig mit dem Monopol-Koloss befasst haben. Auch da hat es der Auflage der Zeitung absolut nicht geschadet, dass wir ein Jahr lang im ORF nie erwähnt oder zu Pressestunden und dergleichen eingeladen wurden. Ganz im Gegenteil, gerade da entwickelte sich die Auflage besonders prächtig.

Viel wichtiger ist ein anderes Motiv der im Sport- und Kultur-Journalismus verbreiteten Beißhemmung: Journalisten fürchten insgeheim, dass der ganze Bereich an Image verliert, wenn man zu viel über Bestechungen, Verschwendung, Misswirtschaft und Doping schreiben würde. Sie bangen, dass ihr Platz in der Zeitung und ihre Sendeminuten beschnitten werden, sobald Sport- und Kulturbetrieb nur noch Naserümpfen auslösen. Denn sie bangen damit ja auch um ihre Jobs, vor allem in Zeiten knapper Kassen. Das macht sie dann eben automatisch zum Amtsverteidiger auch aller Missetäter.

Sechstens: Wenn es vor allem in der Politik, aber auch in der Wirtschaft wirkliche oder vermutete Affären gibt, dann halten fast immer Konkurrenz-Parteien oder -Unternehmen das Thema aus Eigeninteresse lange am Köcheln, blasen es gerne sogar überdimensioniert auf. Das gibt es hingegen im Sport so gut wie nie, und in der Kultur sehr selten. In diesen Bereichen ist außer der Staatsanwaltschaft kaum jemand an den Skandalen interessiert. Und die Steuerzahler, die dadurch oft geschädigt werden, haben keine Stimme.

Typisches Beispiel war zuletzt der riesige Dopingskandal in Russland. Jahrelang wurden dort alle Tests manipuliert und unterdrückt. Die Praktiken der kommunistischen Zeit haben sich auch nachher nahtlos fortgesetzt – offenbar auf direkten Wunsch der Politik. Dieser Skandal müsste eigentlich nach allen existierenden Regeln zum Ausschluss Russlands oder zumindest der russischen Leichtathleten von den nächsten Olympischen Spielen führen. Aber sofort waren auf allen olympischen Ebenen Funktionäre als Beschwichtiger unterwegs. Niemand will sich mit Russland anlegen, niemand will den Sport in eine schlechte Optik rücken. Und nach zwei Tagen hörte die Berichterstattung auch schon wieder auf. Nur ja nicht skandalisieren.

Auch im Fußball sind so gut wie alle Akteure kollektiv bemüht, die Bestechungsaffären in Deutschland wie in der Fifa rasch wieder unter den Teppich zu kehren. Weshalb nur dann etwas geschrieben wird, wenn ein abgeschossener Chef des deutschen Fußballbundes offenbar aus Rache im „Spiegel“ auspackt. Sonst: solidarisches Schweigen der Branche.

Bleibt nur eine Frage offen: Warum protestieren Leser, Seher, Hörer nicht gegen einen solchen Beschwichtigungsjournalismus? Das hat einen klaren psychologischen Grund: Sie wollen nicht auch noch auf Sport- und Kulturseiten dauernd Negatives lesen. Die Menschen sehnen sich nach den guten Nachrichten. Das ist ein schönes Konzert, eine gelungene Opern- oder Theaterproduktion, ein spannender Wettkampf allemal. Im Sport interessieren sich nach diesem alle immer weit mehr für Sieger, für die Erfolgreichen als für die Unterlegenen und Enttäuschten (obwohl meistens viel mehr Sportler in diese Kategorie gehören).

Die Bürger verhalten sich durchaus polarisiert: Sie wollen über die Politik schimpfen, dann aber in Sport und Kultur primär das (oft nur: vermeintlich) Gute und Positive erleben. Und darauf reagiert der Journalismus eben.

Das hat natürlich auch immer eine starke nationale Färbung. Eine Sportart, in der die Nation unbedeutend wird, bekommt in Zeitungen und Fernsehen weniger Platz. Man denke etwa an Tennis: Dieser Sport war tagelang im Zentrum österreichischer Sportseiten, als ein Thomas Muster erfolgreich war. Heute sind selbst große Tennisturniere vielen oft nur einen Absatz wert, weil man seit langem über keinen Österreicher tolle Erfolgsstorys schreiben kann.

Nun, es ist ja nichts Böses, wenn sich die Menschen nach den guten Nachrichten sehnen, wenn sie Sieger mehr lieben als Loser. Sieger und Stars werden für junge Menschen dadurch auch oft zum Vorbild für eigene sportliche oder künstlerische Ambitionen.

Unakzeptabel und zum Problem wird das alles aber, wenn durch das Zusammenspiel all dieser Faktoren Misswirtschaft und Kriminelles massiv begünstigt wird.

PS: Natürlich wird auch kaum berichtet, wenn der Rechnungshof im sportnahen Bereich Missstände aufdeckt. Etwa bei der rückblickenden Analyse der Skiweltmeisterschaften Schladming. Dabei sind alleine dafür 247 Millionen Steuergeld ausgegeben worden. Ohne dass es laut Rechnungshof einen erkennbaren langfristigen Nutzen gegeben hätte. Ohne dass bei der Ausgabe dieses Geldes irgendjemand einen Gesamtüberblick gehabt hätte, vielmehr sind einander sieben verschiedene Organisationen gegenseitig im Weg gestanden…

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