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Wer will mich? ÖVP sucht Obmann

Manfred Juraczka geht, bevor er gegangen wird. Der Katzenjammer der Volkspartei bleibt. Seit Reinhold Mitterlehner Parteichef geworden ist, hat es nur noch kräftige Ohrfeigen für die Partei gegeben. Sie weiß nicht, wo sie stehen soll. Sie ist derzeit nur billige Mehrheitbeschafferin für die SPÖ. Sie ist ausgelaugt. Sie hat auch kaum personellem Nachwuchs (mit nachträglicher Ergänzung zur bereits gefallenen Juraczka-Nachfolge-Entscheidung, die etliche der davor stehenden Passagen inhaltlich überholt macht)

Das wird sich auch bei der Diskussion um die Nachfolge Juraczkas wieder zeigen. Sebastian Kurz wird sich mit Händen und Füßen wehren, den Job zu übernehmen. Er ist zu intelligent, um nicht zu wissen, was für ein Himmelfahrtskommando die Wiener Volkspartei und ihre wankelmütigen bürgerlichen Wähler sind, deren Anteil in Wien zwischen 9 (für Juraczka bei der jüngsten Wahl) und 31 Prozent (für Schüssel bei der Nationalratswahl 2002) beträgt.

Auch wenn viele sagen, dass unbedingt ein Bundesminister Wiener VP-Chef sein solle, weiß Kurz (wohl noch immer): Dieser Posten ist nicht bloß schwierig, sondern auch lediglich mit 200-prozentigem Einsatz zu schaffen. Da muss man intern fast alles neu aufbauen. Da muss man täglich versuchen, in einer von der SPÖ bestochenen Medienwelt irgendwie durchzukommen. Das alles lässt sich nur schlecht mit dem Außenminister-Job kombinieren. Noch dazu, wenn die eigentliche Machtbasis des Sebastian Kurz, die Junge ÖVP, ja auch noch Zeit erfordert.

Außerdem wissen in der ÖVP alle: Viele Fehler bei der Zusammenstellung der jetzigen Kandidatenliste sind auf den mächtigen Kurz zurückzuführen. Die wenigen schwarzen Zugpferde, die zumindest gewisse Wähler-Segmente ansprechen, waren auf der Kandidatenliste nach hinten abgeschoben worden. Der 1. Bezirk geht wegen des von Kurz ausgelösten Stenzel-Abschusses möglicherweise verloren. Das heißt, dass Kurz bei allen sonstigen politischen Qualitäten des jungen Mannes parteiintern zuletzt auch nicht gerade geglänzt hat. Dazu kommt ein – sagen wir: endenwollender Wahlkampfeinsatz des Außenministers in Wien.

Das Allermeiste am katastrophalen Ergebnis der Stadtschwarzen geht aber auf Juraczka selbst zurück. Er kann sich auch nicht ganz auf die Dominanz des blauroten Duells in den Herzen der Wähler ausreden.

  1. Er hat seit Jahr und Tag sein Bild auf fast jedes Wiener ÖVP-Plakat rücken lassen, was lediglich Langeweile erzielt hat, weil hinter dem Bild für die Wähler keine Persönlichkeit mit Strahlkraft gestanden ist. Durch Plakate allein wird man nicht zu einer solchen.
  2. Juraczka ist rhetorisch schwach. Er ist bei den meisten Diskussionen gegen seine Konkurrenten negativ abgefallen, hat fast ängstlich gewirkt.
  3. Er hat – seit der Anti-Parkpickerl-Kampagne – keine inhaltlichen Akzente zu setzen vermocht (noch dazu ist die ÖVP bei der Parkpickerl-Geschichte inhaltlich falsch gelegen und hat die Autofahrer in den Bezirken 13, 18 und 19 schwer verärgert, die seither kaum noch Parkplätze finden).
  4. Er hat keinerlei Emotionalisierung der bürgerlichen Wähler geschafft oder auch nur versucht.
  5. Er ist dem zentralen Thema dieser Wochen – der Völkerwanderung – in weitem Bogen ausgewichen.
  6. Davon, dass die Mitte-Rechts-Parteien wie in anderen Ländern auch in die Arbeiterschaft vordringen könnten, ist in Wien schon gar nicht die Rede.
  7. Auch die feige Nicht-Festlegung auf potenzielle Koalitionspartner hat sich als schwerer Fehler erwiesen. Wer unbedingt den roten Bürgermeister abwählen wollte, hat sich bei der ÖVP unsicher aufgehoben gefühlt. Ebenso wandten sich die Strache-Hasser ab. Unsicherheit wählt man nicht.
  8. Juraczka hat auch nicht verstanden, ein gutes Team um sich aufzubauen, weder intern noch nach außen wirkend.
  9. Letztlich hatte jeder den Eindruck: Eigentlich will der Mann nur unbedingt amtierender Stadtrat werden, und deshalb nirgends anecken.
  10. Auch die Bezirksergebnisse zeigen, dass Juraczka ganz und gar nicht gezogen, sondern abgeschreckt hat. Man nehme etwa die Josefstadt: Dort hat die Volkspartei für den Gemeinderat 14 Prozent der Stimmen errungen, für die Bezirksvertretung jedoch mit 31 Prozent mehr als doppelt so viel. Ähnlich errang die ÖVP in Hietzing beim Gemeinderat 20 Prozent, bei der Bezirksvertretungswahl jedoch 39 Prozent. Womit sie in beiden Bezirken die (jeweils weiblichen) Bezirksvorsteher bombensicher verteidigte. Dasselbe gelang dem Bezirksmethusalem Tiller in Döbling: Er verteidigte seinen Job mit 32 Prozent, während es für den Gemeinderat in Döbling nur 17 VP-Prozente gab. Vom einstigen Bezirksvorsteher-Posten weit weg ist die ÖVP zwar auf der Wieden, aber auch dort klaffen die 11 Prozent der Gemeinderatswahl von den 15 der Bezirkswahl deutlich auseinander.

Dennoch bin ich nicht ganz sicher, ob es gut für die ÖVP ist, dass sie nun schon wieder einen neuen Wiener Obmann suchen muss (außer Kurz würde sich doch opfern und den Minister-Job aufgeben). Die Wunderkinder sind rar gesät. Und die Erfahrung zeigt, dass die großteils recht unpolitischen Wähler einen Oppositions-Kandidaten oft erst beim zweiten oder dritten Antreten überhaupt zur Kenntnis nehmen und erst nach längerer Beobachtung überlegen, ihm eine Chance zu geben. Auch könnte Juraczka ja dazulernen und ein viel besseres Team um sich scharen. Immerhin liegt er ideologisch genau dort, wo die ÖVP Chancen hat. Immerhin hat er als erster Parteichef den – freilich sehr klein gewordenen – Laden erstmals ohne die seit Jahrzehnten üblichen Grabenkämpfe geführt, die es dort seit Erhard Busek immer gegeben hat, der ja die konservativen Teile der Partei hinauszudrängen versucht hat.

Aber die Politik wird immer kurzatmiger und sieht diese (kleine) Chance nicht.

Nachträgliche Ergänzung: Die ÖVP hat sich überraschend schnell auf einen Nachfolger festgelegt: auf ihren bisherigen Generalsekretär auf Bundesebene Gernot Blümel. Der Mann ist eine Überlebens-Chance für die Partei, da er es immerhin wagt, sich als konservativ zu bezeichnen (und einer der ganz wenigen Schwarzen, die in diesem Tagebuch zuletzt mehrfach gelobt wurden). Wieweit er sich auf dem brutalen Wiener Boden auch öffentlich durchsetzen kann, wird man allerdings noch abwarten müssen. Pessimisten glauben freilich, dass er als letztes Spindelegger-Überbleibsel jetzt eher aus der Bundespartei auf einen Himmelfahrtsposten weggelobt wird. Das wird man aber erst dann wirklich beurteilen können, wenn man auch den Nachfolger als ÖVP-Generalsekretär kennt. Wird dieser ebenfalls ein Mann sein, der so wie Blümel zumindest versucht, trotz der Schwäche des Großteils der Ministerriege die ÖVP wieder näher zu ihren Wählern zu bringen? Oder wird es ein zeitgeistiger Mainstreamler sein, der halt diffus glaubt, die ÖVP müsse "moderner" sein? Was dann in Wahrheit inhaltlich immer eine Mischung aus rot, grün und pink ergibt, die halt den Medien, aber nicht den ÖVP-Wählern gefällt.

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