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Die 70-Jährigen an die Macht!

Eindrucksvoll ist das Alter der Kandidaten. Lähmend hingegen ist die Berichterstattung. Das sind die beiden wichtigsten, aber auch einzigen Erkenntnisse aus dem amerikanischen Wahlkampf, der uns jetzt fünf lähmend lange Vierteljahre lang begleiten wird.

Die ausufernde Berichterstattung europäischer Medien über US-Wahlkämpfe ist ein unglaublicher Overkill. Amerika ist gewiss wichtig. Aber im Verhältnis zu Berichten über andere Länder ist das Mengenverhältnis der Aufmerksamkeit absurd, die wir den USA schenken. Für Österreich sind etliche Wahlen in europäischen Ländern viel wichtiger als die in Amerika.

Dies ist auch deshalb der Fall, weil in Europa Parlamentswahlen praktisch die gesamte Machtfrage entscheiden. In den USA hingegen – und ähnlich nur noch Frankreich – ist die wirkliche Machtausübung durch die „Checks and Balances“ zwischen Präsident und den getrennt gewählten Parlamentskammern viel stärker austariert. In den USA ist überdies der „Supreme Court“ de facto viel unabhängiger von den Parteien und zugleich viel politischer als europäische Höchstgerichte. Diese Höchstrichter haben dort von der Abtreibung bis zur Schwulenehe viele Fragen entschieden, die nach europäischem Verständnis allein den Volksvertretern obliegen.

Für Europa wird etwa die Wahl in Frankreich, die bald nach der amerikanischen stattfindet, folgenreicher. Denn sowohl eine Präsidentin Marine Le Pen als  auch ein Comeback von Nicolas Sarkozy würde in der ganzen EU vom Immigrations- bis zum Griechenland-Thema alle Paradigmen ändern (und Angela Merkel wieder zur konservativen Politikerin machen).

Spanien und Portugal wählen sogar schon heuer, also ein Jahr vor Amerika. Das könnte noch folgenreicher werden. Das sind ja die beiden Länder, die sich (neben Irland) in den letzten Jahren am erfolgreichsten durch eine harte, aber erfolgreiche Austeritäts-Politik saniert haben. Dennoch droht da wie dort den Sanierungspolitikern bei den Wahlen ein kräftiger Dämpfer. Viele Wähler scheinen schon wieder den Rattenfängern zu glauben, die ihnen einreden, dass es ihnen mit einer Rückkehr zur Schuldenpolitik besser gehen würde.

Kaum weniger spannend wird Polen. Dort dürfte die liberale Regierung, die das Land in einen tollen Aufschwung geleitet hat, noch heuer von einer konservativen abgelöst werden. Diese wird zwar betont mutig und werteverbunden, aber in etlichen sozialpolitischen Fragen eher sozialistisch agieren. Was den Erfolgsweg der polnischen Wirtschaft bedrohen könnte.

Aber von all dem werden die Österreicher sehr wenig erfahren. Höchstens von eventuellen neuen griechischen Wahlen (die an der dortigen Reformverweigerung freilich wenig ändern dürften). Dafür werden sie schon seit Wochen über jeden „Sager“ eines amerikanischen Präsidentschaftskandidaten informiert.

  • Eine der Ursachen dieses Missverhältnisses ist die Tatsache, dass in Washington und New York viel mehr europäische Korrespondenten sitzen als in jeder anderen Stadt der Welt außer Brüssel.
  • Eine weitere Ursache ist die Unfähigkeit vieler Redaktionen, sich geistig von dem riesigen und perfekt aufbereiteten Informationsangebot amerikanischer Medien zu lösen und sich mehr der Interessen und der geographischen Lage Österreichs zu besinnen.
  • Eine dritte Ursache: In keinem Land laufen Wahlkämpfe so spannend wie in den USA. Das ist Folge der langen Zeit, die sich die Vorwahlen hinziehen, die sie spannend wie ein Wettrennen im Sport machen.
  • Dazu kommt auch noch die Tatsache, dass in Amerika einzelne Personen aus der gleichen Partei oft sehr aggressiv gegeneinander antreten. Das ist unglaublich medienwirksam. Denn über einzelne, ständig medial präsentierte Persönlichkeiten hat man auch als unpolitischer Mensch bald und leicht eine Meinung. Zu außen- oder innenpolitischen Programmen ist das hingegen viel schwieriger. In Österreich laufen hingegen Personenentscheidungen immer intransparent hinter dicken Polstertüren.

Die amerikanische Öffentlichkeit stürzt sich derzeit deshalb mit Begeisterung vor allem auf jede Äußerung Donald Trumps, der umgekehrt dadurch zu immer kantigeren Sprüchen verleitet wird. Diese lassen die eine Hälfte Amerikas in „Endlich-sagts-einer“-Ekstase geraten, die andere hingegen in Political-Correctness-Entsetzen. Freilich: So verständlich das Interesse der Amerikaner daran auch ist, so übertrieben ist das der Europäer. Denn Vorwahlkampfrhetorik hat später herzlich wenig mit der realen Politik eines Präsidenten zu tun.

Altsein ist in Amerika ein Bonus

In Wahrheit gibt es trotz des Medien-Overkills vorerst nur einen einzigen Aspekt des US-Vorwahlkampfes, der wert ist, in unsere Aufmerksamkeit einzudringen: Das ist das erstaunliche Alter der beiden jeweils führenden Kandidaten. Denn die Demokratin Hillary Clinton ist heute 67 Jahre alt, der Republikaner Trump sogar 69.

Bis zum Arbeitsbeginn des neuen Präsidenten vergehen ja noch weitere eineinhalb Jahre. Der nächste amerikanische Präsident dürfte damit schon bei Amtsantritt (für eine vier- oder achtjährige Amtszeit!) zehn Jahre älter sein, als in Österreich das durchschnittliche Pensionsantrittsalter beträgt! Das Alter der Kandidaten stört aber offensichtlich keinen Amerikaner. Aus dem Wahlkampf hört man zwar viele Argumente und viele kritische Recherchen über einstige Mails, Steuererklärungen und sonstige Aktionen der Kandidaten. Aber nirgendwo eine Debatte über ihr Alter.

Das sollte auch hierzulande zu denken geben. Die Amerikaner haben ja keine höhere Lebenserwartung als die Österreicher. Sie haben nur eine viel vernünftigere Einstellung zum Alter. In Österreich sind hingegen insbesondere die Gewerkschafter der Meinung, dass Menschen mit 60 nichts mehr wert sind, dass sie dann nur noch dem Tod entgegenzudämmern haben. In den USA hingegen kann man auch noch mit 80 Jahren Kongressabgeordneter oder Chef der Notenbank Fed sein. Und sein Amt offensichtlich gut machen.

Auch in vielen anderen Kulturen haben überdurchschnittlich oft alte Menschen Funktionen, in denen man viel Erfahrung und auch oft so etwas wie Weisheit braucht. Auch die immerhin mit zweitausend Jahren Praxis agierende Kirche „beutet“ ihre Mitarbeiter wie selbstverständlich bis zum 75. oder 80. Geburtstag aus.

Der Kennedy-Jugendkult ist lange vergangen

In Amerika sind die 60er Jahre heute lange vorbei. Damals hat es dort rund um John F. Kennedy einen heftigen Jugendkult gegeben. Heute sieht man hingegen Kennedys zahllose Sex-Abenteuer und seine kriegsfreudige Politik von Vietnam bis Kuba sehr distanziert und nicht mehr vom Glamour jugendlicher Attraktivität überlagert.

In Österreich ist man geistig jedoch in den 60ern steckengeblieben. In Österreich haben bis auf die (davon profitierende) SPÖ die Parteizentralen noch nicht mitgekriegt, dass das durchschnittliche Alter der Wähler viel höher ist als vor 50 Jahren. In Österreich haben es weder Politik noch Wirtschaft verstanden, die wertvollste Ressource des Landes zu nutzen, nämlich die Fähigkeiten und Erfahrungen der 55- bis 80-jährigen. Man holt statt dessen – absurderweise mit dem demographischen Argument! – lieber bildungsferne Drittwelt-Emigranten ins Land.

In Österreich glaubt etwa die Wiener ÖVP, mit einem Team reüssieren zu können, das massiv an „Jugend forscht“ und Kinderuniversität erinnert. Sie begreift nicht, dass der clevere und smarte Sebastian Kurz trotz und nicht wegen seiner Jugend ein Ausnahmetalent ist. Sie sieht nicht, dass die Demographie ein Jugendteam am Wahltag zum politischen Selbstmord mit Anlauf macht. Sie weiß nicht, dass noch nie ein Wahlergebnis so sehr von den Stimmen der Pensionisten dominiert sein wird. Sie lässt deren Stimmen lieber der SPÖ, was dieser trotz allem die Chance auf Platz eins gibt. Sie fightet statt dessen mit Blau, Grün und Pink um die wenigen jungen Stimmen.

Auch in allen anderen Parteien müssen sich Abgeordnete bald nach ihrem 50. Geburtstag auf die Frage von Partei„freunden“ und Journalisten gefasst machen, ob sie denn beim nächsten Mal wirklich noch einmal kandidieren wollen. Ob sie nicht meinen, dass jetzt (endlich) Zeit für die Jugend wäre. „Erneuerung“ und „Modernisierung“, „Wachablöse“ und „Verjüngung“ sind die dabei vor allem in der Politikberater- und Medien-Szene überstrapazierten Schlagwörter.

In der empirischen Wirklichkeit der Wahlergebnisse waren sie freilich meist die Wegweiser zum Misserfolg.

PS: Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet die beiden allerjüngsten Finanzminister der Republik in intensiven Kontakt mit der Strafjustiz geraten sind. Als einzige von immerhin schon 21 Nachkriegs-Ministern. Objektiverweise muss man freilich Karl-Heinz Grasser zugute halten, dass es gegen ihn zum Unterschied von Hannes Androsch noch immer keine Anklage gibt, sondern nur zunehmend verkrampft wirkende Aktionen der Staatsanwaltschaft. Aber dennoch ist klar: Auch Grasser war charakterlich eindeutig der großen Verführung nicht gewachsen, die mit dem zweitmächtigsten Amt das Landes verbunden ist.

 

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