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Schüssel: ein Comeback für Salongespräche und Totalcrashs

Noch nie war Wolfgang Schüssel eine so breite Welle der Anerkennung und des Respekts entgegengeströmt wie rund um seinen 70. Geburtstag, der in den vergangenen Wochen von Partei und erstaunlicherweise auch etlichen Medien gefeiert wurde. Noch auffälliger freilich war, dass der 70er des Ex-Bundeskanzlers von erstaunlich vielen Menschen keineswegs nur als ein nostalgisch-retrospektives Ereignis gesehen wurde.

Erstaunlich viele Menschen in den diversen bürgerlichen, christlich-sozialen, konservativen, liberalen, heimatbewussten, kulturorientierten Lagern haben räsoniert: Muss dieser Mann nur Vergangenheit sein? Brauchen wir ihn nicht für die Zukunft dringender denn je?

Die einen sprachen davon, dass Österreich sehr bald einen neuen Bundespräsidenten benötigt. Dass die ÖVP noch keinen überzeugenden Kandidaten hat. Und dass für diese Funktion diesmal wohl mit Sicherheit kein Kandidat der Linken eine Mehrheit finden wird (außer es finden schon vorher Nationalratswahlen statt).

Die anderen entdeckten, dass es absolut kein Naturgesetz gibt, wonach ein abgetretener Regierungschef nie mehr wieder ein solcher werden könnte. Etwa im Nachkriegs-Schweden hat es gleich mehrmals ein Comeback gegeben, bei linken wie bei bürgerlichen Ministerpräsidenten. Etwa Ungarns Viktor Orban (der Schüssel mit einem Blitzbesuch die Ehre gab) ist heute nach einem sozialistischen Intermezzo erfolgreicher denn beim ersten Mal wieder an der Macht. Etwa in Österreichs erster Republik gab es gleich bei zwei Bundeskanzlern ein Comeback nach Unterbrechung.

Zu jung für Adenauer

Aber ist Schüssel mit 70 nicht wirklich schon zu alt dafür? Nun, der wichtigste und erfolgreichste deutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer, hat überhaupt erst mit 73 Jahren das Amt angetreten. Also ist auch das Alter kein K.O.-Argument gegen die Schüssel-Idee – insbesondere angesichts der offensichtlich sehr guten körperlichen Verfassung des begeisterten Amateur-Fußballers.

Dennoch scheint es ziemlich rätselhaft, woher die wachsende Schüssel-Nostalgie kommt. Oder doch nicht? Verkörpert der Mann nicht mehr als alles, was wir nachher hatten, das, was Österreich heute so dringend bräuchte? Das sind: Leadership, enormes Wissen, Mut zu unpopulären Entscheidungen, klare Ziele und die Härte wie auch Konsequenz, diese auch durchzusetzen. Im verklärenden Rückblick vergessen freilich viele, dass Schüssel auch wichtige Ziele verfehlt hat, wie etwa einen dauerhaft ausgeglichenen Staatshaushalt oder eine echte Studienzugangsregelung oder eine neue Verfassung oder eine wirkliche Aufgabenreform.

Aber dennoch bleibt da viel mehr auf der Positivseite stehen. Um nur einige der wichtigsten Dinge zu nennen:

  1. Schüssel führte die einzige Regierung Österreichs, unter der die Staatsverschuldung zurückging, und das signifikant von 68 auf 60 Prozent des BIP. Das war mehr das Verdienst seiner oft brutalen Nein-Sage-Fähigkeit gegenüber allen Forderungen als das seines Finanzministers.
  2. Er setzte mit großem Erfolg (gegen etliche Widerstände in der ÖVP) die Privatisierungen fort, die er schon als Wirtschaftsminister begonnen hatte.
  3. Er verschaffte den Universitäten erstmals in der Geschichte wirkliche Selbständigkeit.
  4. Er setzte so viele Pensionsreformen durch wie kein Regierungschef vor und nach ihm.
  5. Er war außenpolitisch der mutigste Regierungschef Europas beim Verhindern der türkischen EU-Beitritts-Ambitionen.
  6. Er war – in dramatischem Kontrast zu den anfänglichen Boykottmonaten – in vielen EU-Hauptstädten ein extrem angesehener Regierungschef.
  7. Er regelte die Entschädigungen für einstige NS-Zwangsarbeiter, sodass Stuart Eizenstat, sein einstiges Verhandlungs-Gegenüber auf US-Seite, vor wenigen Wochen in einer Rede für ihn einen „Ehrenplatz in der österreichischen Geschichte“ wegen seines „Muts und seiner Leadership“ verlangte.
  8. Er schaffte im jahrzehntealten Kärntner Ortstafelstreit einen Kompromiss, der dann nur an der Gusenbauer-SPÖ scheiterte (der dann aber später von der SPÖ unter Ostermayer fast wortgleich realisiert worden ist).
  9. Insgesamt stand Österreich am Ende seiner Regierung so positiv da, dass auch fast alle linken deutschen Medien das Land lautstark als Vorbild für das damals kriselnde Deutschland ausriefen.

Der Kontrast zu den Erben

Für Schüssel spricht insbesondere auch der dramatische Kontrast zu seinen Nachfolgern. An der Spitze der ÖVP wechselten die Parteichefs nach ihm so rasch, dass man kaum imstande war, sich all ihre Namen zu merken. Keiner davon hat sich jedenfalls als Alpha-Tier und krisenfest erwiesen.

Und an der Spitze der Regierung folgte ihm zuerst der zwar hochintelligente, aber, wie sich jetzt an Hand der gigantischen und übelriechenden Zahlungen einer mittelasiatischen Diktatur zeigt, moralisch offenbar völlig verkommene Alfred Gusenbauer. Und jetzt hat Österreich überhaupt den schwächsten Bundeskanzler seit 1945.

Schüssels Zunge

Das was an Schüssel am überraschendsten ist: dass er noch eine Zunge hat. Denn eigentlich muss er sich diese schon zahllose Male abgebissen haben. Zuerst in der schwarzblauen Zeit aus Ärger über die Eskapaden seines blauen Partners in Kärnten. Und dann über die vielen schweren Fehler seiner Nachfolger in beiden Ämtern und deren Verschwendungspolitik. Aber Schüssel blieb loyal und schwieg (was für ein Kontrast etwa zur Logorrhoe seines Exfreundes Erhard Busek). Was naturgemäß viele Journalisten frustrierte.

Was aber spricht gegen Schüssel – außer dem Hass der Sozialdemokraten, die ja von ihm zum ersten und einzigen Mal seit 1970 von den Futtertrögen vertrieben worden sind? Aus seiner einstigen Regierungszeit wenig.

Die von linken Journalisten und einem Teil der Staatsanwaltschaft ständig wiederholten Vorwürfe gegen Schüssels politischen Lieblingssohn Karl-Heinz Grasser haben noch immer keine einzige gerichtliche Bestätigung erfahren. Sie beziehen sich auch nur zur Minderheit auf Grassers Regierungszeit, sondern mehrheitlich auf die Jahre danach. Und es gibt kein einziges Indiz, das ein Mitwissen Schüssels um bedenkliche Aktionen Grassers vermuten ließe. Was bleibt, ist also eine Culpa in eligendo, ein Auswahl-Verschulden, falls Grasser wirklich verurteilt wird. Dasselbe gilt im Fall Ernst Strasser, auch wenn dessen kriminelle Aktionen zur Gänze lange nach dem Ausscheiden aus der Regierung passiert sind, auch wenn sich Schüssel noch als Bundeskanzler mit Strasser zerkracht hat.

Bedenklicher ist, dass Schüssel damals dem wirtschaftlich bis heute nicht argumentierbaren Wunsch Jörg Haiders, einen langen Koralm-Tunnel durch die einsame Bergwelt zu bohren, nachgegeben hat. Wenig glanzvoll war auch die Einführung der Studiengebühren knapp nach der Garantieerklärung durch Schüssels Unterrichtsministerin Gehrer, dass es keine solchen geben werde. Und die Stundenkürzungen in den Schulen entsprachen vielleicht dem Sparziel Schüssels, aber sicher nicht dem Leistungsprinzip.

Die EU hat sich geändert, Schüssels EU-Bild nicht

Aber die meisten Einwände gegen allzu große Begeisterung über ein Schüssel-Comeback beruhen darauf, dass sich Europa in dem Jahrzehnt nach seinem Abgang gravierend geändert hat, dass Schüssel aber noch allzusehr in der damaligen Denkwelt zu stecken scheint. In dieser war die EU noch (trotz der einstigen Sanktionen) ein unbestritten strahlender Fixstern am Horizont. Heute sieht aber wohl ein David Cameron in Sachen Überregulierung die Probleme Europas klarer als Schüssel. Oder die finnische und niederländische Regierung in Sachen Euro und Griechenland.

Vor allem gibt es keinerlei Hinweis, dass sich Schüssel des allergrößten Problems Europas bewusst ist: nämlich der dramatischen Bedrohung durch die größte Völkerwanderung der Geschichte. Da hört man von ihm nur ähnliche Phrasen wie von vielen anderen. Hingegen gibt es kaum Zweifel, dass er mit allen anderen Problemen Europas vom Balkan bis zur Ukraine wohl recht gut umgehen könnte.

Kein Partner will Schüssel

Was aber am sichersten alle Utopien platzen lassen würde: Ein Comeback Schüssels kommt insbesondere deshalb nicht in Frage, weil er keinen Koalitionspartner finden würde. Die SPÖ ist sowieso voll des Hasses auf ihn. Und zu Strache hat Schüssel noch in seiner Amtszeit selbst die Brücken wohl irreversibel abgebrochen (weil er damals noch ganz auf Haider und dessen BZÖ gesetzt hat).

Daher bleibt ein Comeback Schüssels wohl bloß ein Thema für spannende Salongespräche. Auch wenn er der Einzige wäre, der die Volkspartei noch aus ihrer Agonie retten und vielleicht gar in die Nähe der 42 Prozent Schüssel-Wähler aus dem Jahr 2002 zurückführen könnte oder gar darüber hinaus. Wobei ja auch die 34 Prozent seiner letzten Wahl weit mehr sind, als die ÖVP heute hat. Und dieser Absturz ist ja nur deshalb passiert, weil damals Schüssels Wiederwahl sicher schien; weshalb viele Schüssel-Wähler von 2002 entweder grün oder blau wählten im Glauben, dass es nur noch darum ginge zu entscheiden, mit wem Schüssel die nächste Koalition bilden würde.

Für Salon-Utopien bleibt aber trotz allem ein neuerliches Schwarz-Blau mit Schüssel ein prickelndes Thema. Schwarz-Blau könnte mit einer positiven Arbeitsteilung jenseits aller persönlichen Ressentiments sogar funktionieren:

  • Die ÖVP lässt im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik wieder die Vernunft zu Wort kommen, durch Budgetsanierung, Deregulierungen, Privatisierungen, nachhaltige Pensionsreformen sowie den Einsatz für Handelsverträge a la TTIP.
  • Die FPÖ hingegen sorgt im Bereich der Migrations- und Asylpolitik für eine mutige Umkehr, setzt die direkte Demokratie durch und sorgt bei der Bildungs- und Familienpolitik für jene Werte, für die einst die ÖVP gestanden war.

Wenn aus Smalltalk Ernst würde

Aber das alles ist eben nur Salon- und Party-Smalltalk. Aus ihm würde nur in einem einzigen Fall Ernst. Diesen Fall sollte sich niemand wünschen, ihn kann aber leider auch niemand mehr ganz ausschließen: Das wäre ein Totalcrash Österreichs nach griechischem Muster. Dann könnte der Ruf nach einem Retter des Vaterlands überlaut werden.

Er könnte so laut werden wie etwa jener Ruf, mit dem die Franzosen 1958/59 Charles de Gaulle mit gigantischer Mehrheit an die Spitze einer komplett abgewirtschafteten Republik gerufen hatten, nachdem er sich 1946 als Weltkriegsheld und erster Nachkriegs-Ministerpräsident gekränkt zurückgezogen hatte. De Gaulle war bei seinem Comeback 68; und er blieb, bis er 79 war . . .

 

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