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Die Wahrscheinlichkeit eines Grexit wächst, eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euroraum. Die Ängste in Brüssel werden immer größer. Umso größer ist das Erstaunen, wenn man ein paar Tage lang selbst durch Griechenland reist.
Denn dort wird diese Perspektive nicht nur von allen ignoriert. Der Lokalaugenschein straft auch die vielen Berichte Lügen, die den Eindruck eines verzweifelten und darbenden Landes vermitteln.
So sieht man an einem Tag in Wien weit mehr Bettler als an drei Tagen etwa in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Im dortigen Restaurant- und Ausgehviertel herrscht hingegen jeden Abend ein dichtes und vergnügtes Treiben. Vor keinem Bankomaten habe ich auch nur einen einzigen Menschen warten gesehen; doch die Geldautomaten waren keineswegs außer Betrieb: Jeder hat problemlos 400 Euro ausgespuckt.
Auch der Straßenverkehr ist sehr dicht, obwohl der Benzinpreis deutlich über dem österreichischen liegt. Und wenn Griechen sagen, sie seien früher viel mehr Auto gefahren, dann wundert man sich ein wenig: Wo soll denn dafür noch Platz gewesen sein?
Gewiss: In kleineren Dörfern sieht man viele verfallene Häuser und geschlossene Geschäfte. Aber das dürfte weniger eine Folge der Krise sein, sondern der Landflucht und der drittniedrigsten Geburtenrate der EU. In allen Mittelmeerländern boten Orte ohne Strand und Industrie schon lange vor der Krise ein sehr ähnliches Bild. Und in Griechenland sinkt die Einwohnerzahl, während sie ja in Österreich durch Zuwanderung massiv steigt.
Besonders auffällig ist der Eindruck eines unverändert respektablen Wohlstands der Griechen, wenn man auch Bulgarien und Mazedonien besucht. Dort ist alles sichtbar ärmer, von der Kleidung bis zu den Autos, Straßen und Häusern.
Spricht man freilich mit Griechen über die Krise, so hört man sofort immer denselben Wortschwall: Von diesem Einkommen könne man doch nicht leben! Man stößt mit Hinweisen auf völlig taube Ohren, dass in vielen osteuropäischen Ländern innerhalb und außerhalb der EU das Durchschnittseinkommen oft nicht einmal halb so hoch ist wie in Griechenland; dass die Mindestpensionen dort im Vergleich noch viel niedriger sind; und dass die griechischen Lohnkosten und das unflexible „soziale“ Arbeitsrecht nach wie vor jeden Investor abschrecken.
Die griechischen Klagen unkritisch wiedergebend haben ausländische Fernsehstationen in den letzten Jahren am Fließband Tränendrüsen-Reportagen über ein ausgepowertes und darnieder liegendes Land produziert. Dabei haben sie volle Restaurants, gut gekleidete Passanten und Bankomaten ohne Menschenschlangen stets ausgeblendet. Daher haben diese Reportagen ja auch bei mir den gewünschten Eindruck der Betroffenheit erzielt. Der angehalten hat – bis ich mir selber ein Bild von „Not und Elend“ der Griechen machen konnte.
Nun bin ich gespannt, ob es die griechische Regierung auch diesmal wieder schafft, diese Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit in klingende Kreditmünze zu verwandeln.
Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.