Die Todesstrafe und politische Massenmorde
01. Mai 2015 00:50
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 5:00
Europas – und auch Österreichs – Politiker waren eine Woche lang so erregt, dass sie vor lauter Schnappatmung zu ersticken drohten. Vor allem, aber nicht nur Sozialdemokraten haben sich dabei in einen besorgniserregenden Zustand versetzt. Der Anlass: Der ungarische Premier Orban hatte laut über die Todesstrafe nachgedacht. Während die Reaktionen auf eine einzige Äußerung Orbans so heftig waren, als hätte dieser die Einführung von Vernichtungslagern und den Einsatz von Atombomben gleichzeitig angekündigt, machen bei nüchterner Betrachtung ein paar Vergleiche stutzig.
Ein Vergleich bezieht sich etwa auf das unterschiedliche Verhalten der EU-Political-Correctness gegenüber Ungarn und Rumänien. Denn während gegen Ungarn wegen der bloßen Erwägung der Todesstrafe – nach einem schockierenden Mord – die dicke Berta aufgefahren worden ist, hatte das gesamte Aufregungs-Kartell 25 Jahre lang keinen einzigen Ton zum Fall Rumänien gesagt.
Dabei hätte es dort viel mehr Grund dazu gegeben: Denn dieses Land hat bis vor kurzem überhaupt nichts unternommen, um die Vorkommnisse in den kommunistischen Gefängnissen vor 1989 auch nur zu untersuchen: die unerträglichen Haftbedingungen, die zahllosen Folterungen und die vielen Hinrichtungen. Erst jetzt – also seit Rumänien zum ersten Mal einen wirklich durch und durch rechtsstaatlich denkenden Staatspräsidenten hat – werden die Geheimakten zu den Gefängnissen des Ceausescu-Regimes veröffentlicht. Ein Vierteljahrhundert wurde geschwiegen und vertuscht.
Jetzt haben schon die ersten Akten enthüllt, dass allein zwischen 1957 und 1962, also in bloß fünf Jahren in einem einzigen rumänischen Gefängnis 103 politische Gefangene – also durchwegs Unschuldige! – getötet worden sind. Und unzählige weitere Menschen schwer gefoltert und viele Jahre eingekerkert.
Das waren und sind für viele Politiker offensichtlich vernachlässigenswerte Kavaliersdelikte in der Kategorie von Falschparken. Für Parlamentspräsident Schulz (also den Mann, der sich immer von einem Butler den Stuhl unter seinen Allerwertesten schieben lässt) ebenso wie für Othmar Karas. Um nur zwei der besonders eifrigen Ungarn-Hyperventilierer zu nennen. Völkermorde und schwerste Menschenrechtsverletzungen hat es für diese Politikerklasse offenbar nur vor 70 oder 100 Jahren gegeben, aber nie in den 70 Jahren danach. Wir lernen: Gutmenschentum ist etwas sehr Selektives. Vor allem, wenn die Täter noch leben.
Zurück zur Todesstrafen-Diskussion. Schulz&Co können jetzt wieder erleichtert durchatmen, weil Viktor Orban inzwischen das Thema ohnedies wieder von der „Tagesordnung“ genommen hat. Dennoch sollte man sich die wichtigsten Eckpunkte in Erinnerung rufen:
- Im engmaschigen europäischen Rechtssystem ist kein Platz mehr für Todesstrafen. Ein Land, das diese dennoch einführen wollte, müsste so viele Konventionen und Mitgliedschaften aufkündigen, dass es sich selbst weitaus am meisten bestrafen würde.
- Ich selbst lehne seit Jahrzehnten die Todesstrafe ab. Aus einem einzigen, aber gewichtigen Grund: nicht aus Humanitätsduselei, sondern weil die Möglichkeit eines Fehlurteils, also die Hinrichtung eines Unschuldigen, nie ganz auszuschließen ist. Gerade in letzter Zeit sind in Amerika wieder etliche Menschen, die zuerst zum Tode verurteilt und dann zu „lebenslänglich“ begnadigt worden waren, nach Jahrzehnten als unschuldig rehabilitiert worden. Man hat ihnen zwar auch durch das einstige Fehlurteil einen unwiederbringlichen Teil ihres Lebens geraubt, aber wenigstens nicht das Leben selber. Selbst Geständnisse geben angesichts vieler psychisch schwer gestörter Menschen und angesichts immer wieder vorkommender böser Verhörmethoden keine absolute Sicherheit über die Identität eines Täters. Außerdem würde kein (vernünftiger) Täter mehr ein Geständnis ablegen, wenn das nicht mehr wie heute ein Milderungsgrund wäre, sondern die direkte Voraussetzung für die allerschlimmste Strafe.
- Dennoch sollte man sich zugleich mit einiger Gelassenheit bewusst machen: Die Todesstrafe war nicht nur während fast der gesamten Menschheitsgeschichte fast überall eine Selbstverständlichkeit. Sie ist auch heute noch in einem Großteil der Welt Praxis. Nicht nur in Amerika, China und vielen islamischen Ländern, sondern auch in Japan, Indien oder Singapur. Auch Russland hat sie noch nicht endgültig aus den Gesetzbüchern eliminiert. Und in Österreich wurden nach 1945 noch 30 Todesurteile vollstreckt. Es wäre absurd, nur wegen der Existenz der Todesstrafe zu sagen, all diese Länder seien (oder waren) Diktaturen und verbrecherische Unrechtsregime. Die Todesstrafe kann im Gegenteil vielfach Teil eines durchaus ordentlichen Rechtssystems mit breiter demokratischer Unterstützung sein.
- Daher kann es auch heute in Europa kein Verbrechen sein, gelegentlich über die Todesstrafe ohne Schaum vor dem Mund zu diskutieren. Wie ja überhaupt auf Grund der Meinungsfreiheit jede Diskussion erlaubt sein sollte. Von einer immer engstirniger und intoleranter werdenden Political Correctness werden jedoch immer mehr Diskussionen und Gedanken auf den Index gesetzt.
- Man sollte jedoch auch in bei einer sachlichen Diskussion Denkfehler vermeiden und sich klarmachen: Die Todesstrafe hat keinerlei abschreckende Wirkung. Es gibt keinen einzigen Kriminellen, der kalkulieren würde: Ich begehe die Tat, weil ich dann ja nur mit „lebenslang“ bestraft werde; ich würde sie aber dann nicht begehen, wenn ich mit der Todesstrafe belegt würde. Das einzige, was einen potentiellen Täter bisweilen abschrecken kann, ist vielmehr eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Daher ist es besonders skurril, wenn die nachweisliche Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Fahndungserfolgen bei Gewaltverbrechen durch eine Vorratsdatenspeicherung (die jetzt in Frankreich zu etlichen Erfolgen geführt hat) von den gleichen Politikern abgelehnt wird, die sich jetzt so über Orban aufgeplustert haben.
- Von jener Religion, die manche Menschen sogar zu der Einstellung bringt, sich ein baldigen gewaltsamen Tod zu wünschen, damit sie dann im Jenseits unzählige sexuelle Freuden genießen können, wollen wir da ja gar nicht reden.
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