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Der britische Premier David Cameron hat die Wahl verdient gewonnen. Er hat sogar eine knappe absolute Mehrheit erreicht. Ein ganz unerwarteter Triumph. Verdient ist der Erfolg der Tories vor allem deshalb, weil sich die britische Wirtschaft unter allen G7-Staaten am besten entwickelt hat. Der neuerliche Erfolg (neo)liberaler Wirtschaftspolitik wird zwar alle linken Schulden-Freaks ärgern, aber die englischen Wähler sind mehrheitlich damit zufrieden. (Dieser Beitrag wurde entgegen den sonstigen Gewohnheiten des Tagebuchs komplett überarbeitet, da die endgültige Auszählung der Stimmen den Tories sogar eine knappe absolute Mehrheit gebracht hat, während sie in der Nacht noch darunter gelegen zu sein schienen)
Das britische Wahlergebnis ist eine schallende Ohrfeige für alle Prognosen, die ja ein ganz knappes Rennen zwischen den Konservativen und Labour angekündigt hatten. Konservative und Rechte schneiden bei Meinungsumfragen fast immer schlechter ab als dann am Wahltag (siehe auch die FPÖ in Österreich oder die AfD in Deutschland). Ihre Wähler sind weniger gewillt als Linksgewendete, ihre Meinung Dritten mitzuteilen. Aber in der Demokratie entscheidet die Wahlurne und nicht ein Umfrage-Institut. Es wird wohl auch so sein, dass immer mehr Menschen - vor allem die ideologisch weniger versteinerten - sich erst im letzten Moment entscheiden, wem sie das Schicksal des Landes anvertrauen.
Und bei diesen Spätentscheidern ist immer wieder ganz eindeutig die Wirtschaft ausschlaggebend. Und die ist ein Gebiet, auf dem Cameron große Erfolge erzielt hat. Die Briten wollen seit der historischen Wende unter Margaret Thatcher, die mit ihren harten Reformen ein damals sehr krankes Land radikal modernisiert hatte, nicht wieder zurück zu sozialistischen Experimenten. Dementsprechend hatte Labour bei ihnen nur eine Chance, als Tony Blair an der Spitze der Partei stand, ein Mann, der weitestgehend den Kurs Thatchers fortsetzte.
Wenn Cameron gut beraten ist, dann sucht er aber auch seine knappe Mehrheit abzusichern, durch eine Koalition mit Ministern einer zweiten Partei oder durch ein bloßes parlamentarisches Bündnis. Denn das britische Wahlrecht dürfte wohl bald zu der einen oder anderen Nachwahl führen. Und bei Nachwahlen geben die Briten gerne der jeweiligen Regierung eine Ohrfeige. Dann könnte Cameron bald wieder ohne Mehrheit dastehen. Trotz seines Triumphes, der gleich drei konkurrierende Parteichefs in den ersten Stunden nach der Wahl zum Rücktritt veranlasst hat (bei Labour, LibDem und UKIP).
Cameron könnte das neuerlich mit den - freilich schwer dezimierten - Liberaldemokraten versuchen. Er könnte aber auch mit dem zweiten großen Wahlsieger, den schottischen Nationalisten, ins Gespräch kommen.
Das wäre noch aus einem zweiten Grund klug: Muss Großbritannien doch sowieso das Verhältnis zwischen dem gemeinsamen Zentrum und England wie Schottland neu ordnen. Und auch Wales und der Sonderfall Nordirland sind nicht ganz vergessen. Da ist es fast zwingend, dass das nur in einem Dialog mit der Schottland derzeit total dominierenden Partei gelingen kann. Gleichzeitig muss ja auch die leicht skurrile Situation endlich geregelt werden, dass Schottland ein eigenes Parlament, eine Art Landtag, hat, England aber nicht. Seine Angelegenheiten werden vom britischen Unterhaus geregelt, wo also auch die über 50 schottischen Abgeordneten über rein englische Themen mitstimmen.
Bei Labour hat Ed Miliband eine schwere Enttäuschung erlitten. Er hat bei manchen Briten schon deutliche Minuspunkte erlitten, als er gegen seinen eigenen Bruder die Parteiführung erobert hat. Er hat im Wahlkampf außer einem attraktiven Aussehen und ein paar linken Sprüchen nichts zu bieten gehabt. Sein Rücktritt ist nun logische Folge. Wir werden sehen, in welche Richtung Labour jetzt geht. Denn irgendwann wird zwangsläufig die konservative Ära zu Ende gehen. Nirgendwo kann und soll eine Partei ewig regieren.
Es haben noch etliche andere Parteien kandidiert. Diese haben zwar rund 20 Prozent der Stimmen eingefahren. Sie konnten das aber in fast keinem Wahlkreis in Unterhaus-Sitze umwandeln. Das zeigt die minderheitenfeindliche Problematik des britischen Wahlrechts.
Vor allem die Vernichtung der EU-Austrittspartei UKIP ist überraschend. UKIP hat den Mund zuletzt ja sehr voll genommen. Die Partei wird von den meisten Wählern aber nur beachtet, wenn diese bei Nachwahlen ihren Zorn ausdrücken wollen. Echte Regierungsbefugnisse will man ihr aber nicht geben. Und die Anti-EU-Stimmung, die es in Großbritannien immer gegeben hatte, wurde ja schon von Cameron selbst mit der Ankündigung auf seine Mühlen gelenkt, ein EU-Austrittsreferendum abzuhalten. Das wird nun sicher stattfinden.
Und damit sind wir aber auch bei der großen Schattenseite des Wahlsiegs der Tories. Denn die Gefahr eines britischen Austritts ist nun deutlich gewachsen. Das wäre sehr schlecht für die britische Wirtschaft. Das wäre besonders schlecht für die EU. Nicht nur weil damit ein gefährlicher Präzedenzfall gesetzt ist, der am Ende sogar zu einem Zerfall der Union führen könnte. Das ist auch deshalb schlecht, weil Großbritannien in der EU immer die wichtigste Stimme des gesunden Menschenverstandes gewesen ist, weil es zwar sehr vorbildlich den Binnenmarkt realisiert hat, aber sonst kontinuierlich gegen alle Überregulierungsversuche und Einmischungen der EU in andere Materien aufgetreten ist.
Ohne Großbritannien droht die EU zu einem deutsch-französischen Direktorium zu verkommen, das Europa in Richtung eines autoritären Zentralstaates hinzwingt. Und das ist ungefähr das Letzte, was wir brauchen.
Aber vielleicht sagt bei dem Referendum ja die Mehrheit der Briten gar nicht: Europa, wir haben genug. Oder vielleicht ändert sich die EU schon vorher so, dass alle britischen Wünsche erfüllt sind. Die sind zwar fast alle vernünftig, aber nur Angela Merkel scheint bereit, darauf einzugehen. Sonst geben da in Brüssel derzeit nur die tumben EU-Zentralisten den Ton an.
PS: Der dicke Schlechtpunkt in Camerons Laufbahn ist die Tatsache, dass er (zusammen mit Frankreich) Libyen bombardierte – bis Muamar Gadhafi tot war. Das Nachfolgechaos ist bekannt.