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Der zuletzt an dieser Stelle heftig getadelte österreichische Verfassungsgerichtshof ist diesmal zu loben. Und zwar gleich doppelt. Wegen der Abweisung der Beschwerde eines Deutschen über die Quote beim Medizinstudium. Und wegen der Aufhebung der Regelungen der Gutachter-Bestellung im Strafprozess. Weniger positiv ist seine Entscheidung gegen das „kleine Glücksspiel“ zu werten; auch wenn ihr viele zustimmen mögen.
Der Reihe nach:
Die Ablehnung der Beschwerde gegen die Medizin-Quote ist jedenfalls eine Entscheidung im nationalen Interesse. Denn würde der Zustrom völlig ungehindert an die Medizin-Unis kommen können, wären Österreichs Medizin-Unis mit einer noch größeren Überschwemmung durch deutsche Studenten konfrontiert, wie man sie in anderen Studienrichtungen schon seit Jahren sieht. Und wie sie Österreich von Jahr zu Jahr mehr Geld kostet, da ja selbst das teure Medizinstudium auf Wunsch der SPÖ total kostenfrei ist.
Das nationale Interesse reicht aber weit über das finanzielle hinaus: Denn es droht in den nächsten Jahren ein massiver Ärztemangel. Dieser wäre noch viel schlimmer geworden, wenn Österreich nicht wenigstens 75 Prozent der Studienplätze für Landsleute reserviert hätte. Freilich: Da sich die Politik (konkret: Krankenkassen und Bundesländer) weigert, Ärzte konkurrenzfähig zu bezahlen, wandert auch von den österreichischen Medizinabsolventen ein immer größerer Teil ins Ausland ab. Sie wollen nämlich nach der langen Ausbildung mehr als ein Akkordarbeiter-Gehalt verdienen, wie es ihnen die Gewerkschaftsfunktionäre in den Krankenkassen-Verwaltungen zubilligen.
Daher ändert die VfGH-Entscheidung noch nicht viel am künftigen Ärztemangel. Sie verhindert nur die Entstehung eines zusätzlichen Problems.
Freilich: In einem echten Rechtsstaat dürften niemals nationale Interessen Gerichts-Entscheidungen beeinflussen. Aber wir leben halt nicht in einer perfekten Welt. Diese ist in der Frage Medizinstudium – abgesehen vom parteipolitisch verschuldeten Wahnsinn der Studiengebührenfreiheit – pikanterweise vor allem aus Verschulden des Europäischen Gerichtshofs so wenig perfekt. Denn dieser hat vor Jahren die absolut gerechte und sinnvolle österreichische Regelung gekippt, dass Deutsche in Österreich nur dann studieren dürfen, wenn sie das auch daheim dürfen. Also wenn sie den in Deutschland geltenden Numerus clausus erreichen.
Übrigens hat inzwischen offenbar auch der EuGH eingesehen, dass er mit jenem einstigen Urteil einen Bock geschossen hat. Und er toleriert seither die – rechtlich im Vergleich zur einstigen Praxis eigentlich viel unsauberere – Quotenlösung Österreichs.
Überhaupt keine Einwände kann es gegen die nun dekretierte Sichtweise des VfGH zur Strafprozessordnung geben, auch wenn sie die größte Umwälzung im heimischen Justizsystem seit der (total gescheiterten) StPO-Neuordnung ist. Es ist einfach eines Rechtsstaats nicht würdig, dass die gleichen Gutachter, die im Dienst der Strafverfolgungsbehörden stehen, dann auch als objektive gerichtliche Gutachter amtieren.
Es mögen zwar alle Einwände der Staatsanwaltschaft formal stimmen, dass sie doch ohnedies selbst zur Objektivität verpflichtet wäre. Ebenso formal richtig ist der Hinweis, dass Sachverständige ja frei im Inhalt und Ergebnis ihres Gutachtens wären.
Aber Tatsache ist auch, dass zumindest ein Sachverständiger (in der Meinl-Causa) einen Auftrag wieder unter Protest zurückgelegt hat, weil die Staatsanwaltschaft „Druck“ auf ihn ausgeübt hat. Was sich wohl nicht viele Gutachter leisten können. Daher wird es wohl Druck auch in vielen anderen Causen geben.
Und Tatsache ist ebenso, dass im Kopf jedes Sachverständigen ein logischer Zusammenhang bestehen muss: „Wenn ich bei Gutachten des öfteren zum Schluss komme, dass ich da im Gegensatz zum Verdacht der Staatsanwaltschaft nichts Strafbares sehe, werde ich wohl künftig weniger oder gar keine Aufträge zu weiteren Gutachten bekommen. Denn die Staatsanwaltschaft kann ja nur wenig Lust haben, ständig für zur Einstellung führende Gutachten Geld zu zahlen, das dann auf ihrem Budget lastet.“ Daher kann nie davon ausgegangen werden, dass alle Sachverständigen der Staatsanwaltschaft wirklich total objektiv und unbefangen sind.
Dieses VfGH-Erkenntnis ist ein großer Gewinn für den Rechtsstaat. Es ist damit endlich wieder einmal ein Grund zur Freude in diesem Staat. Man sollte im übrigen auch nicht verschweigen, dass es nur durch einen mutigen Kampf des jetzigen OGH-Präsidenten überhaupt angestoßen worden ist.
Nun werden Pragmatiker besorgt einwenden, dass Prozesse noch viel länger dauern werden, als sie es ohnedies schon tun, wenn erst im Prozess durch den Richter ein neuer, objektiver Gutachter bestellt wird. Dem ist zweierlei entgegenzuhalten:
Erstens sollten Richter durchaus wieder viel öfter den Mut haben, Sachverhalte selbst zu beurteilen und sich nicht in allem und jedem auf Sachverständige zu verlassen.
Zweitens könnte man ja relativ leicht einen Prozess-Mechanismus entwickeln, dass ein Sachverständiger bereits im Vorverfahren nur im Einvernehmen zwischen Ankläger und Verteidiger bestellt werden kann. Oder dass es schon in dieser Phase ein unabhängiger Richter ist, der bei Nichteinigung einen Sachverständigen bestimmt.
Eher zweifelhaft ist hingegen, ob die vor kurzem schon beschlossene Novelle zur Strafprozessordnung in Hinblick auf die Gutachterbestellung schon die volle Waffengleichheit herstellt. Aber das war nicht Inhalt der VfGH-Entscheidung. Die Novelle gibt dem Beschuldigten jetzt wenigstens Einspruchsgründe, wenn er eine Befangenheit oder "begründete" Zweifel an der Sachkundean der Sachkunde des nominierten Sachverständigen anführen kann. Das ist schon was, aber noch keine volle Waffengleichheit.
Der Spruch des VfGH in Sachen kleines Glücksspiel ist viel mehr ambivalent. Auch wenn wir von der Tatsache absehen, dass dahinter ebenfalls eine Interessen-Judikatur stehen könnte (denn der Spruch macht ja die rote Gemeinde Wien zum Sieger). Auch wenn wir durchaus jede Kritik am Glücksspiel und den damit zusammenhängenden Süchten als legitim anerkennen.
Viel gravierender ist aber ein anderes Argument: Es ist in der ganzen Menschheitsgeschichte noch nie gelungen, das Glücksspiel auszurotten. Ebensowenig wie bei Alkohol oder Pornographie. Im Gegenteil: Je strenger etwa die Prohibition – denken wir nur an die USA – gewesen ist, umso mehr hat die Illegalität und Kriminalität geblüht und profitiert.
Beim Glücksspiel kommt noch dazu, dass das Ausweichen der Spieler und der Süchtigen auf dunkle Spielhöllen im Zeitalter des Internets leichter denn je geworden ist. Wo dann nicht nur die Sucht ungehindert wütet, sondern auch der Betrug am Spieler viel leichter ist als bei Automaten in Gasthäusern. Überdies schaut der – in den letzten Jahren am Glücksspiel sehr gut verdienende – Fiskus umso mehr durch die Finger, je mehr dieses in die Illegalität verdrängt wird.
Freilich ergeben all diese Erwägungen nicht unbedingt eine Verfassungswidrigkeit. Eigentlich sollte sie daher primär der Gesetzgeber – im konkreten Fall der Wiener Landtag – anstellen.
Noch aus einem anderen Grund bleibt ein gewisses Unbehagen: Ist doch neben dem Internet der größte Nutznießer eines Verbots des Wirtshaus-Glücksspiels ein staatlicher Glückspielkonzern. Hat der VfGH nicht bei der strafprozessualen Gutachter-Frage zu Recht von „Waffengleichheit“ (zwischen dem staatlichen Ankläger und dem privaten Angeklagten) gesprochen? Warum tut er das nicht auch hier?