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Ein kurzer Überblick über die österreichische Innenpolitik: „Wir machen, was wir wollen.“ Flapsiger kann man es nicht mehr formulieren. So schmetterte der Wiener Bürgermeister den zarten Wunsch seines Parteichefs ab, mit den (Bestechungs-)Inseraten in Zeitungen doch etwas sparsamer zu sein.
Das zeigt die wahren Machtverhältnisse in der SPÖ. Die Kronenzeitung, die den Löwenanteil der Inserate des Wiener Rathauses bekommt (sowie das im gleichen Stall stehende „Heute“), hat die SPÖ an der kurzen Leine. Und die Wiener SPÖ hat die Bundespartei an ihrer Leine. Alles Gerede, dass doch eigentlich Bundeskanzler, Regierung und Nationalrat am wichtigsten wären, ist reine Verfassungsfiktion. Kronenzeitung, „Heute“ und „Österreich“ sind mächtiger. Und sie haben nur ein einziges Interesse: Geld. Dieses Interesse wird als Folge der Bilanzzahlen und Verkaufsrückgänge derzeit überdies rasch größer.
Das Wiener Rathaus ist für die SPÖ viel wichtiger als der Bund. Es ist ihre zentrale Festung. Dort kann man mehr Posten vergeben als im Bund. Dort kann man weit mehr Millionen an ideologisch nahestehende Vereine leiten. Dort kann man auch immer noch versuchen, mit Wohnungsvergaben Wähler zu kaufen. Von der Wiener SPÖ geht auch eine stärkere gesellschaftspolitische Linkslastigkeit aus als in den meisten Bundesländern. Sie setzt ganz auf: Kampffeminismus, Schwulenorientierung, Familienfeindlichkeit, Leistungsaversion, Gesamtschule, Islamfreundlichkeit, Zuwanderung, Sozialmissbrauch, Gleichmacherei. Um nur die wichtigsten Orientierungspunkte zu nennen. Lediglich in Vorarlberg und Oberösterreich ist die SPÖ ähnlich linksradikal wie in Wien.
Der andere Machtpol in der SPÖ ist das Konglomerat Gewerkschaft/Arbeiterkammer. Im restlichen Europa hingegen haben fast alle sozialdemokratischen Parteien erkannt, dass eine zukunftstaugliche Politik, die trotz Krise den Wohlstand zumindest halbwegs bewahren will, auch die Loslösung von den Gewerkschaften und ihrer Retro-Politik bedeuten muss. Die deutsche SPD hatte immer schon im Gegensatz zu den Austromarxisten eine wirtschaftsnahe Tradition; unter Schröder hat sie mit der (die Sanierung auslösenden) Agenda 2010 sogar den Bruch mit der Gewerkschaft und die Entstehung einer neuen Linkspartei in Kauf genommen. In Großbritannien war der Sozialdemokrat Tony Blair der zweite Inbegriff einer vernünftigen Wirtschaftspolitik nach Margaret Thatcher. Auch in Italien und Frankreich sehen heute führende Sozialdemokraten spät aber doch ein, dass man im Interesse der Zukunft des Landes Konflikte mit der Gewerkschaft riskieren muss. In der Euro-Gruppe ist ein niederländischer Sozialdemokrat als Chef weit konsequenter gegenüber Griechenland als davor der Luxemburger Christdemokrat.
In Österreich hingegen passt kein Blatt Papier zwischen SPÖ, AK und ÖGB. Das zeigt sich besonders provozierend beim aktuellen Steuer-Umverteilungspaket. Dieses Paket erfüllt nicht nur fast alle ÖGB/AK-Wünsche. Es schiebt überdies der Arbeiterkammer zusätzliche Millionen an Pflichtbeiträgen zu, während Millionen Österreicher unter den neuen Lasten und Schikanen des Pakets stöhnen. Die AK macht auch in jedem Wahlkampf hocheffiziente Propaganda für die SPÖ durch serienweise Veröffentlichung ihrer „Studien“. Von der AK fließt auch dickes Geld in den ORF, das hilft, diesen noch stärker als Propagandabastion des linken Blocks auszubauen.
Der wohl größte Fehler der schwarz-blauen Zeit war es, nicht den Pflichtbeitrag (0,5 Prozent von jedem Lohn) an die AK abgeschafft oder reduziert zu haben. Das hat man sich letztlich nicht getraut. Das ist aus mehreren Gründen schade:
Neben den Machtpolen Rathaus und AK/ÖGB sind die SPÖ-Bundespolitiker und erst recht die übrigen Bundesländer in der Partei völlig unbedeutend, sind Hampelmänner ohne eigenen Spielraum. Mit einem Federstrich würden diese beiden Machtzentren etwa Werner Faymann hinauswerfen, sobald sie sich von einem anderen Gesicht auf den Plakaten mehr erwarten.
Die zweite Linkspartei, die Grünen, sind schnell charakterisiert: Sie versuchen in beiden Zentralbereichen – Gesellschaftspolitik und Wirtschaftspolitik – jeweils noch linker zu sein als die SPÖ. Dazu kommt ihr enger Schulterschluss mit der NGO-Industrie, die von der Panikmache gegenüber allen für einen Wiederaufschwung unabdingbaren Begriffen lebt (Atom, Gen, Hormon, Fracking, Deregulierung, Privatisierung, Freihandel usw.).
Der traditionelle bürgerliche Gegenpol zur Linken war jahrzehntelang die ÖVP. Sie stand für liberale Wirtschaftspolitik und konservative Gesellschaftspolitik, das Erfolgsrezept der Nachkriegspolitik. Zugleich war die ÖVP auch immer sehr stark in bestimmten Gruppen und deren Vertretungen verankert: im bäuerlichen Milieu, bei Gewerbetreibenden und Industrie, bei Bundesbeamten und Lehrern, bei Kirchgängern und konservativen Bildungsbürgern. Ganz anders sind ja die SPÖ-Milieus: Arbeiter, Pensionisten, Gemeindebeamte und Eisenbahner, die subventionsgeile Kulturschickeria sowie in den letzten Jahren auch die Neoösterreicher.
Viele dieser VP- und SP-Milieus schrumpfen. Nur das der Migranten wächst. Zugleich hat es keine der beiden Parteien geschafft, die neuen Massen, Angestellte und Einzelpersonenunternehmer, an sich zu binden.
Die SPÖ klammert sich seit 2008 vielmehr stärker denn je seit 1967 (Wechsel Pittermann/Kreisky) an ihre traditionellen Ideologien. Lediglich die steirische SPÖ hat erkannt, dass diese im 21. Jahrhundert nicht mehr funktionieren. Nur sie setzt – gemeinsam mit der dortigen ÖVP – auf mutige Reformen.
In der ÖVP gibt es hingegen überhaupt keine Grundsätze mehr, es werden lediglich noch die Interessen einiger Berufsgruppen verfochten. Die ÖVP hat nach Schüssel – vor allem unter Josef Pröll und unter Reinhold Mitterlehner – praktisch alle programmatischen Inhalte aufgegeben: liberale Ordnungspolitik und katholische wie konservative Werte (wie: Heimat, Familie, Leistung, Eigenverantwortung, Hochkultur, persönliche Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Österreich).
Die Reaktion der Bürger zeigen fast alle Wahlen und Umfragen: die Österreicher wenden sich in einem für die Republik legitimitätsgefährdendem Ausmaß nicht nur von diesen beiden Parteien, sondern von der repräsentativen Demokratie insgesamt ab. Seit Jahren steigt die Wahlabstinenz steil. Und das Vertrauen in die Politiker liegt schon weit unter 30 Prozent.
Eine erschreckende Bilanz. Bietet die Opposition da noch eine rettende Alternative?
Die Neos offerieren eine seltsame Mixtur: wirtschaftspolitisch rechts, gesellschaftspolitisch ganz links (plus eine seltsame Esoterik). Eine Mischung, die freilich fast niemanden anspricht außer ein paar Journalisten.
Das BZÖ unter Haider und das Team Stronach haben zwar eine Zeitlang Erfolge gehabt, als sie die einstige ÖVP-Kombination verkörperten: wertkonservativ und wirtschaftsliberal. Beide sind aber längst wieder verblasst. Ohne Apparat und Organisation haben sie nur von der Strahlkraft ihres jeweiligen Chefs profitiert. Die es aber heute nicht mehr gibt.
Bleibt die FPÖ. Sie wächst weiter, aber längst nicht mehr mit den Zuwachsraten der 80er und 90er Jahre. Auch sie leidet daran, dass sie keine Organisationen oder Kammern oder Länder als Macht- und Kräftereservoir hat. Sie positioniert sich heute aber auch strategisch anders als in Zeiten ihres steilen Aufstiegs. Sie greift zwar mit einer klar wertkonservativen Position gesellschaftspolitisch weiterhin die ÖVP an; mit sehr linken wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen jedoch heute auch die SPÖ. Kann daraus eine dauerhaft funktionierende Alternative erwachsen? Ich zweifle, da linke Wirtschaftspolitik scheitern muss und immer noch gescheitert ist – auch wenn sie am Wahltag durchaus hilfreich ist.
Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form auch in den "genius.co.at">Genius-Lesestücken" (www.genius.co.at) erschienen, einer unabhängigen Online-Zeitschrift zu den großen Fragen der Zeit.