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Späte Einsicht ist besser als gar keine Einsicht. Das kann sich die amerikanische Regierung zweifellos jetzt in Sachen Syrien zugute schreiben. Ganz im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich.
Die USA sprechen seit Jahren erstmals (wieder) davon, dass man mit dem syrischen Präsidenten Assad doch verhandeln werde müssen. Eine erstaunliche Wende. Dahinter steht wohl – unausgesprochen – die Erkenntnis, dass man sich mit dem Feind seines Feindes arrangieren muss. Auch wenn der ein ziemlich übler Diktator ist. Aber im Vergleich zu den fanatischen Schlächtern des „Islamischen Staates“ ist sogar ein Assad allemal vorzuziehen.
Das erinnert an den Zweiten Weltkrieg, wo der Westen, großteils ohne irgendeine Sympathie für Stalin zu empfinden, sich mit diesem gegen Hitler alliiert hat. Zwar ist auch aus heutiger Sicht die Alternative mörderisch. Denn beide waren ja millionenfache Schlächter. Aber Stalin hat wenigstens das Völkerrecht länger beachtet als Hitler, der eine Eroberung nach der anderen unternommen hat. Oder genauer gesagt: Stalin hat erst selbst völkerrechtswidrig zu erobern begonnen, als Hitler längst damit angefangen hat und dann mit Stalin im Molotow-Ribbentrop-Pakt eine Teilung Osteuropas gedealt hat.
Irgendwie erinnert das übrigens auch an die Bibel, wo mit „Damaskus“, also der Hauptstadt Syriens, die Wende im Denken von Paulus bezeichnet wird, des größten Intellektuellen der jungen Christenheit. Seither wissen wir: Etwas neu zu denken führt sehr oft zu sehr wichtigen und positiven Ergebnissen.
Wie auch immer man über diese Assoziationen denken mag (nicht alles, was hinkt, ist ja ein Vergleich): Durch ihren Schwenk haben die USA jedenfalls die Grenzen der Realpolitik zu akzeptieren begonnen (ohne üble Selbstüberschätzung darf ich am Rande darauf hinweisen, dass in diesem Tagebuch schon seit Jahren ein solcher Strategiewechsel als unausweichlich bezeichnet worden ist).
Umso erschreckender ist, dass das linke Frankreich und das konservative England weiterhin auf ganz hart und kompromisslos machen. So als ob sie irgendeine realistische Option hätten! Das ruft erneut in Erinnerung, dass es haargenau dieselben beiden Länder waren, die durch haargenau die gleiche Politik wie gegenüber Syrien schon in Libyen katastrophales Unheil angerichtet haben. Man kann nun gewiss streiten, ob Assad oder Gadhafi widerlicher waren. Beide haben ganz sicher fast alle bösen Attribute verdient.
Aber beide haben nach außen wenigstens halbwegs völkerrechtliche Gepflogenheiten und nach innen eine – wenngleich zutiefst bösartige – Ordnung aufrechterhalten. Heute kann kein Zweifel mehr bestehen: Die nachher gekommene Alternativen sind noch tausend Mal negativer als die beiden Diktatoren. Für die Menschen in jenen Ländern wie auch für die Außenwelt.
So sehr mir Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft am Herzen liegen, so klar weiß ich doch: Nichts davon kann einem Land, einer Kultur von außen diktiert werden! Und wer meint, dass das in Deutschland und Österreich nach 1945 sehr wohl der Fall gewesen ist, der begreift die wahren Faktoren der Geschichte nicht. Denn in beiden Ländern haben (fast) alle Bürger (endlich!) erkannt, dass nur mit Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft ein gutes Zusammenleben gelingen kann. Die Besatzer allein hätten das – abgesehen von den allerersten Nachkriegsjahren – gegen den Willen der Bevölkerung nie und nimmer dauerhaft durchsetzen können.
Auch den Arabern und der islamischen Welt ist diese Erkenntnis von Herzen zu wünschen und bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit zu vermitteln. Zeigt die Geschichte doch empirisch eindeutig die Überlegenheit dieser drei Grundprinzipien. Aber es kann keinesfalls gelingen, diese Werte einem Volk, einer Kultur oder gar einer im Mittelalter steckengebliebenen Religion mit Gewalt aufzuzwingen.
Fehlt es den Briten und Franzosen an Intelligenz, das zu erkennen? Die deutsche Außenpolitik hat das immerhin von Anfang an so gesehen (über eine österreichische Syrien- oder Libyen-Politik kann mangels einer solchen keine Aussage gemacht werden). Oder steckt da nur Bestemm dahinter, weil man einen Fehler nicht zugeben will (während die USA sehr wohl den Mut dazu haben)? Oder hängt das damit zusammen, dass syrische Exil-Politiker halt in London und Paris viel präsenter sind als in Washington?
Wie auch immer: Selbst das negativste Urteil über die britische und französische Nahostpolitik erhebt diese moralisch noch immer weit über die russische Ukraine-Politik. Denn deren Motive war ganz sicher nicht ein Engagement für edle Ziele wie Rechtsstaat&Co, sondern das waren einerseits nationalistisch-imperialistische Eroberungspolitik und andererseits Revanche für die ukrainische Revolution gegen den mit Russland packelnden Staatspräsidenten.
PS.: In einem sind die Fehler beider Seiten freilich durchaus vergleichbar: Opfer ist nicht zuletzt die EU. Und in dieser insbesondere Länder wie Österreich. Denn sowohl das Agieren Russlands in mehreren Konfliktzonen wie auch das der Westmächte im arabischen Raum hat riesige Flüchtlingsströme ausgelöst, die alle vor allem in die deutschsprachigen und skandinavischen Länder mit ihren exzessiven Sozialsystemen wollen. Siehe die Flüchtlinge aus Tschetschenien und anderen von Moskau blutig heimgesuchten Gebieten. Siehe die aus Syrien. Siehe den riesigen Strom von schwarzafrikanischen Migranten, die nun über Libyen nach Europa kommen.