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Netanyahus verständlicher Sieg

Die Begeisterung über den israelischen Wahlausgang hält sich in Europa und Amerika in engen Grenzen. Der Netanyahu-Sieg passt nirgendwo ins Konzept. Und doch kann ich die Entscheidung der israelischen Wähler gut verstehen.

Ministerpräsident Netanyahu hat – übrigens wider alle Meinungsforscher – die Wahl gewonnen, nachdem er sich ausdrücklich gegen die Schaffung eines Palästinenserstaates ausgesprochen hat. Eine solche Zweistaatenlösung gilt jedoch allen ausländischen Staatskanzleien wie auch allen Europäern und Amerikanern, die sich für Nahostexperten halten, als absolut unabdingbar.

Die israelischen Wähler sehen das jedoch mehrheitlich nicht so. Verstehen die weniger vom Nahen Osten? Sind die nicht an Frieden interessiert? Sind die am Ende nur imperialistische Eroberer von fremdem Staatsgebiet, wie etwa Putins Russland? Ein Teil der Israelis ist das in der Tat. Eine jüdische Minderheit will wirklich alttestamentarische Zustände wiederherstellen – obwohl es auch damals nie einen jüdischen Staat im ganzen heute von Israel kontrollierten Gebiet gegeben hat.

Die allermeisten Israelis werden jedoch – trotz des rasch wachsenden Anteils der orthodoxen Juden – nicht von solchen religiös-historischen Ansprüchen getrieben. Sie wollen etwas ganz anderes, etwas rational nachvollziehbares: Sie wollen halbwegs in Sicherheit leben. Sie haben aber in den letzten Jahren völlig den Glauben verloren, dass eine Zweistaatenlösung ihre Sicherheit erhöhen kann. Sie vertrauen statt dessen auf ihre eigene Armee und deren Präsenz in den besetzten Gebieten.

Sie tun das aus Erfahrung: Denn in der Tat haben sich gerade in den Gebieten, aus denen sich Israel in den letzten Jahrzehnten nach längerer Besatzung zurückgezogen hat, besonders aggressive arabische Milizen festgesetzt. Sowohl aus dem Südlibanon wie aus dem Gazastreifen wird Israel immer wieder beschossen. Das heißt: Jeder Rückzug hat eine neue Bedrohung israelischer Gebiete ausgelöst, statt den erhofften Frieden zu bringen.

Gleichzeitig weiß jeder Israeli: Die alten Grenzen zu den einst jordanischen Gebieten verlaufen für fast ihr ganzes Land extrem bedrohlich, speziell auch Tel Aviv. Israel läge auf ewig im Visier palästinensischer Raketen und Granaten, sobald sich auch in der Westbank genauso wie in Gaza und im Südlibanon terroristische Gruppen ausbreiten könnten. Es ist ja sehr wahrscheinlich, dass dann auf der Westbank die auch von Ägypten offiziell als terroristisch eingestufte Hamas agieren würde. Dann droht das, was immer wieder in Nord- und Südisrael der Fall ist, in ganz Israel zum Alltag zu werden: das Leben im Luftschutzbunker.

Selbst die noch relativ gemäßigt wirkende heutige Palästinenserregierung tut absolut nichts zur Vertrauensbildung gegenüber Israel. Wenn sie verkündet, dass in einem künftigen Staat Palästina kein Jude leben dürfe, wenn sie aber zugleich für die Nachfahren aller vor fast 70 Jahren aus Israel geflüchteten Palästinenser das Rückkehrrecht verlangt, dann kann auch das die Israelis nicht wirklich zum Abzug motivieren.

Die Menschen in Israel sehen auch noch etwas: die heutige Realität in fast allen arabischen Staaten. Chaos, hunderttausendfaches Morden, Millionenflucht, Armut, totale Anomie, Bandenherrschaft oder – bestenfalls! – mittelalterliche Diktaturen. Sie sehen atavistische Köpfungen und Vergewaltigungen. Sie sehen die wilde Zerstörung jahrtausendealter Kulturschätze. Sie sehen nirgendwo funktionierende Rechtsstaaten oder Demokratien. Sie sehen, wie sich diverse islamische Abteilungen gegenseitig hasserfüllt bekämpfen. Sie sehen - oder ahnen daher, was ihnen selbst droht.

In den allerletzten Stunden – also schon nach der Stimmabgabe – haben sie noch etwas gesehen: den furchtbaren Massenmord an 17 europäischen Touristen durch Islamisten im scheinbar stabilen Tunesien. Etwas anderes werden sie jedoch nicht mehr sehen: Massenkundgebungen und bleistifthaltende Betroffenheits-Rituale, wie es sie noch europaweit nach dem Anschlag auf eine linke Pariser Karikaturenzeitschrift mit etwa ebensoviel Toten gegeben hat. Sie werden sich daher bestätigt fühlen: Die Aufmerksamkeit und Solidarität der Europäer ist ein überaus kurzlebiges Pflänzchen, das nur gemäß der jeweiligen emotionalen Mode kurz aufblüht. Und wenn der Terror in einem anderen Kontinent zuschlägt, blüht dieses Pflänzchen nicht mehr auf, obwohl die meisten Toten Europäer sind. Und obwohl auch die Zahl der Toten gleich groß ist.

Die meisten Israelis fühlen sich daher darin bestätigt: Für Um ihre eigene Sicherheit müssen sie selbst sorgen.

Das alles ereignet sich wohlgemerkt völlig unabhängig vom israelisch-palästinensischen Disput. Kann man von den Israelis vernünftigerweise wirklich verlangen, dass das alles künftig in einer noch viel nähere Nachbarschaft zu ihrer Heimat möglich werden soll?

Die Israelis haben zugleich auch die Erfahrung mit der einst vom Ausland viel gescholtenen Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten (die freilich nur sehr teilweise entlang der einstigen Grenze läuft). Diese hat nämlich ganz eindeutig einen massiven Rückgang der Terroranschläge in Israel bewirkt. Das lehrt sie: Nicht die Ratschläge ausländischer Diplomaten und Journalisten machen das Leben für sie sicher, sondern das eigene Handeln.

Gewiss: Es ist völkerrechtswidrig und ungerecht, einen Palästinenserstaat zu verweigern. Aber es ist gut nachvollziehbar, dass sich die Mehrheit der Israelis bei der „Variante kompromisslos“, also bei Netanyahu sicherer fühlt als bei einem Palästinenserstaat in unmittelbarer Nachbarschaft. Für sie geht es ja ums eigene Überleben. Und das ist vorbei, wenn sich Israel nur ein einziges Mal irren sollte.

PS.: Wer die israelische Besatzung der Westbank und die russische Besatzung der Krim und der Ostukraine vergleichen möchte, sollte das objektiv tun. Dann wäre zu vergleichen, wie sehr die Ukraine Russland bedroht, und wie sehr ein Palästinenserstaat Israel bedroht. Man sollte auch in den Geschichtsbüchern nachblättern, um zu erfahren, ob die israelische Besatzung der Westbank Folge eines israelischen Überfalls ist, oder vielleicht gar eines arabischen auf Israel. Und ob die Ukraine Russland überfallen hat oder etwa umgekehrt.

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