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Dass ich das noch erleben durfte: Christoph Leitl rühmt Wolfgang Schüssel und attackiert Werner Faymann. Dabei hat Leitl stets gegen die Regierung Schüssel intrigiert. Dabei hat der Wirtschaftskammer-Chef zwanzig Jahre den Eindruck erweckt, ein genetisch programmierter Großkoalitionär, wenn nicht gar ein geistiger Sozialdemokrat zu sein.
Ist Leitl nun endlich klüger geworden? Oder hängt sein Umdenken nur damit zusammen, dass Wirtschaftskammerwahlen vor der Tür stehen, und er dabei unter Druck kommt? Oder waren seine plötzlichen kantigen Worte nur eine einmalige Aschermittwochrede, wo halt ein Redenschreiber einmal auch Klartext schreiben durfte? Oder gilt doch der Satz: Besser spät weise als gar nie?
Leitls Damaskus-Erlebnis fällt auch mit einer zweiten hochinteressanten Entwicklung zusammen: In Wiener Neustadt bilden Schwarz, Blau, Grün und Namenslisten jetzt eine Mehrheit gegen die SPÖ, welche die Industriestadt ja generationenlang für ihre Erbpacht gehalten hat. Bürgermeister wird dort ausgerechnet der bisherige Klubobmann der ÖVP im niederösterreichischen Landtag. Ein Mann, der immer für Erwin Pröll die grobe Arbeit erledigt. Ein Mann, der mit absoluter Sicherheit ohne Auftrag Prölls keinen Akzent setzt.
Pröll war aber neben Leitl der zweite ewige Intrigant in der ÖVP gegen Schwarzblau (zu dieser Gruppe haben damals sonst nur noch zwei inzwischen in Pension gegangene VP-Männer aus Wien gehört). Offenbar haben sie jetzt beide das erkannt, was halt Wolfgang Schüssel schon 15 Jahre früher gesehen und begriffen hat: Mit dieser SPÖ ist kein Staat zu machen. Mit dieser SPÖ kann der Karren nur bergab gehen.
Beide spielen damit das öde Political-Correctness-Spiel der linken Taktik nicht mehr mit, die Freiheitlichen a priori für unberührbar zu erklären. Gewiss: Die heutigen Freiheitlichen haben von Wirtschaft und Außenpolitik viel weniger Ahnung als ihre Vorgänger in der Haider/Riess-Epoche (auch wenn sie damit noch immer weit über dem Faymann-Niveau liegen). Aber die artifizielle Tabuisierung der FPÖ hat ja realpolitisch nur einen einzigen Effekt: Eine ewige Machtgarantie für die SPÖ. Solange die FPÖ aus allen Koalitions-Varianten draußen gehalten werden kann, bleibt die SPÖ an der Macht. Einmal kommt sie halt mit der ÖVP und ein andermal mit Grün zu einer Mandatsmehrheit. Und notfalls stehen ja für jede Variante auch die Neos zur Verfügung (die ja selbstbeschädigenderweise ebenfalls alle Varianten mit der FPÖ ausgeschlossen haben).
Übrigens: Im Burgenland verweigert sich auch schon die dortige SPÖ diesem Tabuisierungs-Spiel. Da die Burgenland-Grünen zu schwach sind, fürchten die Roten dort eine schwarz-blaue Koalitionsbildung, wenn sich die ÖVP den Wechsel traut. Sie machen auch inhaltlich alles andere als einen linken Wahlkampf (siehe das Integrationsthema) und haben damit wohl gute Chancen bei den Landtagswahlen.
Zurück zu Leitl. Man glaubte seinen Ohren nicht, wenn er sagt: „Herr Bundeskanzler, sie haben Österreich schlecht gemacht! Und Herr Bundeskanzler, deshalb sollten Sie nicht über eine Vermögenssteuer nachdenken, sondern über eine Unvermögenssteuer.“
Leitl weiter: Wolfgang Schüssel habe Stiftungen nach Österreich geholt. Jetzt würden diese mit dem Prügel wieder vertrieben. Sozialminister Hundstorfer habe wie im Sadisten-Film „Shades of Grey“ körperliches Wohlbefinden, wenn er ständig von neuen Strafen für Unternehmer reden könne.
Ungewohnte, aber umso erfreulichere Töne.
Leitl polemisierte freilich auch gegen die Einführung einer Registrierkassenpflicht für alle Unternehmer. Das ist aber fast der einzige Annäherungs-Punkt zwischen den rot-schwarzen Koalitionsverhandlern bei ihrer Suche nach Finanzierungen für eine Einkommensteuerreform. Eine solche Pflicht soll Steuerhinterziehungen möglichst verhindern. Was in der Tat wohl etliches einbringen dürfte.
Steuerhinterzieher zu verteidigen, ist freilich auch für einen WKO-Präsidenten recht problematisch. Leitl ging jedoch geschickt in den Gegenangriff und fragte polemisch, ob dann auch „Arbeitslose und Mindestsicherer“ einen „Registrierchip“ bekommen sollen. Womit er auf die Schwarzarbeit und verheimlichten Einkommen eines Teils der SPÖ-Klientels zielte. Gegen die die SPÖ keine Maßnahmen zu akzeptieren bereit ist.
Was Leitl in seinem neuen Mut freilich noch immer nicht sagte: Die gesamte Politik der Faymann-SPÖ ist ja Folge eines Diktats des ÖGB - des Sozialpartners der Wirtschaftskammer. Den ÖGB wollte Leitl doch nicht zu direkt angreifen. Aber dieser ist halt einmal der Kern der österreichischen Tristesse. Solange sich die SPÖ nicht aus diesem Diktat befreit, gibt es keine Chance auf eine vernünftige Regierungspolitik mit ihr.
Diese Befreiung haben nur die Sozialisten im Ausland gewagt. Bei den deutschen Sozialdemokaten ist er von Schröder über Steinbrück und Steinmeier bis Gabriel voll geglückt (er hat freilich zur Gründung der „Linken“ geführt); ähnlich bei den niederländischen; unter Tony Blair hat er jahrelang zu Erfolgen in Großbritannien geführt; die italienischen und französischen Sozialdemokraten versuchen nun zumindest, sich vom Diktat der Gewerkschaften zu lösen, das ihre Länder in den Untergang führt. Nur in Österreich ist die SPÖ unter Werner Faymann den umgekehrten Weg in die gewerkschaftliche Steinzeit gegangen. Der sie eigentlich von Woche zu Woche mehr als Regierungspartei untragbar macht.
Leitl scheint das zunehmend zu erkennen. Ob das einmal auch ein Reinhold Mitterlehner erkennen wird, der ja offenbar noch mehr großkoalitionäre Gene hat als Leitl?
PS.: Noch pikanter ist übrigens, wenn Leitl jetzt sagt, dass nicht nur die Wiener Ärztekammer, sondern auch die Industriellenvereinigung einen „roten Präsidenten“ bekommen habe. Wieder eine Wahrheit, die jahrelang nur in diesem Tagebuch zu lesen war, bis sie jetzt plötzlich auch offen gesagt wird . . .