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Die Eisenbahn: Wiens verjuxte Chancen

Wien und die Eisenbahn: Das ist eine offenbar ewig missglückende Partnerschaft und eine Geschichte zahlreicher verpatzter Chancen. Das zeigte sich in den letzten Jahren wieder beim U-Bahn- und Bahnhofsbau. Das zeigt sich auch an der städtebaulichen Nichtnutzung der riesigen Bahngelände in Wien.

Eine der größten Grotesken der letzten Jahre war der aufwendige Neubau des Westbahnhofs. Denn dieser wird in Kürze fast total überflüssig, er wird dann trotz der riesigen Investition nur noch eine bessere Schnellbahn-Haltestelle sein. Der Grund ist der knapp danach errichtete Hauptbahnhof. In Bälde werden fast alle Züge der Westbahn auf den Hauptbahnhof geführt, von wo sie dann endlich auch auf den lange von der Bahn ignorierten Flughafen weiterfahren können.

Das Hauptbahnhof-Projekt und die Anbindung des Flughafens sind zweifellos goldrichtig, auch wenn sie um Jahrzehnte zu spät erfolgen. Dadurch aber wird der Westbahnhof zu einer gewaltigen Planungsruine, die (wieder einmal) der Steuerzahler zu finanzieren hat.

Der Bahnhof an der Mariahilferstraße gleicht damit total dem Franz-Josefs-Bahnhof, der einige Jahrzehnte vorher ebenfalls mit großen Dimensionen neu errichtet worden ist. Es ist aber schon seit Jahren ein totales Geistergebäude. Denn geschätzte 90 Prozent aller Passagiere der Franz-Josefs-Bahn steigen heute schon auf der Spittelau aus (und ein). Dort starten etliche Autobuslinien; dort gibt es vor allem perfekte Umsteigemöglichkeiten in gleich zwei U-Bahn-Linien.

In Wahrheit würde es daher heute völlig genügen, die Franz-Josefs-Bahn in Spittelau enden zu lassen. Beim Endbahnhof gibt es nämlich keine U-Bahn. Umgekehrt wird der Westbahnhof nur wenige Jahre nach dem Anschluss an eine zweite U-Bahn-Linie weitgehend aus dem Verkehr genommen.

Die Nicht-Koordination zwischen U-Bahn und Eisenbahn ist nicht nur bei diesen beiden Bahnlinien eine Groteske. Besonders merkwürdiges Beispiel für das gegenseitige Sich-nicht-Finden ist auch der neue Hauptbahnhof. Wobei ich mehr an Blödheit und Unfähigkeit als Ursache glauben will, als an das sich – in Wien allerdings hartnäckig haltende – Gerücht, dass das rote Rathaus und das damals blaue Verkehrsministerium bewusst einander ignoriert und aneinander vorbeigeplant haben.

Das Projekt, den Abstand zwischen Bahn und U-Bahn durch eine Seilbahn zu überbrücken, ist jedenfalls wieder schubladisiert worden. Ebenso das Projekt, die U-2 über den Karlsplatz zum Hauptbahnhof zu führen. Jetzt muss man halt als Bahnreisender mit seinen Koffern ziemlich weite Strecken gehen (die freilich den Dienstwagenfahrern in Rathaus und ÖBB nicht so weit vorkommen, wie uns ihre PR-Agenten versichern).

Das Missverhältnis zwischen Eisenbahn und Stadt zeigt sich vielleicht noch mehr an der städtebaulichen Nichtnutzung der riesigen Bahngelände. Alleine die nun überflüssig werdende Wiener Westbahntrasse böte Grund und Boden für ganze neue Städte. Das gleiche gilt für die Franz-Josefs-Bahn ab der Spittelau und für viele Bahnflächen im 20. Bezirk.

Überall könnten die Geleise stark reduziert werden. Es könnten vor allem auch über den verbleibenden Bahngeleisen neue Stadtviertel errichtet werden. Niemand soll behaupten, dass das nicht ginge. Schließlich führen auch zahllose U-Bahn-Linien problemlos unter Wohn- und Bürogebäuden. Schließlich hat man auch auf der Platte über der Donauuferautobahn riesige Hochhäuser errichtet. Bei guter Isolation stört also die Bahn überhaupt nicht. Und die neuen Viertel wären durch die schon vorhandenen Schnellbahnlinien verkehrsmäßig gleich von Anfang an gut versorgt (was normalerweise, etwa beim Wienerberg, oft Jahrzehnte dauert).

Man muss nur wollen. Wien müsste nur eine Stadtplanung haben, deren intellektuelle Fähigkeit über die Destruktion der Mariahilferstraße hinausgeht. Wien müsste nur endlich wieder einen Bürgermeister haben, der sich für die Stadt interessiert. Die ÖBB müsste nur endlich zu wirtschaftlichem Denken gezwungen sein und dadurch ihre riesigen Grundstücke bestmöglich verwerten. Und vor allem: Stadt und ÖBB müssten sich nur zusammenfinden. Was eigentlich angesichts der politischen Verwandtschaft nicht so schwer sein sollte.

Die städtebauliche Nutzung der riesigen Bahnflächen könnte nicht nur dem Wiener Neubaubedarf für viele Jahre ausreichend Platz bieten. Er würde auch viele Wahnsinnsprojekte überflüssig machen (an denen freilich einige Spekulanten und Politiker gut zu verdienen scheinen): den Bau eines Hochhauses neben dem Konzerthaus, die weitgehende Verbauung der wunderbaren Steinhofgründe, und die weitere Zerstörung des Wald- und Wiesengürtels durch die Verbauung des Neustifter Friedhofs.

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

 

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