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99-prozentige Stimmergebnisse gelten als Zeichen einer Diktatur. Die fast einstimmige Wahl Reinhold Mitterlehners zum ÖVP-Obmann hat jedoch andere Ursachen: Die meisten ÖVP-Funktionäre sind nämlich heute schon froh, wenn sich überhaupt noch einer findet, der den unmöglichsten Job der österreichischen Politik zu übernehmen bereit ist.
Denn der bürgerliche Gesamtanspruch der Volkspartei ist schwieriger zu realisieren als das Zusammenhalten eines Sacks voll Flöhe. Während eine sozialistische Partei durch zwei, drei banale Utopien zusammengehalten wird – wie etwa jener, dass man ein Land durch immer mehr Schulden und Steuern sanieren kann –, streben in der ÖVP viele verschiedene Interessen und Überzeugungen in oft sehr divergente Richtungen. Die ÖVP ist eben keine Kaderpartei. Das führt freilich auch dazu, dass selbst wenig begabte Provinzzwerge glauben, sich am eigenen Parteiführer die Schuhe abstreifen zu können. Wie etwa Mitterlehners Vorgänger Spindelegger durch saudumme Aussagen aus Vorarlberg und Tirol schmerzhaft erleiden musste.
Die 99 Prozent einer tief verunsicherten Gefolgschaft und die übliche Begeisterung eines Parteitags in Hochamts-Stimmung sind keine Basis, auf der Mitterlehner für die Zukunft festen Stand finden könnte. Sollte er nicht nur bei Parteitagen, sondern auch Wahlen Erfolg haben wollen. Aber auch sein eigener politischer Weg zeigte bisher keine brauchbare Basis.
Der war vielmehr durch sehr wenige und wenig überzeugende Positionen gekennzeichnet:
Umso größer ist die Gefahr, dass ein solcher Mann ohne Eigenschaften jetzt in der Führungsrolle nicht begreift, wo die Wähler sind, wohin und weshalb so viele frühere ÖVP-Wähler abgewandert sind. Umso größer ist der Einfluss von halbgebildeten Politikberatern und politischen Aktentaschen-Nachtragern, die ohne eigenen Tiefgang alle im linksliberal-grünen Mainstream der „chattering class“ mitschwimmen. Die der ÖVP allen Ernstes deren eigenen Selbstmord durch Gesamtschule Gender- und Schulenideologie sowie Absage an die Autonomie der Familien einzureden versuchen.
Die von Mitterlehner verordnete „Bewegung“ würde erst dann Sinn machen, wenn sie nicht in die falsche Richtung ginge. Bewegung an sich ist wertlos, kann sogar schädlich sein, höchstens gut zur Füllung einiger Zeitungsseiten, wo zwei Tage lang darüber berichtet wird. Nur beim Gewicht ist es gut, Kilo zu verlieren. In der Politik gilt der Verlust von Wählern eher als schädlich.
Wenn Mitterlehner nicht begreift, was zuletzt nur Wolfgang Schüssel verstanden hat, wird er nur eine weitere bedeutungslose Etappe in der langen Reihe gescheiterter ÖVP-Obmänner sein: Die ÖVP kann nur als parteiinterne große Koalition reüssieren.
Das heißt auf der einen Seite: Sie muss endlich wieder für einen klaren wirtschaftsliberalen Kurs stehen, der nur dann in einer Koalition weitermacht, wenn diese massive Entlastungen, Deregulierungen und Privatisierungen anstrebt – oder zumindest nicht das Gegenteil.
Das heißt auf der anderen Seite: Sie muss wieder viel deutlicher jene Werte verkörpern, die bei allen Meinungsumfragen große und wachsende Sympathiewerte haben. Dazu gehören vor allem:
Wenn sich die ÖVP nicht wieder so versteht, dann wird sie weiter Wähler verlieren. Die eher wirtschaftsliberal orientierten werden Richtung Neos gehen. Die eher konservativ eingestellten Richtung FPÖ. Und unter Umständen eine Mischgruppe zum (derzeit freilich im Koma liegenden) Team Stronach, wenn dieses eine Wiederbelebung schafft.
Das Dramatische: Es kommt einzig auf den Parteiobmann an, ob das noch einmal gelingt. Thinktanks oder zumindest einzelne Vordenker finden sich nicht mehr im ÖVP-Umkreis. Da Mitterlehner aber einst immer sehr gegen Schüssels Kurs intrigiert hat, ist man vorerst sehr skeptisch, ob ausgerechnet er die ÖVP wieder auf Erfolgskurs bringen kann.
Und ganz sicher wird es ihr Untergang sein, wenn Mitterlehner sie weiter vor allem als Partei einer total versagenden Koalition erscheinen lässt; wenn ihr die vom Boulevard diktierte Einigkeit mit der SPÖ („nicht streiten“) wichtiger ist als die eigenen (einstigen) Positionen in Sachen Wirtschaftsliberalismus und Wertekonservativismus, wenn sie damit den Wählern zeigt, dass ihr Machtteilhabe wichtiger ist als die noch verbliebenen eigenen Wähler.
Dieser lähmende Koalitionsstil hat in den letzten sechs Jahren Österreich in sämtlichen Rankings und Parametern in einen steilen Abstieg gestürzt. Das wissen und spüren die Bürger längst, die politisch-mediale Klasse jedoch noch immer nicht.