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Es ist eine längst notwendige Diskussion, die da jetzt die britischen Konservativen angestoßen haben: Ist die Entwicklung der europäischen Menschenrechtsjudikatur noch akzeptabel? Ist es richtig, dass über den nationalen Gerichten auch noch ein Europäischer Menschenrechts-Gerichtshof steht? Auch wenn man nicht immer ihrer Meinung ist, so muss man den Briten dankbar sein, dass sie diese Debatte angestoßen haben.
Ähnlich kritische Fragen zu diesem EGMR hat im vorigen Jahrzehnt in Österreich auch schon der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel aufgeworfen. Jedoch damals ohne viel Echo. Seine Nachfolger begriffen wohl nicht einmal die Problematik.
Gerade bei den Briten ist es nicht nur Nationalstolz und die allgemein aufwallende Anti-Europa-Stimmung, die sich gegen diesen Gerichtshof wendet. Dabei hat dieser gar nichts mit der auf den Inseln so unbeliebt gewordenen EU zu tun (deren Parlament die Briten gerade jetzt wieder durch den Widerstand gegen den nominierten britischen EU-Kommissar provoziert – was nur zu einem noch dringenderen Austrittswunsch der Briten führen wird).
Soll sich ein Staat, der so fair war wie Großbritannien, ein völlig korrektes und freies Unabhängigkeitsreferendum in Schottland zuzulassen, fremden Richtern unterwerfen? Diese kommen ja nicht nur aus Ländern wie Spanien, das gerade jetzt immer härter gegen die katalanischen Selbstbestimmungs-Forderungen vorgeht. Sie kommen auch aus problematischen Balkanstaaten und postsowjetischen Semidiktaturen in Asien, wo es nicht die geringste rechtsstaatliche Tradition und Erfahrung gibt.
Überdies sind alle EGMR-Richter durch rein politische Entscheidungen ihrer jeweiligen Regierungen entsandt worden. Sie waren vorher oft nicht einmal Richter (Beide Vorwürfe können und müssen freilich auch dem österreichischen Verfassungsgerichtshof gemacht werden).
Solche Richter sollen über grundlegende Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit oder das Recht auf ein faires Verfahren entscheiden? In der Tat kann man die Briten verstehen, dass sie ihre Grundrechte bei der heimischen Justiz mit ihrer totalen Unabhängigkeit besser aufgehoben sehen als bei diesem Straßburger Gericht.
Die Judikatur dieses Gerichtshofs hat sich in eine sehr problematische Richtung entwickelt. Die Rechte von Zuwanderern und Asylwerbern wurden immer überspitzter ausgebaut. Bei dieser Frage treffen sich offensichtlich die ideologischen Traumvorstellungen linker Richter und die ihrer Kollegen aus solchen (östlichen) Ländern, in die niemand zuwandern will, aber aus denen viele Menschen auswandern.
Während sich das Gericht als weitgehend wehrlos angesichts der vielen politischen Strafurteile etwa in Russland erweist, hat es Kinkerlitzchen durchgesetzt wie etwa das Recht von Häftlingen, an Wahlen teilzunehmen. Das Straßburger Gericht verhindert auch oft die Abschiebung von Terroristen. Österreich kann heute nicht einmal Drogenhändler abschieben, deren Asylantrag abgewiesen worden ist, wenn in ihrer Heimat auf Drogenhandel die Todesstrafe steht.
Das in der Menschenrechts-Konvention stehende „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ ist vom EGMR überhaupt zum größten Tor auf Zuwanderung uminterpretiert worden, dem Recht auf Familienzusammenführung. Dieses Recht steht zwar nirgendwo im Text der Konvention, aber diese EGMR-Judikatur hat inzwischen Millionen von Asiaten und Afrikanern die Zuwanderung nach Europa ermöglicht (ein einziger legaler Gastarbeiter konnte in Extremfällen sogar mehr als hundert Menschen legal hereinholen!).
Viele dieser Entwicklungen sind extrem bedenklich. Aber meist wurden sie nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Galt man doch immer nur dann als guter Mensch, wenn man über diese Entwicklung jubelte.
Ihre Ursache ist nicht nur die extrem problematische Zusammensetzung der Richterbank, sondern auch die generelle Lust von Juristen, immer mehr und immer detaillierter zu regeln. Das geschieht oft aus reiner – vielleicht nicht immer ganz bewussten – Machtlust. Das führt zur schrittweisen Entmachtung der demokratisch legitimierten Gesetzgeber (egal ob diese repräsentativ oder direkt-demokratisch agieren).
Viele Juristen würden sich offenbar als überflüssig fühlen, würde sich der Menschenrechts-Gerichtshof auf die in der europäischen Menschenrechts-Konvention festgehaltenen Dinge konzentrieren und beschränken. Wie etwa auf die diversen Freiheitsrechte, das Verbot der Folter oder das Recht auf Leben (das freilich bei Abtreibungen nicht geschützt wird).
Und dennoch tendiert man als Österreicher alles in allem doch noch für einen Verbleib in diesem Gerichtshof. Die Migrations-fördernde Gutmenschpolitik der heimischen Richter würde die realitätsfremde Linie des EGMR nämlich auch ohne diesen fortsetzen. Und in Hinblick auf die Meinungsfreiheit ist der EGMR in Österreich de facto der einzige Schutz gegen politische Willkür.
Die Meinungsfreiheit war hierzulande einst sehr vom Denken eines Obrigkeitsstaates eingeschränkt. Erst Straßburg hat viele Gerichtsurteile aufgehoben, mit denen Politiker (wie etwa auch noch ein Bruno Kreisky) Kritiker zu knebeln versucht haben. Auch heute ist Straßburg – noch? – ein teilweise funktionierendes Bollwerk gegen die Versuche, die links-grüne Korrektheit per Gesetz zu oktroyieren und jeden Verstoß dagegen zu strafen.
Freilich ist das nach Abwägen aller Pro und Kontras auch schon fast der einzige valide Grund, die Anti-EGMR-Linie der britischen Konservativen nicht zu teilen. Und jedenfalls ist es extrem positiv, dass nun dank der Briten auch öffentlich eine kritische Debatte über die skizzierten Fehlentwicklungen beginnen dürfte. Ob sie freilich auch konkrete positive Folgen haben wird – sei es eine vernünftigere Judikatur, sei es die Entmachtung der Regierungen bei der Richterbestellung? Man zweifelt.