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Europa kommt nicht und nicht aus der nun schon über sechs Jahre dauernden Krise. Es rätselt verzweifelt, warum das so ist. Eine wichtige, wenn auch unbeabsichtigte Antwort auf diese Frage ist im inneren Widerspruch zwischen zwei Aussagen zu finden, die der deutsche Wirtschaftsforscher und oberste Regierungsberater Marcel Fratzscher jetzt gemacht hat.
Er verteidigt erstens vehement die Milliarden-Hilfen für Griechenland & Co. Und er verlangt zweitens ebenso vehement massive Strukturreformen in einzelnen EU-Staaten. Auch viele andere Ökonomen machen ähnliche Aussagen und begreifen nicht den Widerspruch. Denn: Ökonomen verstehen nichts von Politik und politischer Psychologie. Politiker und Medien verstehen aber wiederum nichts von Ökonomie.
Die getadelte Reformverweigerung gibt es nämlich gerade wegen der Milliarden-Rettungsaktionen, selbst wenn man diese in der Ökonomen-Logik begründet. Warum sollte eine Regierung unpopuläre Reformen machen, die zu Wahlniederlagen führen, wenn ohnedies immer Retter bereitstehen? In der politischen Logik (meist eine parteipolitische) handeln die Reformverweigerer also durchaus richtig.
Ein weiterer sich hier zeigender Fehler vieler Ökonomen ist ihr Kommunikationsdefizit. Sie sprechen viel zu technisch und nennen Dinge fast nie beim Namen. Sie reden etwa immer nur von „Strukturreformen“. Das Wort klingt harmlos, wenn man nicht dazusagt, was eigentlich gemeint ist: der Abbau einiger Wohlfahrtsleistungen, Selbstbehalte bei der Krankenversicherung, ein deutlich höheres Pensionsantrittsalter, leichtere Kündigungsmöglichkeiten, zuschlagsfreie Überstunden, der Abbau Tausender bürokratischer Regeln, globaler Freihandel. Und so weiter.
Würde man das so konkretisieren, wäre man sofort mit Protesten konfrontiert. Das tun sich die meisten Ökonomen nicht an und bleiben lieber im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Viele von ihnen können sich auch gar nicht konkret ausdrücken, sondern nur technokratisch.
Die Ökonomen haben zwar richtig erkannt, dass Frankreich und Italien Europas weitaus schlimmste Reformverweigerer sind. Aber sie begreifen nicht – ihr dritter Fehler –, dass diese beiden Länder politische Schwergewichte in der EU sind. Während kleine Länder wie Irland, Portugal und Griechenland und überraschenderweise auch das mittelgroße Spanien zumindest einen Teil der von ihnen verlangten Reformen nolens volens gemacht haben und so langsam wieder Boden unter den Füßen bekommen, lassen sich Frankreich und Italien nicht einmal ansatzweise unter Druck setzen. Dazu sind sie zu stolz und groß. Sie machen einfach nur immer weiter Schulden und keine Reformen, gegen die etwa die Gewerkschaften protestieren würden.
Die europäischen Milliarden-Rettungsaktionen zeigen sich mehr denn je als folgenschwerer Fehler. Sie haben das Prinzip Eigenverantwortung abgeschafft. Das begreift aber offenbar nur, wer nicht nur Ökonomie, sondern auch die Kausalitäten der politischen Psychologie versteht.
Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung „Börsen-Kurier“ die Kolumne „Unterbergers Wochenschau“.