Kein Gas – und was dann folgt
17. Juni 2014 00:21
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 3:00
Jetzt hat Russland seine Drohungen wahr gemacht und die Gaslieferungen an die Ukraine gestoppt. Die nach Westeuropa gehenden jedoch nicht, auch wenn sie via Ukraine gehen. Was vorerst problemlos geschieht. Im warmen Juni ist zwar die Relevanz dieses Stopps noch gering. Aber vom Zeitpunkt unabhängig ist es dringend notwendig, alle Fakten zu kennen. Was im Westen nur selten der Fall ist.
Diese Fakten sind auf den ersten Blick widersprüchlich. Und jede Seite nennt nur die ihre günstigen.
- Die Ukraine ist eindeutig die Bezahlung des russischen Gases schuldig.
- Russland hat ebenso eindeutig den Preis für Lieferungen an die Ukraine aus politischen Gründen signifikant erhöht, seit die Bevölkerung des Landes mit großer Mehrheit klargemacht hat, dass sie zu Europa, nicht Russland gehören will.
- Wenn es nicht zu einer Einigung kommt, werden sich mit Sicherheit spätestens an kalten Tagen wieder ukrainische Gemeinden an dem Richtung EU auf die Reise geschickten Gas bedienen. Denn selbst wenn dieses eindeutig wem anderen gehört, wird kein Bürgermeister, kein Provinz-Chef die Menschen erfrieren lassen, wenn gleichzeitig durch sein Gebiet das potentiell wärmende Gas fließt. Damit hat auch Europa ein Problem.
- Der Ersatz des russischen Gases durch andere Lieferanten ist möglich – aber nur langfristig. Denn vorher müssen die Terminals und Leitungen dafür gebaut werden. Kurzfristig ist also Moskaus Erpressungspotential groß.
- Je härter Russland den Gaskrieg weitführt, umso mehr und umso rascher werden an Russland vorbeigehende Importe an Bedeutung gewinnen. Denn als Folge steigen ja Gas-, Öl- und Strompreis, was jede Investition interessanter macht. Was langfristig die Bedeutung Russlands abnehmen lassen wird.
- Wenn die EU und die Ukraine geschlossen auftreten, hat Russlands mittelfristig angesichts seiner massiven Abhängigkeit vom Gasgeschäft keine echten Alternativen. Alle, die da anderes sagen, sind entweder kurzsichtig oder Agenten Russlands.
- Es ist ein Kompromiss im Interesse aller Beteiligten zwar absolut logisch, aber angesichts des zunehmenden Stellenwerts des russischen wie des ukrainischen Nationalismus eher fraglich.
- Die von beiden Ländern erfolgende Anrufung eines westlichen Schiedsgerichts macht zumindest Hoffnung. Man will also die Lösung zumindest in diesem Fall letztlich doch rechtlich erreichen.
- Die Ukraine hat durch die russische Besetzung der Krim und der teilweisen Besetzung zweier Ostprovinzen eindeutig schweren wirtschaftlichen Schaden erlitten. Dieser steht den russischen Forderungen nach Bezahlung seines Gases entgegen. Zwar macht Kiew den Schaden durch die widerrechtliche Besetzung nicht geltend, weil es ja auf Rückgabe statt Entschädigung beharrt. Aber gerade jene, welche die Okkupation der Krim für richtig halten, müssten dann auch unbedingt der Ukraine einen gewaltigen – wenn auch schwer objektiv zu beziffernden – Ersatzanspruch zubilligen. Für Immobilien, für Meereszugang, für Häfen, usw. Und ganz besonders für die vermuteten reichen Energievorkommen vor der Küste der Krim. Wer das ignoriert, aber die Okkuption der Krim für rechtens erklärt, ist total einseitig oder ein reiner Agent Moskaus. Er macht den Russen jedenfalls Hoffnungen, dass der Westen doch noch einknicken wird.
- Es kann daher keine Lösung des Gas-Problems geben, wenn nicht auch die militärischen Grenzveränderungen mit bei den Verhandlungen gelöst werden.
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