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Es war zufällig am gleichen Tag wie die Ankündigung, dass Russlands Präsident Putin nach Österreich kommen werde. Als erster bilateraler Staatsbesuch nach seiner Invasion! Da las ich in Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ die folgenden Zeilen (Übrigens: So empfehlenswert auch die Bücher von Rauchensteiner, Jelinek und Illies über die Jahre 1913ff sind, so ist doch das Buch des Briten am wichtigsten).
Bei Clark liest man: Die Stippvisite des serbischen Regierungschefs Pašics im Oktober 1913 „in Wien trug keineswegs zur Verbesserung der Lage bei. Entwaffnet von der freundlichen und leutseligen Art des serbischen Regierungschefs, verpasste der österreichische Außenminister Berchtold die Gelegenheit, den Ernst der Lage aus österreichischer Sicht darzulegen. Pašic versicherte Vertretern der Presse in Wien, dass er „eine positive Perspektive für die künftigen Beziehungen zwischen Serbien und der Doppelmonarchie“ gewonnen habe, aber er sprach beunruhigenderweise auch über die Notwendigkeit von „Grenzveränderungen“ an der albanischen Grenze.“
So weit Clark. Nach wenigen Monaten ist dann der Weltkrieg mit seinen Millionen Opfern ausgebrochen. Auslösend war eindeutig (auch oder alleine - je nach Sichtweise) jener Expansionismus, den der österreichische Außenminister zu wenig klar ansprach.
Man muss nur wenige Namen ändern. Man muss nur aus Serbien Russland machen. Und schon hat man genau die Situation fast exakt 100 Jahre später. (Dass übrigens damals wie heute Serben und Russen fast deckungsgleich agieren, macht diese kleinen Änderungen ja besonders naheliegend; ebenso tut das der Umstand, dass auch schon damals die Grenze zwischen Serbien und albanischen Gebieten ein zentrales Thema war; ebenso die oberflächlich freundlich wirkende Art des Russen; ebenso der Vergleich zwischen der Doppelmonarchie und dem heutigen Europa).
Es ist eine der vielen Entwicklungen vor Ausbruch des großen Krieges, die zwar fast alle vergessen sind, die aber in der nüchternen Aufarbeitung durch einen Historiker sowohl einzeln wie auch in der Summe sehr besorgt machen. Jedes Mal ging es um Grenzänderungen mit militärischen Mitteln. Auf der Krim, auf dem Balkan, oder auch 1938 in Mitteleuropa.
Vor beiden Weltkriegen hat man geglaubt, durch Nachgeben gegenüber einem mit militärischer Gewalt agierenden Aggressor den Frieden zu sichern. Auch wenn – zum Glück – die historische Analogie keine zwingende ist, so ist es doch Faktum, dass die zwei verheerendsten Kriege der Geschichte jeweils Nachgeben gegenüber militärischen Grenzveränderern im Vorlauf hatten. Bei allem Bekenntnis zum friedlichen Selbstbestimmungsrecht, das an dieser Stelle immer wieder geradezu flammend zum Ausdruck gebracht worden ist, kann Selbstbestimmung niemals eine Rechtfertigung sein, gegenüber Aggressoren nachzugeben.
Genausowenig können militärische Aggressionen durch historische Rückgriffe legitim erscheinen. Gleichgültig, ob die auf des 14. Jahrhundert (serbische Schlacht im Amselfeld) oder die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts (Chruschtschows Grenzänderungen in der Ukraine) erfolgen. Vom Nahostkonflikt, wo Christen, Moslems und Juden oft historisch und Jahrtausende zurückgreifend argumentieren, ganz zu schweigen.
Wenn die Menschheit irgendeinen Fortschritt erzielt haben will, dann jenen, dass Grenzänderungen im 21. Jahrhundert nur noch nach einer sauberen demokratischen Volksabstimmung erfolgen dürfen. Zumindest in Europa. Und dass sie niemals durch Soldaten erfolgen dürfen. Militärische Grenzänderungen müssen verpönt bleiben, wenn Europa wirklich auf Dauer Frieden will.
Anerkannt sei, dass sich Bundespräsident und Außenminister wenigstens schrittweise nun doch diesem obersten Grundsatz annähern. Das lächerliche „Die Ukraine soll neutral werden und die Menschen im Osten und Süden wollen eh sicher alle heim ins Reich“ ist wieder aus dem Sprachschatz der österreichischen Politik verschwunden. Deutschlands Bundeskanzlerin, aber auch Großbritannien und etliche andere Länder haben da freilich von Anfang an viel richtigere Formulierungen gefunden.
Und noch weniger können Grenzänderungen durch ökonomische Interessen gerechtfertigt werden. Oder ignoriert. Gewiss erleiden manche Firmen in ihrem Russland-Geschäft Einbußen. Ihnen und ihren Interessenvertretungen war die russische Invention in der Süd- und Ostukraine weniger wichtig. Jedoch vergessen sie eines: Nach den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts war auch in der Wirtschaft viel mehr kaputt als bloß die Exporte in ein bestimmtes Land. Oder die Investitionen, die man dort geplant hat.
Im konkreten Fall kommt ein zweiter Aspekt hinzu: Die (meist gegen den Widerstands des grundsatzlosen Österreichs) beschlossenen Sanktionen zeigen in Russland eindeutig massive Wirkung. Es kann überhaupt kein Zweifel sein: Es sind einzig diese Sanktionen, die heute zu einer viel stärkeren Zurückhaltung Moskaus, vielleicht sogar zu einem Kurswechsel führen.
Die russische Wirtschaft ist zum Unterschied von Polen, Tschechien, der Slowakei und dem Baltikum auch ein rundes Vierteljahrhundert nach der Wende nach wie vor extrem schlecht diversifiziert. Russland würde ökonomisch kollabieren, wenn es sein Gas nicht exportieren könnte. Das weiß Putin. Er kennt die dramatischen Zahlen der russischen Notenbank und anderer Quellen. Österreichs Handelsdelegierte offenbar weniger.
Das heißt nun nicht, dass Fischer&Co. nicht mit dem russischen Machthaber reden sollen. Das heißt aber, dass sie diesem nicht einmal zwischen den Zeilen entgegenkommen dürfen – bei aller Sympathie des Linksaußens Fischer und des außenpolitischen Greenhorns Kurz gegenüber dem Russen. Wobei den Außenminister seine große Intelligenz und Lernfähigkeit hoffentlich zunehmend unabhängig von schlechten Beratern machen. Bei Fischer hingegen sind seine zutiefst antiwestlichen Gene wohl nicht mehr kurierbar.
Beiden jedenfalls ist ein tieferes Studium der Zeitgeschichte dringend zu empfehlen. Auch wenn diese an den österreichischen Universitäten nicht mehr gekannt wird.