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Wien wird grün – oder was?

Vor allem innerhalb des Wiener Gürtels haben die Grünen bei der EU-Wahl nach der Reihe die Mehrheit in Bezirken erobert. Lediglich der erste Bezirk bleibt dort einsame ÖVP-Hochburg. Noch eindrucksvoller für den grünen Erfolg ist, dass die Partei in Wien erstmals an zweiter Stelle liegt. Nur noch hinter der SPÖ. Wien wird also grün – oder?

Erstaunlich. Denn gesamteuropäisch haben die Grünen ja verloren. Auf den zweiten Blick ist der Wiener Erfolg freilich weniger erstaunlich.

Da ist einmal der massiv wachsende studentische Anteil (die gerade in den Innenbezirken wohnen). Er wächst rasch – und bei der EU-Wahl dürfen ja auch alle EU-Bürger, also insbesondere die deutschen Numerus-Clausus-Flüchtlinge mitstimmen. Eine ganz klar grüne Anhängerschaft. Ausländische Studenten dürfen jedoch bei sonstigen Gesetzgebungs-Wahlen nicht mitstimmen, was einen Teil des grünen Erfolgs in Wien relativiert.

Zum zweiten waren die Freiheitlichen auch schon bei den letzten EU-Wahlen hinter den Grünen, hingegen bei innerösterreichischen vor diesen. Sie haben alsobei Europawahlen schlechter mobilisieren können - was aber sicher nicht auf österreichische Wahlen hoch gerechnet werden kann.

Profitiert haben die Grünen auch der in Wien noch stärker als im Bundestrend gesunkenen Wahlbeteiligung. Mit Sicherheit sind dabei die der EU positiv gegenüberstehenden Wähler eher wählen gegangen als jene, die von der EU nichts oder ihrer Entwicklung wenig halten. Es ist ja überhaupt nur eine Minderheit der Wiener zur Wahl gegangen.

Und ebenso Tatsache ist, dass die andere Linkspartei, die SPÖ, in Wien verloren hat, während die SPÖ ja bundesweit ein wenig zugelegt hat. Auch wenn da die meisten Richtung Nichtwähler gewandert sind, sind doch mit Sicherheit auch einige bei den Grünen gelandet.

Bei den Roten müssen in Wien jedenfalls alle Alarmglocken läuten. Sie sind in Wien unter 28 Prozent gesunken. Sie liegen damit nur noch wenig besser, als der Bundestrend für die Genossen ist. Zugleich steht die Nachfolgefrage für einen alles andere als gesunden Bürgermeister ungelöst im Raum. Den Wiener Sozialdemokraten laufen die Arbeiter in den Außenbezirken davon. Denn immer mehr der gestandenen Sozialdemokraten wurden gerade in Wien von einem nur noch auf schwul, auf feministisch und auf Immigranten machenden Apparat zur Seite gedrängt. Das verstört immer mehr Arbeiter.

Die Wiener SPÖ ist auch deshalb in einer ernsten Krise, weil sich 69 Jahre ununterbrochener Machtausübung massiv zeigen. Das muss vor allem bei den beweglichen Wählermassen in Städten zu Verfall der Unterstützung führen. Da hat es zu viele Misswirtschaft und Korruption gegeben. Das Spital Nord scheint ja gerade ein neues Beispiel der Misswirtschaft zu werden.

Dabei hat die SPÖ im Roten Wien einst fast immer mit sicherer absoluter, manchmal die zwei Drittel erreichender Mehrheit regiert. Heute ist ihr Anteil in Wien hingegen viel geringer als im – nicht immer rot regierten – Kärnten oder Burgenland, oder jener der Schwarzen in Niederösterreich und Tirol. Die dort ebenfalls seit dem Krieg ein Bundesland als Privateigentum halten, aber eben mit deutlich besserem Erfolg. Und eben ohne Großstadt.

Noch einmal zurück zu den Grünen. Diese haben auch anderswo in den Städten sehr gut abgeschnitten. Während sie auf dem Land nach wie vor wenig merkbar sind. Sie sind eine städtisch-studentische Partei. Besonders bei dieser Wahl. Denn gerade bei den intellektueller und pro-europäisch gesinnten Schichten hat Ulrike Lunacek einen sehr guten Eindruck gemacht. Sie kam bei ihnen weit besser an als etwa der SPÖ-Kandidat Eugen Freund mit seinen alten Phrasen. Daher gebührt – bei aller Relativierung – ganz sicher ein wichtiger Teil des Erfolges ihr.

Jedoch: Wenn es ums Rathaus geht, ist mit einem viel stärkeren Zuwachs gerade der Freiheitlichen zu rechnen. Sie verzichten seit einigen Jahren auf das Bürgertum und sehen sich ganz als Partei der Unterschichten, die sich große Sorgen über die Zuwanderung machen.

Aber auch die Wiener Volkspartei könnte eines Tages wieder aus ihrem Koma erwachen. In das sie ja seit längerem gefallen ist. Nichts ist unmöglich – aber schwierig. Denn derzeit bringt die Partei zwischen Wiener Wirtschaftskammer und den schwarzen Bezirksvorstehern nicht mehr den Fuß auf den Boden.

Die Stadtschwarzen haben einen einzigen Trost: Das sind die enttäuschenden Ergebnisse der Neos. Denen hatte man ursprünglich viel mehr gegeben. Hinter vorgehaltener Hand fürchteten sich ÖVP-ler schon, von den Neos überholt zu werden. Vor dem Hintergrund dieser Befürchtungen haben daher selbst die Wiener Schwarzen einen Restgrund zur Freude.

Auch bei den Neos hat übrigens so wie bei den Grünen die Spitzenkandidatin den Ausschlag gegeben. Dort aber zum Negativen: Während die Grünen eben eine sehr gute Frau für Europa hatten, hatten die Neos eine sehr schwache Kandidatin. Jedoch: Für den Wiener Wahlkampf zeichnet sich bei den um ähnliche Wählerschichten wetteifenden Parteien eine Umkehrung des Kräfteverhältnisses ab. Bei der Wiener Wahl scheint die Neos-Kandidatin der grünen weit überlegen. Was noch sehr spannend wird.

Wien ist also nicht wirklich grüner geworden.

 

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

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