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Der Wahltag ist mehr denn je ein Qualtag

Otto Schulmeister, mein erster Chefredakteur, hat einmal bevorstehenden Nationalrats-Wahlen so kommentiert: „Da muss ich in der Früh zwei Whisky trinken, um dann halt die ÖVP zu wählen.“ Er hatte es noch leicht. Denn vor der nun bevorstehenden Entscheidung übers EU-Parlament würde ich sogar schon vier Whisky brauchen (wenn mir nicht vor scharfen Sachen, vor allem am Morgen, grauste). Und weiß doch nicht, wo ich mein Kreuz machen werde. Die Bilanz vor der Wahl.

Nächstes Element meiner persönlichen Annäherung an diesen Wahltag war eine Umfrage unter Freunden. Als Antwort auf die Frage, was sie wählen werden, wurden immer nur zwei Parteien genannt: ÖVP und FPÖ. Andere Gruppierungen wurden nie erwähnt. Auch unter sehr katholischen Wählern wurde etwa nie die Stadler-Gruppe (Rekos) genannt. Wer zur Wahl geht – und das kündigten unisono alle Befragten an –, der will seine Stimme nicht an chancenlose Gruppierungen vergeuden. Auch hat Stadler durch seine Schärfe und durch seine häufigen Parteiwechsel nicht gerade Sympathien gesammelt.

Es wird auch meine Wahlentscheidung letztlich zwischen FPÖ und ÖVP fallen. Sie wird  bei aller Unsicherheit, bei aller Schwäche der Kandidaten gültig fallen. Denn weit vor allen Parteientscheidungen stehen andere Grundsätze, die es immer wieder zu betonen gilt.

Wenn man den Bürgern schon keine direkte Demokratie erlaubt

Vor allem ist das der Bürger in mir, der wenigstens jene wenigen Entscheidungsmöglichkeiten  nutzen will, die uns die Mächtigen lassen. Jede Schweizer Abstimmung macht mich da im übrigen noch sicherer: Voten der Bürger sind – schon wegen des langen Vorlaufs – besser durchdacht, besser vorbereitet als Voten in unserem Parlament. Ein solches gibt es natürlich auch in der Schweiz; nur kann dort eben das Parlament vom Bürger überstimmt werden, was die Mächtigen hierzulande und in vielen anderen Ländern nicht zulassen. Wohlweislich.

In Österreich wird hingegen von den „Experten“ sicherheitshalber gleich die nächste Entmündigung der Bürger vorbereitet, falls es doch pro forma zu etwas mehr direkter Demokratie kommen sollte. Sowohl die Juristen wie auch die EU wären wichtiger als die Bürger, wird jetzt überall betont. Während für ein EU-Mitglied tatsächlich das EU-Recht (freilich nicht bloße Entschließungen des EU-Parlaments!) vorgeht, ist die Strategie der Juristen in Wahrheit durch nichts gedeckt. Sie definieren nämlich extrem geschickt immer mehr Rechtsbereiche als angebliche Grundrechte (vor allem durch die Gleichwertigkeit der „sozialen“ Grundrechte). Die Interpretation dieser Grundrechte steht raffinierterweise nur Juristen und nicht dem Volk zu. Für das dann – wieder total zum Unterschied von der Schweiz – kaum mehr etwas zu entscheiden bliebe.

In Summe bleibt damit also selbst dann das Ergebnis sehr karg, wenn irgendwann doch mehr direkte Demokratie zugelassen werden sollte (woran ich ohnedies nicht mehr glaube: Sebastian Kurz bastelt nach meinem Eindruck nur noch an seiner Karriere, nicht mehr an der direkten Demokratie).

Wer nicht hingeht, wird zum Nullum

Um dieser politisch-medial-juristischen Klasse mit meinen bescheidenen Mitteln entgegenzutreten, werde ich am Sonntag daher sicher hingehen, gültig wählen und eine Partei diesseits der Wahrnehmungsgrenze wählen. Denn Enthaltungen in dieser oder jener Form sind völlig wirkungslos. Zwar wird eineinhalb Tage über die niedrige Wahlbeteiligung gejammert werden (die es ja jetzt schon nach dem ersten Wahltag in anderen EU-Ländern gibt). Diese Beteiligung wird dann aber für nächsten Jahre wieder völlig vergessen sein. Dann wird nur die Mehrheit im EU-Parlament relevant sein. Und immer neue Regulierungen beschließen und immer neue Ausgaben verlangen.

Natürlich mache ich mir keine Illusionen. Ich habe ja nur eine von rund vier Millionen Stimmen. Ich bin zu alt, um nicht zu wissen: Es wird nie die Partei geben, die in allem und jedem meine Meinung hätte. Wer das glaubt, glaubt auch den Weihnachtsmann, den Osterhasen und den Pfingstochsen. Aber die Suche gilt eben der Partei, dem Kandidaten mit dem größten Näherungswert.

Ich werde am Sonntag meine Stimme also entweder der ÖVP oder der FPÖ geben. In einem sind sich ja die zwei sehr ähnlich: Sie haben sich relativ geschlossen, wenn auch oft in Minderheit, gesellschaftspolitisch den Linken (Rote, Grüne und Linksliberale) entgegengestellt. Diese haben die EU in letzter Zeit massiv benutzt, um dort linke Gesellschaftspolitik zu machen, obwohl Gesellschaftspolitik eigentlich gar nicht in die Kompetenz der EU fällt. Sie haben entdeckt, dass ihnen dies dennoch in Kommission und Parlament viel leichter gelingt als daheim.

Man erinnere sich etwa der von den drei genannten Gruppierungen im EU-Parlament mit Mehrheit(!) verlangten Bestrafung jedes, der sich gegen Werbung für die Homosexualität (etwa in Schulbüchern), gegen Gratiswitwerrenten oder gegen die Adoption durch Homosexuelle wendet. Man denke an die in der Kommission (unter besonders heftigem Mittun des Wiener Sozialministeriums, das in der Regierung mit solchen Forderungen nicht durchdrang) geplante De-Facto-Pflicht, seine Wohnung vorrangig an Schwule oder islamische Fundamentalisten zu vermieten, Arbeitsplätze an diese zu vergeben, auch wenn man diese nicht haben will. Als ob solche Regulierungen auch nur im entferntesten Aufgabe der EU wären.

Die illiberalen Neos

Hier zeigt sich auch das Illiberale an den Linksliberalen: Wenn es um Gesellschaftsveränderung, um Schwule, um den Kampf gegen das Christentum, um Zuwanderer geht, vergessen sie all ihre angebliche Liberalität. Sie wollen so wie Rot und Grün massiv Regulierungen des Verhaltens jedes Einzelnen und seine Bestrafung durchsetzen, sobald er nicht ihrer Meinung ist. Jeder Ahnherr der Liberalen dreht sich zwar darob im Grab um. Aber die Medien behaupten, das wäre liberal.

Es war ein Wahlkampf zum Abgewöhnen. Kein einziger der Kandidaten hat auch nur ein einziges echtes Problem mit konkreten Antworten vor den Wählern aufbereitet, das in der EU zur Entscheidung stünde. Eugen Freund gab überhaupt nur linke Stehsätze von sich. Und Schwarz-Grün gaben nur als Antwort, dass man noch mehr Zentralismus wolle.

Niemand diskutierte hierzulande seriös die Haftungen für die Schuldnerländer. Niemand diskutierte seriös über Lunacek- oder Estrela-Bericht. Niemand diskutierte seriös über die EU-Landwirtschaftspolitik. Niemand diskutierte über die Förderung für fast alles und jedes. Niemand diskutierte seriös über die drohenden Finanztransaktionssteuer (die de facto alle Bürger zahlen werden müssen!). Niemand diskutierte, warum die EU die eigenen Gesetze bricht (Mastricht-Kriterien, No-Bailout).

Aktuellstes Beispiel ist die sich durch alle Parteien ziehende Unkenntnis über das Abkommen mit Nordamerika. Statt den Nutzen des Freihandels zu begründen (Merkel und Cameron haben es wenigstens versucht), wurde über das Abkommen nur mit Phrasen geredet. Mit „Transparenz muss her!“ oder mit dem Gerede vom Chlorhuhn. Diese Chlorhuhn-Angst erinnert mich lebhaft an die 1994 von Jörg Haider verbreitete Furcht vor EU-Schildläusen oder an die Angst vor angeblich geschmacklosen niederländischen Paradeisern, welche die damals total Anti-Brüssel gestimmten Grünen verbreiteten.

Gerade die Gegner einer zu weit gehenden Integration und Überregulierung müssten massiv für solche Freihandelsabkommen sein. Denn möglich globaler Freihandel ist die einzige Alternative  (außer man will die Bürger durch Rückkehr zu den Grenzen in bittere Armut stoßen). Freihandel ist auch die einzige Möglichkeit, die dringend nötigen Arbeitsplätze zu schaffen. Denn die linken (und bisweilen auch rechts nachgeplapperten) Rezepte von noch mehr Schulden oder Wiedereinfuhr von Zöllen haben ja längst alle Wirksamkeit verloren. Wenn sie die je hatte.

Der Spitzenkandidat der ÖVP

Ausgerechnet in dieser Situation hat die ÖVP einen Mann an die Spitze gestellt, der ein vehementer Vorkämpfer von immer noch mehr Ausgaben, von immer noch mehr Rechten des EU-Parlaments ist. Dabei hat dieses Parlament als angebliche Volksvertretung zahllose unnötige Regulierungen abgesegnet.

Es mag zwar sein, dass in Brüssel (und Straßburg) im Laufe der Jahre fast jeder von der unbezwinglichen Lust, von Allmachtsphantasien befallen wird, für eine halbe Milliarde Menschen bis hin zum Duschkopf und Stromverbrauch alles zu regulieren. Aber dass dieser VP-Spitzenkandidat selbst im Wahlkampf keinerlei Selbstkritik geübt hat, erstaunt doch ziemlich. Er forderte nur ständig noch mehr Recht für dieses Parlament.

Er war zwar verärgert, als er im Laufe des Wahlkampfs entdeckt hat, dass die Wähler anders denken als er. Er dachte offensichtlich wirklich, dass die einstigen Anti-Strasser-Stimmen Pro-Karas Begeisterte gewesen wären. Aber Karas änderte seine Haltung nicht (was fast schon wieder Respekt abnötigte), er forderte vielmehr als – ewig gleiche – Konsequenz, dass man noch mehr Rechte dem Parlament geben und noch mehr EU-Propaganda machen müsse. Pardon: noch besser aufklären müsse. Bei der ORF-Diskussion am Donnerstagabend hatte man ja überhaupt den Eindruck, dass der Mann eigentlich bei den Grünen am besten aufgehoben wäre.

Der Amerikahass der FPÖ

Bleibt die FPÖ. Sie hat – ähnlich zur, aber stärker als die ÖVP – zwar in Sachen Familie, Schule, Schwulenpropaganda, Abtreibung die richtige, heute muss man schon sagen: eine mutige Meinung. Sie ist aber in vielen anderen Gebieten völlig ahnungslos. Die FPÖ hat vor allem keinen Hauch von Wirtschaftskompetenz.

Wenn ich Deutscher wäre, hätte ich es leichter. Dort tritt die „Alternative für Deutschland“ an, die scharfe Kritik an der EU (ohne Dummheiten wie einer Austrittsdrohung!) mit exzellentem wirtschaftlichem Sachverstand vereint. Die „Alternative“ hat auch die CSU zu deutlicher EU-Kritik gebracht, und selbst die CDU Angela Merkels äußert sich viel kritischer zur EU als die ÖVP.

Diese ist entweder total Karas-hörig oder gelähmt von panischer Angst vor den europatollen Neos. Dabei macht sich deren Spitzenkandidatin Mlinar mit ihrer Befürwortung eines EU-Beitritts für Russland und die Türkei und auch ihrer sonstigen Ahnungsarmut eigentlich nur lächerlich. (Denn: Wenn schon links, dann gleich Grün, die haben wenigstens eine Kandidatin, die weiß, wovon sie spricht. Sosehr ich auch ihr Weltbild für eine Katastrophe halte).

Der Haupteinwand gegen die FPÖ: Sie hat sich total zu Propagandisten Putins gemacht. Was absolut unverständlich ist. Und was die FPÖ fast unwählbar macht. Sie macht mit Putin einem Mann die Mauer, der im Jahr 2014 (wie einst . . .) andere Territorien einfach okkupiert. Der die russische Demokratie weitestgehend zur Face macht. Der den Zerfall der kommunistischen Sowjetunion als größte Katastrophe seines Lebens bezeichnet. Der jahrelang selbst noch an der Verfolgung von Christen mitgewirkt hat.

Daher ist sein heutiges Getue mit Patriarchen&Co nur ein nationalistischer Schachzug und nicht echt. Aber die FPÖ fällt darauf herein. Sie hat auch all das Leid vergessen, dass die russische Herrschaft über Osteuropa gebracht hat, dass österreichische Kriegsgefangene ein Jahrzehnt in Sibirien durchzumachen hatten. Sie entpuppt sich, was ich nie für möglich gehalten habe, als von tiefem Amerikahass geprägt. Es ist absolut unfassbar.

Dennoch ist klar: Es werden entweder ÖVP oder FPÖ sein. Aber die Entscheidung zwischen den beiden ist extrem schwer. Ob da am Sonntagmorgen vier Whisky zu mehr Klarheit helfen werden?

PS: Einer der Befragten hat in diesem Dilemma empfohlen, auf der ÖVP-Liste Lukas Mandl als Gegengewicht zu Karas zu wählen. Mandl vertritt viele der Ansätze, für die auch dieses Tagebuch eintritt; er ist kein Mann der Brüsseler Maschinerie. Wenigstens ein Kandidat, der keine Negativemotionen wachruft.

PPS: Kein relevantes Argument ist das Duell Juncker gegen Schulz. Denn damit will man mich ja auf Schwarz oder Rot einengen. Was mich ärgert. Bei aller Verkörperung des unsympathischen Deutschen in der Person Schulz hat mir auch Herr Juncker nie auch nur ein einziges liberal-konservatives Signal gesandt. Letztlich sind beides europäische Überregulierer.

PPPS: Eine der vielen Absonderlichkeiten dieses Wahlkampfs: Die SPÖ hat landauf, landab einen Mann plakatiert, der selbst sagt, er wolle die SPÖ-Delegation nicht anführen. Das wird also einer der im Dunklen Stehenden, jedenfalls ein Nicht-Porträtierter. Niemand konnte mir sagen, warum Herr Freund dann überhaupt plakatiert wird. Offenbar war es nur die Bekanntheit eines ORF-Gesichtes, wo er ja lange als SPÖ-Einpeitscher amtiert hatte, das die Partei jetzt verwendet.

PPPPS: Keine einzige Partei thematisierte, dass das Wahlrecht für 16-Jährige ein schwerer Fehler war und ist. 27 andere EU-Länder sind wohlweislich diesem Vorbild der rot-schwarzen Republik nicht gefolgt. Auch sonst ist mir kein Land der Welt bekannt, wo schon 16-Jährige wählen. Dennoch traut sich in dieser Republik der Angsthasen niemand, das zur Debatte zu stellen.

PPPPPS: Besonders atemberaubend an der donnerstägigen Konsensrunde im ORF: Mehr oder weniger alle bezeichnete das, was sich im Mittelmeer abspielt, als Schuld der EU. Und niemand nannte auch nur ein einziges Mal die in Wahrheit schuldige Gilde der Schlepper und Menschenhändler, die sich der EU bedient.

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