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Seit Zeitungen Fotos haben und seit das Fernsehen bewegte Bilder zeigt, hat sich der Charakter der Demokratie grundlegend verändert. Es wird in der veröffentlichten Meinung kaum noch nach dem Wert von Argumenten gefragt und gesucht, sondern nur danach, ob es dramatisch wirkende Illustrationen zu einer „Geschichte“ gibt. Gibt’s die nicht, ist eine Geschichte dann eben meist keine „Geschichte“. Persönlichkeiten werden medial oft ignoriert, selbst wenn sie noch so Gescheites sagen. Aber jedes noch so schwachsinnige Greenpeace-Transparent findet den Weg in die "Zeit im Bild", wenn es von drei Studenten plakativ auf einem Schiff oder einem Schornstein angebracht wird.
Damit hat sich die Demokratie viel substantieller verändert, als wir glauben. Es zählt nicht mehr die Mehrheit oder die Wahrheitssuche. Sondern es zählt die Kraft der Bilder, die es in die Nachrichtensendungen und auf die Titelblätter der Boulevard-Zeitungen schaffen.
Daher weiß jeder Politikberater, dass er vor allem Action und Bilder schaffen muss. Es geht bei medialen Entscheidungen nicht um die Höhe der Kinderbeihilfe, sondern darum, dass die zuständige Ministerin von lieben Kindern umringt wird, wenn sie über die Kinderbeihilfe spricht. Und nach einer Politiker-Debatte wird meist nur darüber debattiert, ob ein Politiker herumgewandert ist, ob er ein Taferl aufgestellt hat, ob er gelächelt hat.
Selbst wenn die auf den Bildern gezeigten Vorgänge eigentlich auf Ablehnung stoßen, schaffen es die Urheber mit ihrer Hilfe, das Agenda setting zu prägen. Und irgendwann glauben auch die Menschen, dass das wichtig sei, was die Bilder sagen, und nicht das, was wirklich wichtig wäre.
Gegen die Wirkung der Bilder hilft jedenfalls einmal eines: sie sich bewusst zu machen. Dann ist man schon ein wenig immunisiert dagegen. Man sollte auch immer genau beobachten: Sind es nur ein paar Dutzend Menschen, die vor der Kamera einen Zirkus machen, die eine amerikanische oder israelische Flagge verbrennen, oder sind es wirklich viele? Eine hervorragende Strategie gegen die Suggestivkraft von Bildern haben zwei der besten (Zeitungs-)Journalisten entwickelt, die ich kenne: Sie haben gar keinen Fernsehapparat, sondern informieren sich nur aus Radio, Internet, Büchern und Zeitungen.
Erschwerend kommt in Österreich zur suggestiven Wirkung von Bildern und Fernsehfilmen noch ein weiterer Faktor dazu: Welche Demos zeigt der ORF in seiner Linkslastigkeit und welche nicht? Da schaffen es ein paar Dutzend Linke, die für mehr Entwicklungshilfe-Geld oder gegen Atomkraftwerke aufmarschieren, fast mit Sicherheit in die Fernsehnachrichten. Ein paar Tausend Christen, die gegen die internationalen Christenverfolgungen vor allem in islamischen Ländern demonstrieren, werden vom ORF regelmäßig ignoriert.
Wenn Menschen keine gefestigte Meinung haben, dann werden sie durch die veröffentlichte Meinung beeinflussbar. Der Durchschnittsbürger hat ja meist ganz andere Sorgen und Interessen. Wenn er in Fernsehen und Druckmedien ständig mit einer bestimmten, bildlich untermauerten Überzeugung konfrontiert wird, dann wird er zunehmend ängstlich und verschweigt seine eigene Meinung. Im Laufe der Zeit übernimmt er dann die Meinung der veröffentlichten Meinung. So hoffen zumindest die Manipulatoren.
Nur wenige Menschen sind willensstark genug, gegen den Druck der Medien erst recht auf der eigenen Meinung zu beharren. Viele andere wollen lieber im Mainstream mitschwimmen. Das wollen sie dann erst recht, wenn für den Mainstream ständig starke Bilder werben. Sie fragen dann meist gar nicht mehr: Ist die Demo berechtigt? Steht hinter den Demonstranten eine Mehrheit?
Länder wie Thailand und Ägypten, Ukraine und Venezuela werden normalerweise medial weitgehend ignoriert. Wenn dort aber Straßen und Plätze besetzt werden, wenn Menschenmassen Feuerwerkskörper gegen Himmel schicken, wenn tagelang oder wochenlang gegen Regierungen agitiert wird, dann sind diese Länder plötzlich täglich auf den heimischen Bildschirmen zu sehen. Dann erfahren wir plötzlich die Unterschiede zwischen den reichen Hauptstadtbewohnern und der armen Bevölkerung im Norden Thailands. Plötzlich hängen die Zuseher der Zeit im Bild an der Deutung der Geschehnisse durch die Fernsehkorrespondenten (obwohl diese oft total falsch liegen, wie man etwa jüngst bei den ORF-Korrespondenten in Kairo wie in Moskau erlebt hat).
Ist es schon schwer genug, sich von der suggestiven Kraft der Fernsehbilder und Zeitungsfotos zu lösen, so ist es noch schwieriger, einen objektiven Standpunkt dazu zu finden. Zwar war etwa von Anfang an klar, dass campierende Studenten der Occupy-Bewegung oder die „99 Prozent“ keinerlei Massen repräsentieren. Das hat jeder vernünftige Mensch gewusst. Aber viele Journalisten haben Orgasmen der Begeisterung und Unterstützung angesichts solcher Kundgebungen bekommen, die sie an ihre eigene Jugend als 68er Möchtegern-Revolutionäre erinnern.
Aber dennoch ist keineswegs jede Kundgebung, Demonstration und Revolution negativ als bloßer Kamera-Event einer Minderheit abzutun. Es besteht zwar kein Zweifel, dass die Journalisten mit ihren Bezeichnungen oft maßlos übertreiben, dass Facebook-, samtene, orangene Revolutionen bisweilen nur aus ein paar Tausenden oder Zehntausenden Manifestanten bestehen. Aber es kann ebenso wenig Zweifel bestehen, dass beispielsweise die Ziele der Studenten, Bürger und Arbeiter von 1848 von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen waren. Und dass die Meinungsfreiheit, für die damals gekämpft worden ist, bis heute ein besonders wertvolles Gut ist. Dass also 1848 konstitutionell böse, moralisch aber gut war.
Bei der Beurteilungen von Demos, von Revolutionen sollte man einerseits ihre innere Legitimität bewerten. Noch spannender ist aber die Frage, ob das Ausland intervenieren darf. Da werden Völkerrechtler sofort antworten, dass das Ausland dann und nur dann intervenieren darf, wenn es einen einschlägigen Beschluss des Sicherheitsrats nach Kapitel sieben gibt. Zusätzlich gibt es das kollektive Selbstverteidigungsrecht von Bündnissen, wie sie etwa die Nato darstellt.
Aber da der Sicherheitsrat meist von national motivierten Vetos der Großmächte blockiert wird, aber da ethisch denkende Menschen nicht ihre Moral in der UNO-Garderobe abgegeben haben, ist ganz unabhängig vom Rechtlichen zu überlegen, wann ethisch für das Ausland eine Intervention erlaubt sein muss. Das ist häufiger der Fall als bei UNO-Beschlüssen, das ist aber keineswegs bloß deshalb der Fall, wenn eine Revolution intern berechtigt ist, wenn man einen Umsturz mit Sympathien begleitet.
Es sind wohl nur zwei Gründe, wo diese Außenwelt ethisch zum militärischen Einschreiten berechtigt ist, gleichgültig, was der Sicherheitsrat sagt. Nämlich:
Jede Außen-Interventionen der Vergangenheit kann nun danach untersucht werden, ob eine der beiden Bedingungen erfüllt ist. Da wird es auch unter Wohlmeinenden manchen Disput geben. Viele Fälle hingegen sind eigentlich ganz klar.
So könnte man noch viele Konflikte durchgehen, um die Intervention von außen zu kritisieren oder rechtfertigen. Tatsache ist, dass es in dem Land, das heute die weitaus größte Bedrohung nach außen UND die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen im Inneren verkörpert, keine Intervention gibt. Das ist Nordkorea.
Das hängt natürlich mit der hohen Rüstung des ansonsten eher steinzeitlichen Landes zusammen. Hier gilt das alte Prinzip: „Ultra posse nemo tenetur“. Es ist in Wahrheit die häufigste Regel der Weltpolitik. Wenn eine Intervention grob selbstbeschädigend wird, dann kann niemand moralisch angehalten werden, dort zu intervenieren. Man hat ja auch vom Westen einst nicht verlangen können, in der (sowohl aggressiven wie auch massiv menschenrechtsverletzenden) Sowjetunion einzumarschieren. Oder in China, das Tibet gegen den Willen der dortigen Menschen besetzt hält. Rein moralisch wäre das aber sicher ebenso berechtigt gewesen.
Wir sind heilfroh, dass es der Westen in solchen Fällen nicht tat und tut. Denn das Leben auch mit grobem Unrecht ist fast immer besser als das Risiko eines Kriegs oder gar Atomkrieges (wenn auch nicht für die in den diversen Konzentrationslagern zu Tode geschundenen Menschen). Es bleibt freilich sehr unbefriedigend, in einer Welt zu leben, in der damit letztlich noch immer das Faustrecht herrscht.
Wechseln wir zuletzt zur Frage, ob wir Massendemonstrationen an sich für klug und legitim halten. Sie können das durchaus sein, selbst wenn es keine Berechtigung für das Ausland gibt, sich einzumischen. Sie müssen es aber keineswegs sein, selbst wenn revolutionsgeile Journalisten sie begeistert feiern.
Auch hier muss man objektiv prüfen: Menschen haben dann ein Widerstandsrecht,
In allen anderen Fällen sollten wir Kundgebungen nur im Rahmen des ganz normalen Demonstrationsrechts für gerechtfertigt ansehen. Zur Rechtfertigung eines Regimes genügt es jedoch keinesfalls, formaljuristisch die jeweilige Rechts- und Verfassungslage zu prüfen. Die ist weitgehend irrelevant. Denn in Gesetzbücher kann ja jeder Machthaber hineinschreiben, was er will.
Es wäre toll, wenn wir – als außenstehende Beobachter von Demos und Umstürzen – uns auf diese erwähnten Punkte einigen können, um die Debatte zu objektivieren. Nicht jede Demonstration ist gut, nicht jede ist schlecht.
In welchen Ländern sind nun nach diesem Maßstab Sympathien gerechtfertigt? Die konkrete Einzelfallbeurteilung ist natürlich oft sehr schwierig, weil man zuwenig Fakten hat. Aber dennoch sei sie versucht.
Es mag für viele unbefriedigend sein, wenn man zu differenzieren versucht, wenn man das Aufeinanderprallen von Prinzipien Land für Land untersucht. Aber gerade liberales Denken erfordert eben immer genau nachzudenken.
Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form auch in den "Genius-Lesestücken" (www.genius.co.at) erschienen, einer unabhängigen Online-Zeitschrift zu den großen Fragen der Zeit.