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Europa: Der Obskurant und das Establishment

Wer die EU kritisiert, wird von weiten Teilen des politischen und medialen Establishments zum Obskuranten gestempelt. Man darf zwar Österreich scharf und auch grundsätzlich kritisieren, aber nicht die EU. Verstehe das, wer kann.

Der österreichische Rechnungshof kritisiert scharf Organe und Unternehmen der Republik. Im Rechnungshof der EU meinen viele hingegen: Man müsse sich mit scharfer Kritik zurückhalten. Das würde sonst von den EU-„Feinden“ aufgegriffen.

Ich bin schon einmal vom politischen und medialen Establishment zum Obskuranten gestempelt worden: Als ich in den 80er Jahren (dank der Toleranz meines Chefs Thomas Chorherrs) als erster Journalist einen „Vollbeitritt“ zur EU als möglich, sinnvoll und notwendig bezeichnet habe. Außenamt, Wirtschaftskammer, Bauern, Gewerkschaft, Völkerrechtler, Regierung und erst recht die Links-„Intellektuellen“: Alle waren damals strikt gegen mich und einen Vollbeitritt – angeblich aus rechtlichen Gründen, aber in Wahrheit aus Dummheit, Feigheit oder geheimen Interessen. Statt dessen wurden Seltsamkeiten propagiert wie etwa ein „Global approach“, in dem man zwar alle EU-Regeln hundertprozentig nachmacht – aber ohne Beitritt und Mitbestimmung.

Auch heute bekenne ich mich zur vollen Mitgliedschaft. Ich kritisiere die EU aber in etlichen Bereichen scharf. Das ist weder Widerspruch noch Haltungsänderung. Das ist vielmehr zwingende Reaktion auf Änderungen der EU selbst. Es sind die kritiklosen EU-Apologeten und die Kämpfer für einen ständigen Kompetenz-Transfer Richtung Europa und damit die Entmachtung der Staaten, die eines Tages schuld am Ende der EU sein werden. Die meisten Kritiker versuchen hingegen noch zu retten, was damals wie heute wichtig und gut ist an der EU.

Was ist das? Da wird manches genannt, freilich ist nur ein Teil richtig.

  1. Friede, Freiheit, Demokratie: Fast kein Politiker, kein Leitartikler lässt diese Begriffe aus. So wichtig sie sind – so unsinnig ist es, sie als Verdienst der EU darzustellen. Es gab im Westen schon vor der EU Friede, Freiheit, Demokratie. Und der Zusammenbruch des Realsozialismus 1989 hat viele Gründe, die EU ist höchstens der zwanzigste.
    Friede, Freiheit, Demokratie haben andere hergestellt: die Nato, die auch uns gegen den Warschauer Pakt geschützt hat; die Amerikaner, die sich nach 1945 zum Unterschied von 1918 weiter um Europa gekümmert haben; die deutsch-französische Aussöhnung; der Verzicht auf Reparationen und Demütigung; die gewandelte innere Einstellung der Europäer. Nichts davon war Folge der EWG, EG, EU oder gar von deren heutigem Zentralismus. Auch viele andere Länder haben Frieden, Freiheit, Demokratie. Ohne EU-Mitgliedschaft.
  2. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die vier Freiheiten des Binnenmarkts: Darin liegt in der Tat der große Wert der EU. Waren ungehindert von allen nicht nur für einen 8-, sondern einen 500-Millionen Markt produzieren zu können, ist die entscheidende Ursache des steilen Wohlstandsanstiegs seit der EU-Mitgliedschaft. Auch assoziierte Länder wie die Schweiz profitieren davon. Wegen eines solchen Wohlstandsgewinns durch Handel planen jetzt übrigens Europa und Amerika eine transatlantische Freihandelszone (die von den Linken wieder einmal bekämpft wird). Allein in Österreich hängen am Binnenmarkt direkt Hunderttausende Arbeitsplätze. Und indirekt noch viel mehr.
  3. Liberale Durchlüftung des verkalkten und staatsdominierten Österreich: Das war beim Beitritt sehr wichtig, ist aber heute ins Gegenteil gekippt.
  4. Der Euro: Naja. Zwar hat die gemeinsame Währung viele Vorteile: Sie eliminiert Währungsrisken, Transaktionsspesen und Abwertungswettläufe. Das wäre alles positiv – wenn man die eigenen Regeln eingehalten hätte. Was die EU aber nicht tat. Siehe die total ignorierten Maastricht-Kriterien; siehe das Verbot, verschuldete Länder zu finanzieren; siehe die vom deutschen Verfassungsgericht aufgezeigten Rechtsbrüche durch die Europäische Zentralbank.

Damit sind wir schon bei den vielen Gründen, warum die Liebe zu Europa erkalten musste. Warum europaweit der Anti-EU-Sturm anschwillt, der bei uns durch staatsoffizielles und ORF-manipuliertes Schönreden nur noch schlimmer wird. Fast zu jedem der in der Folge aufgelisteten Defizite gäbe es viel zu sagen:

  • Totale außenpolitische Irrelevanz trotz gegenteiliger Ankündigungen. Die EU scheitert von Bosnien bis zur Ukraine. Immer öfter kehrt die alte Großmachtpolitik zurück (etwa in Libyen, Syrien, Iran, China).
  • Sinnlose Milliardentransfers nach Südeuropa. Diese haben auch nach mehr als einem halben Jahrhundert nichts bewirkt.
  • Sozialtourismus. Die EU-Kommission verlangt auch für noch-nie-gearbeitet-habende EU-Bürger in anderen EU-Ländern prinzipiellen Zugang zu Sozialleistungen.
  • Zuwanderung. Statt Leistungsträger kommen nach Europa Wohlfahrtsempfänger. Und die EU (Kommission, Gericht, Parlament) will die Tore immer noch weiter öffnen.
  • Wohlfahrt. Während alle Welt auf Wettbewerb setzt, baut die EU noch die unfinanzierbare sozialdemokratische Wohlfahrtsillusion aus.
  • Demographie. Die drohende Katastrophe wird ignoriert.
  • Überregulierung. Glühbirnen, Duschköpfe, Zementsäcke . . .
  • Politische Korrektheit. Das EU-Parlament befasst sich zuletzt ständig mit Schwulen&Co, den grünroten Lieblingsthemen.
  • Zerfall. Nach dem Schock aus der Schweiz droht beim britischen Referendum ein Austritts-Beschluss, wenn sich die EU nicht dramatisch bessert.
  • Schwaches Personal. Aus vielen Ländern geht nur zweit- und drittklassiges Politik-Personal nach Brüssel und Straßburg.
  • Hilflos gegen TV-Monopolisten. Helmut Kohl hat durchgesetzt, dass die (heute total linken) Staatssender privilegiert bleiben.
  • Ständiger Rechtsbruch. Das was in Euroland passiert, zertrümmert die Glaubwürdigkeit der Union.
  • Ignorieren neuer gefährlicher Blasen. Siehe die steil steigende Preise für Immobilien und Aktien.
  • Arbeitslosigkeit. Sie steigt ständig weiter, da die Investitionen in der EU trotz einer Wiederkehr des (Konsum-)Wachstums sinken.
  • Vorzugsschülergehabe. Die EU hat fast als einzige Region die CO2-Vorgaben (Kyoto) umgesetzt und damit der Wirtschaft schwer geschadet.
  • Türkei. Die Möchtegern-Großmacht EU nimmt tatenlos hin, dass die Türkei seit Jahrzehnten Nordzypern (EU-Gebiet!) besetzt und heute alle Grundrechte mit Füßen tritt. Ja, sie verhandelt sogar noch immer über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei.
  • Korruption. Schwerst korrupte Länder sind heute Mitglieder (Bulgarien, Rumänien).
  • Undemokratisch. Ein deutscher Abgeordneter braucht zu seiner Wahl zwölf Mal so viele Stimmen wie einer aus Malta.
  • Bilanztricks. Die EU berechnet plötzlich Ausgaben für Rüstung und Forschung als BIP-relevante Investition.
  • Sprach-Chaos. Frankreich verhindert, dass wie sonst in internationalen Organisationen Englisch zur Arbeitssprache der EU wird.
  • Parlamentssitz. Das EU-Parlament muss ständig teuer pendeln, weil es nicht einmal seinen eigenen Tagungsort selbst bestimmen darf.  

Die Summe dieser Punkte hat die einst große Liebe zu Europa in großen Zorn verwandelt.

Dieser Beitrag erscheint in ähnlicher Form in der neuesten Nummer der Zeitschrift "Academia".

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