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Die europäischen Überregulierungen

Es sind gleich zwei schädliche Automatismen. Der erste: Jeder, der nach Europa kommt, denkt bald europäisch und nicht mehr in der Perspektive seiner Heimat – obwohl er von dort entsandt oder gewählt worden ist. Der psychologische Vorgang ist klar: Geht es doch etwa in Österreich nur um 8 Millionen, in der EU bestimmt man gleich über 500! So lautet der erste. Der zweite Automatismus: Noch jede Körperschaft, jede Organisation, jeder Politiker hat durch Aufstellung von Regeln, durch Gesetze, durch Verordnungen die eigene Existenzberechtigung nachzuweisen versucht. Hätte ein Politiker das nicht getan, hätte er zwar meist richtiger gehandelt; er wäre aber sofort vom Boulevard als „faul“ gebrandmarkt worden.

Das zeigt sich schon in jedem Land selber. Je mehr Minister es gibt, umso mehr Gesetze, Ministerbüros und Berater. Es ist alles andere als ein Zufall, dass die Schweiz nur sieben Regierungsmitglieder (Bundesräte) hat und zugleich sensationell niedrige Steuern. Da sind eben weniger Menschen beim Nachdenken, wo man noch Geld ausgeben könne. Österreich hingegen hat genau doppelt so viele Ministerien wie Schweiz.

Man könnte auch die administrativen Stufen vergleichen: Die Schweiz ist nicht bei der EU und hat dennoch nur drei relevante Ebenen, Gemeinden, Kantone und den Bund. Österreich hingegen hat mit Gemeinden, Bezirken, Bundesländern und Bund eine Verwaltungsebene mehr. Und ist überdies in der EU.

Bürokratie statt Subsidiarität

Erst recht zeigt sich das Bürokratie-Phänomen in der EU selber. Dort wird zwar immer, wenn eine neue Verfassung anzunehmen oder ein neues Parlament zu wählen ist, von Politikern viel „Subsidiarität“ versprochen. Gehandelt wird aber immer in die Gegenrichtung. So hat inzwischen die EU-Kommission nicht weniger als 28 Mitglieder. Also vier Mal so viel wie die Schweiz Bundesräte hat. Dabei hatte man fix vorgehabt, die Zahl der Kommissare zu reduzieren – aber dann hätte nicht mehr jedes Land einen gehabt. Also ließ man es lieber bleiben.

Als Ergebnis produziert die EU ständig mehr Arbeitsgruppen, Richtlinien und Organisationen. Nur noch die größten Spezialisten haben einen Überblick über alle. Jeder Politiker will sich verewigen, daher schlägt er ständig neue Institutionen oder Richtlinien vor. Oder man gibt, wie die Luxemburger Kommissarin Reding mit ihrer Gummikompetenz „Grundrechte“ ständig den EU-Staaten Ratschläge und Wünsche für alles mögliche. Die Lust und Verführung, etwas europaweit anschaffen zu können, ist geradezu unermesslich. Gerade Politiker aus kleinen Ländern werden hemmungslos, wenn sie gleich über eine halbe Milliarde Menschen kommandieren können.

Ein Schweizer hingegen würde nur verständnislos schauen, wenn das Land einen „Grundrechts“-Bundesrat hätte. Denn zum Schutz dieser Grundrechte sind ja die Gerichte und nicht die Politiker da.

Der Wildwuchs an Instituionen

In der EU gibt es aber nicht nur die Kommission. Es gib auch das mit der letzten EU-Verfassung stark aufgewertete Parlament – ohne aber dass im Gegenzug eine Organisation abgewertet worden wäre. Was die Dinge in der EU unglaublich kompliziert. Es gibt den Europäischen Rat (wo die Regierungschefs bei jedem ihrer Treffen etwas beschließen wollen), es gibt die zahllosen Räte der Fachminister (die auf EU-Ebene gerne das beschließen, was sie daheim nicht durchgebracht haben), es gibt die EU-Gerichte.

Das ist aber keineswegs alles. Die EU hat darüber hinaus, um die wichtigsten Organisationen wenigstens dem Namen nach aufzuzählen:

einen Rechnungshof, eine Zentralbank, einen Auswärtigen Dienst, einen Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik, einen Wirtschafts- und Sozialausschuss, einen Ausschuss der Regionen, eine Investitionsbank, einen Bürgerbeauftragten, einen Datenschutzbeauftragten, ein Amt für Veröffentlichungen, ein Amt für Personalauswahl, eine Verwaltungsakademie und einen umfangreichen Übersetzerdienst (obwohl viele andere internationale Organisationen intern mit Englisch als Arbeitssprache auskommen).

Aber wollen wir die Leser nicht erschöpfen: Es gibt ja noch weitere 40 EU-Agenturen bis hin zum Innovations- und Technologieinstitut. Fast alle machen sich wichtig und wollen durch Regulierungen ihre Notwendigkeit beweisen. Und ständig wird weiter ausgebaut. Jetzt etwa eine eigene Bankenaufsicht.

Man könnte ja noch Verständnis für etliche dieser Institutionen aufbringen, wären etwa in Österreich beim Beitritt einige entsprechende nationale Institutionen aufgelöst worden. Aber es geschah das Gegenteil: Viele Organisationen und Ministerien haben eine Personalaufstockung verlangt, weil sie ja jetzt auch noch die europäischen Angelegenheiten betreuen müssen.

Dabei hätte man im Gegenzug zum EU-Beitritt überhaupt eine ganze Verwaltungsebene streichen müssen. Nur hätten dann viele sich für wichtige Haltende ihr stolzes Amt verloren. Was natürlich für die Politik denkunmöglich ist. Da scheint es immer nur ein Mehr, nie ein Weniger zu geben.

Wo sich die EU überall einmischt

Genau diese Vielfalt an Aufgaben suchenden EU-Institutionen führt jedenfalls dazu, dass EU-Europa immer mehr in das Leben der Menschen einzugreifen versucht, oder tatsächlich eingreift. Dazu gehören etwa:

  • Der EU-Kampf gegen die Glühbirnen;
  • Die EU-Vorschrift, dass jedes Land 20 Prozent Industrieanteil am BIP haben solle;
  • Die EU-Behauptung, dass die Mitgliedsstaaten für 30 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungseinrichtungen haben sollen;
  • Die von der EU betriebene europaweite Einführung der Smartometer, mit denen man dann weiß (freilich wissen das dann auch Außenstehende!), wann man viel oder wenig Strom braucht, und ob es den gerade billig gibt; wobei der Nachteil auch abgesehen von Kriminellen evident ist: die Smartometer kosten sehr viel, ohne dass ihre Nutzen sehr wahrscheinlich ist – und wieder müssen es die Kunden zahlen;
  • Der EU-Kampf für wassersparende Duschköpfe (obwohl nur in den Mittelmeerländern Wasserknappheit herrscht, während in Deutschland oder Österreich die Wasserleitungen im Gegenteil Probleme wegen zu geringem Verbrauch haben);
  • Das EU-Schädlingsmonitoring, die Regulierungen für Liftwarte und Brandschutzbeauftragte (unter denen zuletzt besonders die Tourismus-Wirtschaft aufgestöhnt haben);
  • Der EU-Kampf für den „Abbau von Geschlechterstereotypen bei der Erziehung und in den Medien“;
  • Der EU-Kampf für ein Fischfang- und Ölbohrverbot auf der Arktis (obwohl die meisten Arktis-Länder gar keine EU-Mitglieder sind, macht sich das EU-Parlament ständig mit solchen Resolutionen lächerlich);
  • Das EU-Verbot für Österreich, bei deutschen Studenten dasselbe Abiturzeugnis bei Studienantritt zu verlangen, wie sie auch daheim haben müssten (das ist je nach Studium ein bestimmter Notenschnitt);
  • Jetzt wird in der EU sogar ein „Sozialpakt“ gefordert (mit dem von der EU-Kommission beauftragten österreichischen Herrn Aiginger vom Wifo an vorderster Front der Fordernden), was die Sozialleistungen in der EU noch ausbauen – aber vor allem die Zahl der Arbeitslosen noch mehr steigen lassen wird.

Regulieren, zwingen, vorschreiben, vereinheitlichen. Diese Aufzählung meist völliger unnützer oder schädlicher EU-Beschlüsse ließe sich endlos fortsetzen.

Regulieren, nur wo alle Regeln brauchen

Dabei wäre das richtige Prinzip ganz logisch: Überall dort, wo es in den 28 Ländern Regulierungen gibt oder wo Regulierungen zur Abwehr ausländischer Konkurrenten dienen, ist eine Vereinheitlichung EU-weit durchaus sinnvoll. Überall dort, wo alle oder mehrere Länder aus gutem Grund auf eine solche Regulierung verzichtet haben, dürfte es auch keine EU-einheitliche Regulierung geben. Eigentlich ein sehr einfaches Prinzip – aber es wird überhaupt nicht eingehalten. Es wird viel zu viel reguliert, bis hin zu den neuesten Plänen der EU-Kommission, an wen ich meine Wohnung vermieten darf. Aber beim logischerweise fast immer grenzüberschreitenden Verkehr (Genehmigungen von Loks, Verkehrszeichen, Fahrverboten usw.) schafft man keine Vereinheitlichungen.

Fast alle EU-Akteure wollen europaeinheitliche Zwänge. Als einer von vielen sei der EU-Vizepräsident Othmar Karas zitiert, der frank und frei gesagt hat: „Es muss europäisch entschieden werden.“ Und: „Es darf keine nationalen Vetomöglichkeiten geben“. Karas hat das konkret in Hinblick auf die Bankenabwicklung gesagt – aber im Grund sind diese Sätze in allen Feldern das Handlungsprinzip aller europäischen Politik. Nicht nur von Karas. Nicht nur von seiner Fraktion.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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