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War das jetzt ein Putsch?

Waren die Vorgänge in der Ukraine ein Putsch oder verfassungskonform? Und wenn es ein Putsch war, war der eventuell legitim, weil die Stimme des Volkes überhaupt nicht mehr zu Gehör kam? Darüber können jetzt nicht nur Juristen lange streiten. Sehr spannend ist auch die Kontroverse, ob sich die EU jetzt zu Recht den Erfolg an den Hut stecken kann. Nur eines kann man jetzt schon eindeutig sagen: Jeder, der glaubt, dass in der Ukraine jetzt alles wieder seinen ordentlichen Weg gehen wird, gibt sich einer Illusion hin.

Dazu ist das Land viel zu tief gespalten. Das, was im Westen des Landes gilt, hat im Osten und Süden so gut wie keine Gültigkeit. Weder die dortigen Menschen noch die Machthaber in Moskau werden Krim&Co einer neuen antirussischen Regierung überantworten. Und mit Sicherheit dreht Moskau jetzt bald wieder an den Gashebeln der Leitungen für und durch die Ukraine. Das wird bald neuerlich zu einer Knappheit führen – die allerdings am Ende des Winters nicht mehr so hart spürbar sein wird. Aber die Auswirkungen wird man auch weiter im Westen merken.

Und vor allem muss sich jeder Bürger der Ukraine klar werden: Das Land ist total bankrott. Alle notwendigen Reformen wurden ein Vierteljahrhundert versäumt. Das ist zwar wie in Russland. Nur hat Russland gewaltige Energie- und Bodenschätze, die es in der Ukraine kaum gibt. Die Zeiten, wo die fruchtbaren Böden der Ukraine alleine schon eine so große Attraktion waren, dass sie ganze Kriege auslösen konnten, sind vorbei. Aber begreifen das die Menschen, dass jetzt sehr harte Jahre vor ihnen liegen, dass die Westorientierung noch keineswegs kurzfristig Dividenden bringen kann, dass der Wechsel von einer Korruptions- zu einer Marktwirtschaft ein extrem mühsamer Prozess ist?

Viel Diskussion löst jetzt schon in- und außerhalb des Landes die Frage aus, ob in der Ukraine ein Putsch stattgefunden hat. Eigentlich nicht, muss die Antwort wohl lauten. Denn verfassungsrechtlich ist das Parlament nach wie vor korrekt gewählt und im Amt. Zwar haben sehr viele Abgeordnete die Seiten gewechselt und solcherart die Absetzung von Präsident Janukowitsch befördert. Aber das Seitenwechseln gehört ja zu den Rechten von gewählten Abgeordneten und ist auch in Österreich bekannt.

Die Motive der wechselnden Abgeordneten selbst sind freilich verworren. Haben sie aus tiefer Überzeugung gehandelt, weil ein Wechsel spätestens dann notwendig geworden ist, als Ex-Präsident Janukowitsch gezielt auf Demonstranten schießen hat lassen? Oder haben sie nur deshalb die Fronten gewechselt, weil sie sonst in Kiew nicht mehr ihres Lebens sicher wären? Oder war entscheidend, dass die Oligarchen um ihre Villen, Konten und Geschäfte im Westen gebangt haben, die nun durch Sanktionsdrohungen in Gefahr waren?

Vermutlich haben alle diese Motive mitgespielt. Das Erfreulichste an der Ukraine 2014 ist sicher, dass es bei den Demonstranten selbst eindeutig eine Erhebung war, die Werte als primäres Ziel hatte und nicht eine Füllung der leeren Mägen. Denn dazu und vor allem zur Beheizung von Wohnungen hätte derzeit ein Bündnis mit Russland zweifellos besser genutzt.

Bei denen, die auf die Straße gegangen waren, stand ein Wort im Mittelpunkt: Europa. Das wird in der derzeit maroden EU mit Freude gesehen. Jedoch hat die ukrainische Wende selber – so wie jene von 1989 – mit der EU nur recht wenig zu tun. Denn an den entscheidenden Tagen haben in Kiew der deutsche, der französische, der polnische Außenminister verhandelt und Druck gemacht. Es war Angela Merkel, welche die entscheidenden Telefonate geführt hat. Es war hingegen absolut nichts von den diversen EU-Präsidenten zu sehen oder hören oder von der EU-Außenministerin oder vom griechischen Außenminister, der jetzt eigentlich den Vorsitz in der EU führt.

Wir sehen in der Ukraine ein perfektes Beispiel der europäischen Großmachtpolitik, wie wir sie seit Jahrhunderten mit allen guten und schlechten Seiten kennen. Dennoch sollte man ehrlicherweise hinzufügen. Komplett irrelevant war auch die EU nicht: Anlass der ukrainischen Erhebung war die Zurückweisung eines Abkommens mit der EU durch Janukowitsch, was die westlich gesinnten Teile der Ukraine zutiefst empört hat; und auch die Sanktionsdrohung durch die EU, die USA und andere Länder war eine sehr wichtige „Waffe“ der drei Unterhändler.

Noch einmal zurück zu den europäischen Werten, für die auf dem Maidan gekämpft worden ist. Man bekommt in Mitteleuropa erst langsam mit, wie wenig tief in der Ukraine die Wende von 1989 gegangen ist. Wenn bis vor wenigen Tagen alleine der Westen des Landes von 40 Lenin-Statuen übersät war, zeigt das, dass der alte koloniale Geist der Sowjetunion noch immer nicht eliminiert ist.

Die entscheidenden Akteure waren jedenfalls die Ukrainer selber. Das waren einerseits die wochenlang auch in bitterer Kälte durchhaltenden Demonstranten. Und das war andererseits die totale Spaltung in Armee und Polizei. Diese haben ziemlich genau entlang der Linien der sprachlichen Herkunft – Ukrainisch oder Russisch – ganz unterschiedliche Haltungen eingenommen. Womit sie praktisch als Akteure ausgefallen sind.

In beiden Teilen der tief gespaltenen Ukraine wird weiterhin an einer längst unhaltbaren Fiktion festgehalten: der von der untrennbaren Landeseinheit. Zugleich aber wenden sich beide Teile immer mehr voneinander ab. Das zu akzeptieren, wird vielen schwer fallen. Es wäre aber für die Bürger zweifellos besser. Und schon gar nichts wird es helfen, wenn die europäische Linke jene Ukrainer als faschistoid bezeichnet, die die westlichen Werte als besser für die Ukraine ansehen denn die russische Kolonialattitüde.

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