Was wird besser, was wird schlechter?
14. Dezember 2013 00:48
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 9:00
Das Koalitionsprogramm ist ein unstrukturiertes und sprachlich schwaches Sammelsurium an Sinnvollem und Dummem. Es besteht in allzu vielen Punkten aus völlig unkonkretem Blabla. Fast jeder einzelne Satz kann nämlich alles oder nichts bedeuten. In zahlreichen Aspekten – vor allem bei den teuren Schnittflächen zwischen Bund und Ländern – bräuchte eine Umsetzung auch eine Verfassungsmehrheit, welche die Koalition bei weitem nicht hat. Inhaltlich finden sich zwar durchaus viele positive Punkte, abernoch mehr negativ zu bewertende. Zugleich strotzt es von Altbekanntem, das genauso schon in früheren Regierungsprogrammen gestanden ist oder stehen hätten können.
Um den Lesern zu ersparen, sich durch 124 Seiten schwammigen Textes durchzukämpfen (Masochisten steht das natürlich offen), seien hier die wichtigsten Punkte in der Hoffnung zusammengefasst, dass die leeren Worte wenigstens irgendetwas bedeuten. In meinem krampfhaften Bemühen, das Positive nicht zu übersehen, sei wieder mit diesem angefangen:
Die Positiva
- Lobenswerterweise wurde die Zerschlagung des Gymnasiums vollständig aus den Programmentwürfen genommen (was auch die vom Tagebuch ausgelöste Protestlawine bewirkt hatte). Dennoch bleibt erstaunt – nein: empört – festzuhalten, dass die neue Unterrichtsministerin sofort nach Bekanntwerden des Programms angekündigt hatte, dass es weitere Schritte in Richtung Gesamtschule geben werde. Wozu gibt es eigentlich ein gemeinsames Programm, wenn es einzelne Minister sofort wieder ignorieren wollen? Ist das nicht sogar die Ankündigung, einen bewussten Amtsmissbrauch zu setzen?
- Wenn sie klug umgesetzt wird, ist die Ausbildungsgarantie bis zum 18. Geburtstag sinnvoll. Freilich wäre es noch viel wichtiger, wenn diese Garantie mit der absoluten Pflicht verbunden wäre, dass alle Jugendlichen – sofern die Eltern Familienbeihilfe kassieren – schon ab dem vierten Geburtstag im Lande Schulen und deutschsprachige Kindergärten besuchen. Es wäre auch jedenfalls absurd, wenn die Ausbildungsgarantie ein absolutes Beschäftigungsverbot für Jugendliche bringen sollte. Wählen und Bundesheer ja, Geld verdienen nein? Das kann es wohl nicht sein.
- Positiv, wenn auch besorgniserregend vage ist die Ankündigung einer Sprachstandsfeststellung mit Vier, auf die dann eine intensive und obligatorische Sprachförderung folgen sollte.
- Die Senkung der Lohnnebenkosten um 0,2 Prozent ist zweifellos lobenswert, wenn auch viel zu wenig, um Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu haben.
- Sehr erfreulich ist die angesprochene Abschaffung der Gesellschaftssteuer, die ja nur sinnvolles Wirtschaften behindert, aber wenig Budgeteinnahmen gebracht hat.
- Es gibt eine Reihe kleiner Änderungen im Arbeitsrecht, die positiv wirken: etwa der der Abbau des Kündigungsschutzes, wenn man Ältere neu anstellt; oder die künftig sofortige Kontrollpflicht der Krankenkassa bei zweifelhaften Krankenständen; oder die Verlängerung der möglichen Probezeit; oder die Pflicht, Resturlaub in der Kündigungsfrist zu verbrauchen.
- Die vage angekündigte Schaffung von KMU-Finanzierungsgesellschaften klingt zwar positiv. Das bedeutet aber möglicherweise auch schon wieder eine staatliche Einmischung in die Wirtschaft. Viel eher zielführend wäre es, die steuerliche Diskriminierung von KMU-Privatkapital gegenüber der Kreditfinanzierung endlich zu beenden.
- Die Erhöhung der Familienbeihilfe steht erfreulicherweise wieder auf dem Programm. Sie ist freilich noch keineswegs mit genauer Höhe fixiert. Hier haben Proteste, auch des Tagebuchs, zweifellos geholfen. Aber dennoch bleibt die absurde Fehlentwicklung aufrecht, dass es viel mehr zusätzliches Geld für Kinder-Verstaatlichungsprogramme gibt, wie etwa für die Ganztagsschulen, obwohl sich die Nachfrage nach diesen in ganz engen Grenzen hält.
- Erfreulich ist, dass nicht mehr alleine die Gebietskrankenkassen entscheiden können, ob jemand selbständig oder angestellt ist. Auch auf dieses Problem hat das Tagebuch in den letzten Wochen recht einsam hingewiesen; umso erfreulicher, dass das Folgen hatte. In Zukunft entscheidet bei Uneinigkeiten eine im Hauptverband eingerichtete Schlichtungsstelle.
- Positiv, aber zu unkonkret ist zweifellos die Ankündigung, die teuren Veröffentlichungspflichten von Unternehmen zu „durchforsten“. Dies wäre umso notwendiger, als in der „Wiener Zeitung“ gerade im Schatten der Koalitionsverhandlungen üble Gehaltserhöhungen für wichtige Genossen ausgedealt wurden. Das Ergebnis der Durchforstung dürfte daher auch sehr mager bleiben, da sich die SPÖ schützend vor die Zeitung stellen wird.
- Bei den Kulturprojekten ist die Fixierung des Tiefspeichers für die Nationalbibliothek lobenswert (auch wenn zu tadeln ist, dass die ÖNB neben den wichtigen Büchern das ebenso wichtige elektronisch produzierte Kulturgut noch keineswegs ausreichend abspeichert). Man muss freilich schauen, ob es für den Tiefspeicher auch wirklich genug Geld gibt, oder ob sich das Projekt so wie etwa das Haus der Geschichte folgenlos auch in drei weiteren Regierungsprogrammen wiederfinden wird.
- Im langen Kapitel zu den Miet- und Wohnbaukosten finden sich viele Details, aber kein wirklich substanziell greifbarer Punkt. Diese Details können daher erst bei einer Konkretisierung bewertet werden. Die einzige zielführende Strategie, um mehr Wohnraum zu schaffen, nämlich mehr Marktöffnung, wird nirgendwo direkt angesprochen. Dennoch lassen wir auch diesen Punkt in eitlem Optimismus noch bei den Positiva stehen.
Die Negativa
Die Liste der kritisch zu bewertenden Punkte ist leider länger als die der positiven oder zumindest Hoffnung gebenden Vorhaben.
- Einen besonderen Schock vermittelt die Kommunikation der SPÖ. Diese behauptet – von der ÖVP unwidersprochen – dass 52 Prozent des berühmten Finanzlochs durch neue Einnahmen konsolidiert werden. Dabei sind sich alle ernstzunehmenden Experten eigentlich einig, dass das Loch nur durch Einsparungen gefüllt werden sollte.
- Die vielen Auswirkungen der einzelnen Steuererhöhungen beziehungsweise der Verschärfung der Bedingungen für Steuerbegünstigungen können erst bei einer gesetzlichen Konkretisierung bewertet werden. Unter die Positiva kann aber naturgemäß keine einzige gereiht werden.
- Zu den Negativa des Koalitionsprogramms gehört jedenfalls die Delegierung vieler wichtiger und heikler Punkte in Kommissionen. Dort soll dann weiter geredet werden, etwa über die dringend notwendige Deregulierung oder die Pensionen. Was enttäuschend ist. Denn was die Regierungsspitzen nicht geschafft haben, wird wohl auch eine Kommission nicht zustandebringen. Die Pensionskommission beispielsweise müsste endlich definieren, welche konkreten Maßnahmen die angekündigte Erhöhung des effektiven Pensionsantrittsalters sicherstellen sollen.
- Zu erwarten gewesen ist, dass der Spitzensteuersatz nicht angesprochen wird (es ist nur vage von einer Steuerreduktion für niedrige Einkommensklassen die Rede). Der Spitzensteuersatz wirkt aber besonders abschreckend bei der Ansiedlung internationaler Firmen in Österreich, was schlecht für die Arbeitsplatzschaffung ist. Daher sind die Worte, die eine Vermehrung solcher Ansiedlungen ankündigen, leeres Gewäsch.
- Das Nulldefizit ist nur noch ein „strukturelles“, also kein wirkliches mehr. Es gibt dazu im Koalitionspapier auch keine harten Zahlen oder Festlegungen. Das heißt im Klartext: Österreich wird nichts machen, wozu es nicht durch die EU ohnedies gezwungen wird. Das von Maria Fekter noch sehr oft verwendete Wort „Nulldefizit 2016“ wird wohl rasch aus dem politischen Sprachgebrauch verschwinden.
- Sehr bedauerlich ist, dass das Thema verpflichtender Volksabstimmungen überhaupt keinen Stellenwert mehr hat. Da hat die politische Klasse die wichtigste Möglichkeit zur Überwindung der Systemkrise erfolgreich zu Tode gestreichelt.
- Sehr negativ ist die Repolitisierung der ÖIAG zu werten. Diese wurde hier zwar schon einmal kritisiert. Jetzt aber hat sich die Lage noch weiter verschlimmert, als es keine über vage Phrasen hinausgehende Festlegungen gibt, welche Staatsbetriebe denn wenigstens teilweise privatisiert werden sollen. Das konnte man noch vor ein paar Tagen als Gegenzug für die Parteipolitisierung der ÖIAG erhoffen.
- Den Finanzarbeitsplätzen wie auch kreditsuchenden Unternehmen sehr schaden wird das Inkraftbleiben der Bankenabgabe. Samt weiterer Erhöhung, Dabei findet sich aber in diesem Bereich wenigstens ein positiver Randaspekt: Die Bankenabgabe soll nun ganz auf die Bilanzsumme umgestellt werden. Damit dürfte die Dummheit aufhören, dass auch Derivatverträge besteuert werden. Diese sind nämlich als Flucht vor dieser Steuer in großem Umfang ins Ausland abgewandert. Derivate sind notwendig und sinnvoll – trotz ihrer Denunzierung durch linke Propagandisten. Sie sind nämlich primär wichtige Absicherungsgeschäfte der Realwirtschaft: Die AUA sichert sich solcherart gegen Spritpreisschwankungen ab, die Fruchtsaftfirma Rauch gegen ein Steigen der Orangenpreise, und die Bundesfinanzierungsagentur gegen Währungskursschwankungen.
- Mit Beibehaltung der Bankenabgabe begibt sich der Bund auch jeder Möglichkeit, die dramatische Hypo-Last mit den Banken zu teilen. Was im Gegenzug für einen Abbau der Bankenabgabe möglich gewesen wäre.
- Da die Politik gleichzeitig (außerhalb des Paktes) die Insolvenz der Hypo neuerlich ausschließt, dürfen sich die Bayern und Kärntner freuen. Dabei hatte der bayrische Ministerpräsident Seehofer panikerfüllt schon eine Reise nach Wien in Sachen Hypo angekündigt. Die österreichischen Steuerzahler sollten aber bitter weinen. Denn die Last, die nun sie wohl zur Gänze für die Hypo zahlen müssen, wird gigantisch. Und übertrifft sowohl Nutzen wie Lasten durch das Koalitionspaket gewaltig.
- Extrem negativ ist vieles, was sich durch das diesbezügliche Schweigen im rot-schwarzen Papier ergibt. Da sie nicht angesprochen werden, werden also offensichtlich etwa auch alle teuren Tunnelprojekte weitergebaut, inklusive des extrem sinnlosen Koralm-Tunnels.
- Besonders negativ ist das hier schon vor ein paar Tagen kritisierte Eindringen der Politologen, also rotgrünfeministischer Propagandisten, in den Schulbetrieb. Das steht in drastischem Kontrast zu einer Formulierung in einer weiteren Passage des Abkommens, in der eine Steigerung des Wissens um Wertpapiere und Kapitalmärkte gefordert wird. Jedoch finden sich im Schulkapitel nur die Politologen wieder. Die aber werden solches Wissen mit absoluter Sicherheit nicht vermitteln wollen und können. Difficile est satiram non scribere (seit dem Hinauswurf von Minister Töchterle wird das in einer Regierung Faymann freilich niemand mehr verstehen).
- Es gibt weiterhin keine Breitbandoffensive, weiterhin keine Studiengebühren.
- Sehr vage angekündigt wird der Ausbau der Zugangslimitierung zu weiteren Studienrichtungen. Das wäre im Prinzip positiv, ist aber auf die jetzige, in etlichen Studienrichtungen viel zu hohe Studentenzahl als Mindestzahl beschränkt worden. Und damit wenig wirksam.
- Anstelle von Einsparungen und sinnvollen Schwerpunktsetzungen werden öffentliche Gelder für einen weiteren Ausbau des kostspieligen Wohlfahrtssystems ausgegeben, die von Reduktionen des Spitalskostenbeitrags über den Zahnbereich bis zur Erhöhung von Urlaubsansprüchen reichen. Auch die Ausweitung des Papamonats ist nicht nur teuer, sondern auch überflüssig. Wir habens ja – zumindest solange uns noch jemand Kredit einräumt.
- Die nächste Katastrophe im Bildungsbereich bahnt sich mit dem im Papier festgehaltenen Projekt an, sämtliche Kinder aus dem Vorschulalter und den beiden ersten Volksschulklassen in jahrgangsübergreifenden Klassen gemeinsam zu unterrichten. Damit wird wieder einmal eine der vielen modischen Unsinnigkeiten Realität, mit denen die Pädagogik die Menschen schon geplagt hat. Auch diese mag mancherorts funktionieren, sehr oft aber nicht. Das hängt vom Lehrer wie auch vom Hintergrund der Kinder ab. Und das sollte vor allem keinesfalls von oben totalitär verordnet, sondern der autonomen Entwicklung vor Ort überlassen werden.
- Negativ ist auch, dass Unternehmen neuen Zwängen ausgesetzt werden, etwa bei der Beschäftigung Älterer mit einem komplizierten Bonus-Malus. Die utopischen Regulierungswünsche der Regierungstechnokraten werden vielfach an der Realität bestimmter Branchen zerschellen und damit weitere Arbeitsplätze vernichten.
In Summe mag ein wenig trösten, dass erfahrungsgemäß vieles aus solchen Programmen nicht umgesetzt wird. Aber ebenso erfahrungsgemäß sind das meist die positiv einzuschätzenden Punkte. Denn spätestens bei der gesetzlichen Ausformulierung wird sich zeigen, wieviel Dissens im Koalitionspapier noch versteckt ist.
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