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Chodorkowski: Bitte um die wahren Relationen

Die weltweite Aufregung um die Freilassung von Michail Chodorkowski und seine Ausreise nach Deutschland sowie die Begnadigung einiger anderer Dissidenten ist leicht übertrieben. Weder ist Russland dadurch über Nacht zum Rechtsstaat geworden. Noch aber sind die reihenweisen Absagen der Politikerbesuche bei den Olympischen Spielen von Sotschi etwas anderes als lächerlich.

Wenn in Österreich ein Strafgefangener wenige Monate vor Ende einer zehnjährigen Strafhaft freigelassen wird, ist das niemandem auch nur ein Zeile wert. Und wenn doch, dann wird höchstens gefragt, warum der Mann nicht schon früher in Freiheit kommen konnte. Die sonderliche Gnade ist also bei diesen Begnadigungen kaum bemerkbar.

Die Tatsache, dass die Verurteilung Chodorkowskis einst eindeutig ein gesteuerter Prozess wegen dessen für Präsident Putin unangenehmen politischen Ambitionen gewesen ist, bleibt jedenfalls bestehen. Ebenso wie ein vorsorglich vor kurzem eingeleitetes neues Verfahren gegen den nun Freigelassenen. Das kann dann jederzeit aktiviert werden, falls Chodorkowski sich in der neuen Freiheit wieder politisch betätigt.

Das alles kann doch nicht durch eine Begnadigung knapp vor Strafende aus der Welt geschafft werden. Ebensowenig wie die massiv übertriebene Dimension der Strafe für die pubertären Exzesse der sogenannten Pussy-Riots-Gruppe knapp vor Strafende. Diese jungen Frauen wären wohl anderswo mit einer Verwaltungsstrafe davongekommen (auch wenn ihr Benehmen völlig unakzeptabel ist).

Natürlich hängt die Begnadigungswelle nicht nur mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest zusammen – das ist ja in vielen Ländern ein Begnadigungsanlass –, sondern auch mit den Olympischen Spielen in Sotschi. Da handelt Machthaber Putin klug, wenn er für positive Schlagzeilen sorgt.

Aber ein Beweis für ein Einschwenken des Mannes auf einen gemäßigten rechtsstaatlichen Kurs ist das noch keineswegs. Denn Putin hat sich schon mehrfach – etwa vor den letzten Wahlen – in auffallender Weise als harmlos, korrekt und friedfertig präsentiert, um dann bald wieder in das alte Nomenklatura-Denken und -Handeln zurückzufallen. Diese Handlungsmethoden hat Putin ja gerade mit großem Effekt bei der Erpressung der Ukraine praktiziert.

Aber PR und Marketing sind halt heute der zentrale Inhalt des politischen Handwerks. Im Westen wie im Osten. Inhalte treten immer mehr zurück.

Reine PR waren und sind aber auch umgekehrt die diversen Ankündigungen westlicher Politiker, nicht nach Sotschi zu fahren. Es hat ja eigentlich keinen Menschen interessiert, dass Figuren wie die EU-Kommissarin Viviane Reding angekündigt haben, nicht nach Sotschi fahren wollen. Kein Mensch wird sie dort vermissen, ebensowenig wie einen der sonstigen Absager.

Warum bitte fahren überhaupt Kommissare, Präsidenten und Minister zu Olympischen Spielen? Das sind Ereignisse für Sportler und die am Sport interessierten (und zahlenden) Zuschauer, und leider auch für die ungefragt mitzahlenden Steuerzahler. Für sonst niemanden. Auch nicht für die Herren Fischer oder Faymann, von denen einer nun doch hinfahren dürfte. Was nur dann in Ordnung wäre, wenn sie sich Reise und Ticket selbst zahlen oder für Sport zuständig wären.

Allzu vieles rund um die Sportereignisse ist Mediengeilheit (wenigsten fünf Sekunden in sympathischer, politikferner Umgebung ins Bild kommen) und Wichtigmacherei. Eine solche sind daher auch die Absagen von Menschen, zu deren Job description nicht der Besuch von Sportveranstaltungen gehört.

Besonders lächerlich sind die Absagen aber vor allem deshalb, weil sie meist nicht mit den willkürlichen Verhaftungen politischer Gegner des Präsidenten oder der brutalen Machtpolitik gegenüber der Ukraine (von der maßlos überhöhte Gaspreise gefordert worden sind) begründet werden. Da wären sie ja durchaus nachvollziehbar. Vielmehr werden sie mit den Homosexuellen-Gesetzen Russlands begründet.

Da wird es nun einigermaßen absurd. Gewiss ist jede Gewalttätigkeit gegen Schwule und Lesben strikt abzulehnen. Die es in Russland leider durch Hooligans immer wieder gibt. Aber in Russland ist an sich Homosexualität keineswegs verboten, sondern nur Propaganda für diese, wenn sie Jugendlichen zugänglich wird. Das aber ist eine Regelung, die es noch vor nicht allzu langer Zeit auch bei uns gegeben hat (jetzt steht freilich diese Werbung in manchen Schulbüchern sehr massiv). Solche Regelungen würden auch in Österreich wohl von der Mehrheit unterstützt (worum sich aber die sozialistischen Unterrichtsministerinnen prinzipiell nicht kümmern).

Auch in Sotschi können homosexuelle Sportler natürlich teilnehmen. Aber ihnen ist so wie allen anderen Sportlern – und zwar nicht nur in Sotschi, sondern auch bei allen anderen Sportereignissen! – eines untersagt: bei Wettkämpfen politische Propaganda zu machen. Egal ob nun für eine Partei oder sexuelle Vorlieben. Das steht seit jeher in den Regeln der Sportverbände, das hängt gar nicht mit Russland zusammen.

Es darf ja beispielsweise auch in Österreich kein Sportverein auf Dressen Werbung für eine politische Partei machen. Ansonsten können Sportler vor und nach den Wettkämpfen tun und lassen, was sie wollen (und haben sich in der Vergangenheit auch immer wieder von Parteien einspannen lassen). Wenn nun die USA Barack Obamas aus Sotschi einen Wahlkampf um die Stimmen der schwulen Amerikaner machen wollen, dann ist das genauso degoutant wie jede andere Agitation beim Sport.

Durch die skurrile Überbewertung des Propagandaverbots bewirken die Schwulenagitatoren nur eines: Putin wird in den Augen eines Großteils der Weltbevölkerung verharmlost, ja geradezu zur Lichtgestalt. Und es wird von seinen wirklich problematischen Schattenseiten völlig abgelenkt. Aber auch den Schwulenagitatoren geht es natürlich nicht um ein echtes Anliegen, sondern einzig um PR.

PS: Natürlich kommt in Österreich der radikalste Aufruf zu einem Boykott der Spiele wieder einmal von der obersten Zuchtmeisterin der Nation, der Verbotskaiserin Eva Glawischnig. Aber eigentlich sind die Grünen ja nur noch dann erwähnenswert, wenn sie einmal etwas erlauben sollten.

PPS: Noch übler als bei der grünen Verbotsgier wird einem bei den Reden von Sportfunktionären, in denen über die „völkerverbindende Kraft des Sports“ geschwafelt wird. Sport ist meistens spannend. Sport ist oft auch ästhetisch. Sport ist ein Riesengeschäft. Sonst ist Sport nichts. Er trägt mit Sicherheit eher zu Hass und Nationalismus bei als zu Versöhnung und Frieden. Man schaue nur, was wöchentlich in vielen Stadien passiert. Man schaue nur, wie oft Diktaturen (braune wie rote wie unideologische) den Sport missbraucht haben. Von Wettbetrug, Zerstörung jugendlicher Körper durch einschlägige Exzesse und Doping gar nicht zu reden. Daraus sollten wir lernen: Wenn Sportfunktionäre so schwafeln, wollen sie nur eines – nämlich unser (Steuer-)Geld.

 

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