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Die Kurven eines Wahlkampfs: Was am Ende wirklich entschieden hat

Unter den Wählern hat sich in den letzten beiden Wochen vor der Wahl große Dynamik abgespielt. Das hängt keineswegs nur mit dem wachsenden Wählertrend zu Entscheidungen erst im letzten Augenblick zusammen, sondern auch damit, welche Aspekte im Wahlkampf letztlich wirklich entschieden haben. Das sieht man nur, wenn man die Wahlkampftage selbst unters Mikroskop nimmt. Die vielen veröffentlichen Wählerstromanalysen hingegen vergleichen ja immer nur mit dem, was vor fünf Jahren war. Sie bauen damit auch auf der trügerischen Erinnerung der Menschen daran auf, wie sie glauben, sich damals verhalten haben.

Gespräche mit Meinungsforschern, die jetzt hinter ihre Daten zur allerletzten Entwicklung der Wählermeinungen blicken lassen, bringen da Erstaunliches zutage. In der Folge ein paar der wichtigsten Aspekte und Motive. Sie zeigen, wie sich nach den nun zugänglichen Studien die Sympathien für die einzelnen Parteien genau entwickelt haben.

SPÖ

Die SPÖ verlor am Wahlkampfende noch zusätzlich Wähler. Sie ist damit nach dem BZÖ zur zweitgrößten Verliererin der Wahl geworden, wenn man mit der Wahl 2008 vergleicht. Wenn man mit dem Wahlkampfbeginn vergleicht, heißt der größte Verlierer hingegen Frank Stronach.

Auch die Last-Minute-Steuerversprechungen halfen der SPÖ in der Schlussphase nicht mehr. Die Partei hat trotz des Wahlkampfprofis Darabos keine Dynamik zu ihren Gunsten mehr entfachen können. Damit sind ihre grundsätzlichen Strukturprobleme deutlicher denn je. Werner Faymann hat zwar nach Alfred Gusenbauer den linken Flügel der Alt-68er seit 2008 kontinuierlich gestutzt, ohne aber jemals offen einen Machtkampf gegen sie zu führen (auf dieser Linie liegt ja nach der Wahl auch der Abschuss von Claudia Schmied). Die mageren Zugewinne von Grün und KPÖ zeigen, dass das der SPÖ nicht sonderlich geschadet hat.

Ihr hat wohl viel mehr geschadet, dass Faymann keinerlei Exponenten eines pragmatisch-zentristischen Flügels der Sozialdemokratie gefunden oder auch gesucht hat. Dabei ist dieser Flügel in anderen Ländern immer wieder sehr stark: in Deutschland (von Schmidt bis Steinbrück), in Großbritannien (Blair hat dort auch heute noch bei Labour viele Anhänger), neuerdings sogar in Italien (siehe etwa die deutlich wirtschaftsfreundlichen Akzente der Regierung Letta) und in Frankreich (zumindest die Ausländerpolitik des dortigen Innenministers ist alles andere als links). Faymann hat nur Gewerkschaft und Arbeiterkammer mit ihren schwindenden Anhängerschaften hinter sich, sowie die männlichen Pensionisten. Insbesondere bei der Jugend und bei Akademikern hat die SPÖ jedoch jede Präsenz verloren. Auch aus der einst dominierenden Schickeria haben sich nur noch ganz wenige Sympathisanten zur SPÖ bekannt.

ÖVP

Die ÖVP hat in der Schlussphase doch noch eine leichte Verbesserung erzielt. Dabei hat sie diesmal in Wahrheit den zweitschlechtesten Wahlkampf ihrer Geschichte geführt (nach jenem von 2008). Etwa auf die kuriose Idee, ausgerechnet in Österreich ausgerechnet bei „Entdeckern“, „Optimisten“&Co Wähler finden zu wollen, muss man erst kommen. Nicht einmal die gedruckten Flugblätter und Broschüren waren irgendwie professionell getextet.

Der relative Zugewinn im letzten Moment erklärt sich primär durch die Entwicklung einiger anderen Parteien. An sich erstaunt er nämlich. Denn die ÖVP hat im Gegensatz zu allen anderen Parteien nicht einmal mehr eine Wahlkampf-Schlussveranstaltung geschafft.

Sie war auch nicht mehr imstande, die strahlende deutsche Wahlsiegerin Merkel oder den bayrischen Triumphator Seehofer nach ihren Siegen zu einem Auftritt nach Österreich zu lotsen. Das zeigt übrigens auch, dass Parteichef Michael Spindelegger keineswegs der Aufbau des früheren innigen Verhältnisses zu CDU/CSU gelungen ist. Er hat vielmehr primär auf Außenminister Westerwelle gesetzt, was nur begrenztes strategisches Denken signalisiert. Der rapide Rückgang der Bedeutung der Außenpolitik könnte die ÖVP übrigens auch motivieren, an Stelle des wertlos gewordenen Außenministeriums ein großes Bildungsressort anzustreben. Wäre sie klug beraten.

Zugleich hat das letztlich doch schmerzarme Endergebnis aber Spindeleggers Stellung parteiintern zweifellos gestärkt. Denn im schwarzen Lager hatte man auf Grund des Trends der ersten Wahlkampfwochen, aber auch wegen des Antretens zweier neuer, in irgendeiner Hinsicht ebenfalls im liberalen Wählerteich fischender Parteien mit deutlich Schlimmerem gerechnet. Eine Spindelegger-Nachfolge-Diskussion hat daher nur virtuell im ORF stattgefunden.

FPÖ

Die FPÖ gehört zwar eindeutig zu den Wahlsiegern. Sie konnte aber von der Dynamik der allerletzten Tage nicht mehr profitieren. Für die derzeit in Euphorie schwelgenden Freiheitlichen muss darüber hinaus vor allem jener Wert ernüchternd sein, der sich ergibt, wenn man Blau und Orange zusammenzählt.

Das sind ja die beiden aus den gleichen Wurzeln gekommenen Parteien, die nur durch Knittelfeld, Haider und Strache getrennt worden sind: Vor fünf Jahren hatten diese zwei Parteien nämlich zusammen um vier Prozent mehr als diesmal. Das heißt: Das blau-orange Lager ist trotz des erstmaligen Fehlens von Polemiken zwischen seinen Exponenten signifikant geschrumpft. Vor allem die Mittelschichten haben jede wirtschaftliche Kompetenz vermisst. Und Unterschichten werden erst dann stärker von der SPÖ Abschied nehmen, wenn die Krisenfolgen einmal spürbar werden.

Grüne

Die Grünen erlitten in der Endphase gegenüber der sommerlichen Hochblüte eine deutliche Verschlechterung ihrer Werte. Daher gab es für sie letztlich nur einen mageren Zugewinn gegenüber der letzten Wahl.

Trotz eines spritzigen Wahlkampfes schadeten den Grünen am Ende vor allem zwei Hauptfaktoren: erstens die Aufdeckung der breiten Verstrickung europäischer Grüner in Pädophilie-Propaganda und -Aktivitäten; und zweitens das zum Teil damit zusammenhängende schlechte Abschneiden der deutschen Grünen. Gerade bei der Wählerschaft der Grünen gibt es immer einen Abfärbe-Effekt deutscher Entwicklungen.

In Deutschland wie Österreich gelang den anderen Parteien überdies im Laufe des Wahlkampfes die Abstempelung der Grünen als Verbotspartei (Veggie-Day, weitere Ausdehnung der Kindergartenpflicht usw.). Atomängste und die – außerhalb Wiens – verdienstvolle Rolle der Grünen als Korruptionsaufdecker waren in der Schlussphase des Wahlkampfs hingegen überhaupt keine Themen mehr. Damit ist dem grünen Turbo der Sprit ausgegangen.

Stronach

Die Liste des Milliardärs erlitt im Endspurt das schwerste Absacken. Das erklärt wohl auch seine frustrierte Haltung der verbrannten Erde nach der Wahl (plötzliche Rückforderungen von Geldern und massenweise Absetzungen von Funktionären).

Hauptursache des Stronach-Absturzes waren seine eigenen Fernsehauftritte. Was noch im Frühjahr als erfrischende Attacken auf den ORF und die Funktionärspolitik gewirkt hatte und was ihm damals über zehn Prozent der Stimmen gebracht hätte, ist am Schluss zum Offenbarungseid persönlicher Ahnungslosigkeit und einer altersmäßigen Überforderung geworden. Da wirkten auch die an sich sehr professionellen Plakate und Flugzettel nicht mehr.

BZÖ

Das einst von Jörg Haider gegründete Bündnis schaffte am Wahlkampfende ein deutliches Aufholen. Es war aber eben doch unzureichend. Im Frühjahr war das BZÖ bei Umfragen praktisch gar nicht mehr existent gewesen. Ursache des Aufholens waren eindeutig die souveränen und liberalkonservative Wähler gezielt ansprechenden Fernsehauftritte des Parteiobmanns. Aber eine Einmannpartei war dann halt doch zu wenig.

Neos

Die Neos schafften in der Schlussphase ebenfalls eine steile Aufwärtskurve. Sechs Monate vor der Wahl hatten sie hingegen noch schlechtere Umfragewerte gehabt als das fast schon tote LIF vor den letzten Wahlen. Am Schluss half der Pinktruppe aber – trotz des weniger hilfreichen Haselsteiner-Auftritts – sehr das Absacken der Grünen und Stronachs.

Von beiden Parteien konnten sie etliches an Wählern abholen. Der Zugewinn aus dem Stronach-Lager scheint naturgemäß in den mit der letzten Wahl vergleichenden Wählerstromanalysen nicht auf. Denn damals gab es die Stonach-Liste noch gar nicht. Viele jener Menschen, die in den Wählerstromanalysen als einstige ÖVP-Wähler aufscheinen, hatten sich inzwischen schon für Stronach entschlossen gehabt. Oder sie hatten beim letzten Mal als einstige Schüssel-Wähler das BZÖ gewählt, wollten sich aber nicht mehr so recht daran erinnern und bezeichneten sich als ehemalige VP-Wähler.

Letztlich wurden die Neos laut der Wahlmotivforschung in Oberschichten dasselbe, was die Freiheitlichen für Unterschicht-Wähler sind: ein Magnet für Protestwähler. Diese wurden auch gezielt angesprochen, etwa durch die vielen Sujets, wo frisch-fröhliche Neos-Politiker rot-schwarze Pappkameraden abtransportieren.

Die Neos hatten darüber hinaus mit ihrem dynamischen Wahlkampf im Internet und in bürgerlichen Salons gerade in der Schlussphase noch etliches dazugewonnen. Gleichzeitig war es für sie ein Segen, dass keine TV-Debatte ihren linken gesellschaftspolitischen Akzent aufgedeckt hat.

Die Neos verkörpern neben Protest auch ein modisches Lebensgefühl. In bestimmten Zirkeln fühlt man sich als Neos einfach emotional wohl, ohne das Warum begründen zu müssen oder zu können. So wie es unter Kreisky etwa der SPÖ gelungen ist. So wie es den Grünen eine Zeitlang in bestimmten Szenen geglückt ist.

Nichtwähler

Die Nichtwähler sind nun bei weitem die stärkste Partei. Sie haben weitere vier Prozent der Wahlberechtigten dazugewonnen (was übrigens bei den Wählern sogar fünf Prozent wären). Jeder vierte Österreicher hat sich den Gang in die Wahlzelle erspart. Auch die letzte Phase des Wahlkampf hat da kein Umdenken ausgelöst, etwa mit dem Satz: „Na, wenn das so ist, dann gehe ich ja doch wählen.“ Außer den negativen Effekten bei Stronach und Grünen gab es ja bei keiner Partei irgendwelche positive oder gar emotionsgeladene Last-Minute-Akzente. Skurrilerweise war höchstens Josef Bucher eine Ausnahme.

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