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Zwei Wahlen, ein Europa und fast keine Zukunft

Immer öfter fühlt man sich an jene Epoche erinnert, die derzeit auch den Buchmarkt überschwemmt: an die Zeit vor genau hundert Jahren, die Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Auch damals hat man noch in vollen Zügen das Leben genossen, während das größte Gewitter der Menschheitsgeschichte, ein  dreißigjähriger Weltkrieg, schon unabwendbar geworden war. Darauf hatte sich aber dennoch niemand vorbereitet. Und niemand hat ernsthafte Anstrengungen unternommen, um es noch zu verhindern.

Ganz ähnlich ist die Situation heute. Das haben der deutsche wie der österreichische Wahlkampf gezeigt. Überall Schönwetterpolitik. Bis auf die kleine „Alternative für Deutschland“ gibt es im ganzen deutschen Sprachraum keine einzige Partei, die kompromisslos einen Ausweg aus der drohenden Wirtschafts- und Finanzkatastrophe ansteuern würde. Im Gegenteil.

In Deutschland wie Österreich überboten sich die Parteien an neuen, immer wilderen und teureren Versprechungen. Die „Alternative“ ist jedoch nicht in den Bundestag gekommen. Knapp, aber eben doch nicht. Das zeigt: Krisenbewusstsein gibt es auch fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise und dreieinhalb Jahre nach dem Schlagendwerden der Staatsschuldenkrise in der Politik keines und bei den Wählern nicht.

Im Gegenteil: Wie Drogensüchtige freuen sich viele, dass die amerikanische Fed in den letzten Tagen vor der deutschen Wahl offiziell eine Fortsetzung ihres Dollardruckprogramms beschlossen hat. Unvorstellbare 85 Milliarden Dollar werden also weiterhin jeden Monat zusätzlich unter die Menschen gebracht. Obwohl keine neuen Werte geschaffen worden sind, die dieser Summe auch nur annähernd entsprechen. Die Bestätigung dieser Währungspolitik lässt die Börsenkurse weiter in die Höhe springen.

Der Vergleich mit Drogen ist keineswegs absurd: So wie bei Rauschgift gibt es absolut keinen schmerz- und katastrophenfreien Weg mehr, davon wieder loszukommen. Das macht einige Akteure bei der Fed und der ähnlich handelnden Europäischen Zentralbank zwar zunehmend besorgt. Nur wissen sie alle längst keinen Ausweg mehr. Perpetuierter Rauschgiftkonsum führt ebenso wie ununterbrochenes Gelddrucken mit absoluter Sicherheit in den Abgrund. Wäre das anders, könnten wir ab jetzt ja ohne Arbeit und Anstrengung einfach vom ständigen Gelddrucken leben.

Daran wird auch der als Triumph der Stabilitätsorientierung gefeierte Wahlerfolg der Angela Merkel nichts ändern. Denn auchsie hat vielfach leichtertige Haftungen für unhaltbare Schuldner ausgesprochen.

Die Flucht in die Sachwerte

Gerade das jüngste Kursfeuerwerk ist in Wahrheit ein sehr bedenkliches Vorzeichen. Denn es zeigt: Die Unternehmen werden von den Börsen als immer wertvoller eingestuft, ohne dass sie wertvoller geworden wären. Die Kurssteigerungen haben immer weniger mit der Realität, mit irgendwelchen Fundamentaldaten zu tun.

Das an die Börse strömende Geld dient nur zum kleinen Teil der Ankurbelung von Investitionen. Jetzt wollen auch noch Internet-Firmen wie Twitter rasch durch Börsengänge abcashen, bevor die unweigerlich bevorstehende Stunde der Wahrheit kommt. Diese wird zwar auch die Börsen treffen – aber vermutlich viel weniger als andere Bereiche. Börsengänge werden dann aber jedenfalls wieder viel weniger ertragreich sein.

Der Strom des Geldes an die Börse bedeutet primär eine rasante Flucht in die Sachwerte. Dasselbe trifft auf die in vielen europäischen Städten beobachtbare Flucht in Immobilien zu (gute Lagen steigen seit Jahren alljährlich um zweistellige Prozentsätze). Dasselbe findet man etwa auch beim Gold. Die Menschen kaufen das Metall weiterhin massiv. Obwohl sein Preis in den letzten Monaten wieder etwas gefallen ist, bleibt es Ziel vielen Fluchtgeldes. Dieser teilweise Preisrückgang ist aber nicht die Folge eines Sinkens des Interesses, sondern vielmehr Folge von Goldverkäufen durch internationale Notenbanken und des Auslaufens einiger großer Termingeschäfte in der Finanzwelt. Die Menschen flüchten weiter ins Gold, bei niedrigeren Preisen noch viel lieber.

Das heißt in Summe: Viele Menschen spüren deutlicher als die Politik die Krisenzeichen und wollen sich noch irgendwie absichern. Natürlich zeigt auch die in vielen Ministerien und internationalen Forschungs-Institutionen vorhandene Expertise bedenkliche Vorzeichen. Aber die Parteien glauben eben fast allesamt, dass der Mehrheit der Wähler die Wahrheit nicht zumutbar wäre. Das hat die deutsche Wahl dominiert. Und das beherrscht den österreichischen Wahlkampf.

Die Parteien bestechen die Wähler (um deren eigenes Geld) mit Brot und Spielen. Das reicht vom besonders in Österreich sowohl beim Antrittsalter wie auch bei der Höhe vieler nie durch Beiträge finanzierter Pensionen viel zu großzügigen Pensionssystem bis zu den tatsächlichen Spielen, die jeden Sommer auf fast jedem niederösterreichischen Schloss, jedes Wochenende auf Donauinsel oder Rathausplatz stattfinden.

Aber warum funktioniert zwar die Ankurbelung der politischen Bestechungsaktionen, aber nicht auch jene der realen Wirtschaft durch das viele künstlich geschaffene Geld? Die Wirtschaft müsste ja gemäß den keynesianischen Theorien derzeit gerade gewaltig explodieren. Der Großteil des rund um die Uhr neugedruckten Geldes fließt aber direkt in die Finanzierung der öffentlichen Defizite. In Amerika nimmt etwa die Hälfte der frisch gedruckten Dollar diesen Weg. Diese Tatsache führt mit absoluter Sicherheit entweder in eine heftige Inflation oder eine noch viel größere Krise.

Regulierung führt zu immer ärgeren Hochwässern

Für jede Bank, jede Versicherung ist es relativ am sichersten und bequemsten, das zugeflossene Geld in möglichst hohem Ausmaß in Staatsgeldern anzulegen, statt der Wirtschaft Investitionskredite zu geben oder Venture capital zur Verfügung zu stellen. Das ist auch eine völlig perverse Konsequenz der Bankenregulierung.

An deren Verschärfung wird aber dennoch unter dem Druck der Medien und der populistischen Politiker auf zahllosen Ebenen gearbeitet. Ob das nun die Finanzmarktaufsicht oder die Nationalbank, die Zentralbank der Zentralbanken mit ihren Basler Abkommen, die EU-Kommission, das EU-Parlament, die EZB, die G20 oder die nationalen Parlamente und Finanzministerien sind. Überall wird an Regulierungen gebastelt. Überall will man sich als Verhinderer künftiger Krisen feiern lassen. Und begreift nicht, dass man statt dessen geradezu deren Förderer geworden ist. Denn Risiko ist nur am Friedhof verbietbar. Wer es wegzuregulieren versucht, sorgt nur dafür, dass anderswo das Hochwasser noch viel höher steigt.

Niemand weiß genau, was noch alles an Regulierungen auf die reale und die Finanzwirtschaft wirklich zukommt. Die Tendenz der Politiker und Regulierer ist fast überall gleich schädlich: Während Staatsanleihen bei der Vergabe von Bankgeldern massiv bevorzugt werden (durch die Fiktion der angeblichen Krisensicherheit), wird jeder einzelne Kredit an die Wirtschaft durch mehr Regulierungen immer mehr behindert. Weil ja naturgemäß jeder Kredit riskant ist. Freilich ist das heute auch ein Kredit an Staaten genaus (=Anleihekauf).

Dahinter steht die breite Ahnungslosigkeit in Medien und Öffentlichkeit, die sofort von „Zocken“ sprechen und nach Strafen rufen, wenn ein Kredit notleidend wird. Nur: Kredite ohne Risiko gibt es nicht. Und ohne ein Risiko, das einzelne Investoren und Kreditgeber eingehen, kann es niemals zu einem neuen Wirtschaftswachstum kommen. Über immer fettere Staatsbudgets kann es schon gar kein Wachstum geben.

Hoffnungsschimmer aus Italien und Griechenland

Um dennoch auch jeden Funken Hoffnung zu beachten (sonst würde man ja ganz depressiv): In einigen der Krisenländer gibt es zarte Anzeichen von Vernunft zu sehen. Gerade in bedrohlichen Zeiten sollte man diese daher auch ordentlich preisen. Auch wenn sie eben noch sehr zart sind und auch wenn sie in keiner Weise den Fehler der Billionen-Haftungen ausmerzen.

Am positivsten fällt da derzeit Italien auf. Es hat ein 50-Punkte-Programm zur Anlockung von Investitionen erstellt. Das enthält Punkte, die man einer von einem Sozialisten geführten Regierung eigentlich niemals zugetraut hätte, die für österreichische und deutsche Linke absolut unvorstellbar wären, und erst recht für die französische, die sich total weigert, irgendeine Realität zur Kenntnis zu nehmen.

Italien hat immerhin Folgendes angekündigt, um nur das Wichtigste zu nennen:

  • Die Wirtschaft soll Steuererleichterungen bekommen (führt zu mehr Investitionen).
  • Die Mehrwertsteuer soll erhöht werden (führt zu weniger Konsum). Das wird allerdings noch von der Berlusconi-Partei gebremst, aber von den Sozialisten forciert. Was total erstaunt, da sich ja anderswo Sozialisten eher entleiben würden, als anstelle von „Reichensteuern“ die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
  • Es wird eine Reihe von Privatisierungen angekündigt (führt zu weniger Schulden und effizienteren Betrieben).
  • Und die Bürokratie wird in einigen konkreten Punkten abgebaut (führt zu Einsparungen und Erleichterungen für Unternehmen).

Damit will Italien vor allem ausländische Direktinvestitionen anlocken. Diese sind ja allgemein zuletzt stark zurückgegangen. Investieren gilt als zu riskant und scheint in Europa auch angesichts der verbreiteten Reichenhatz sehr unerwünscht zu sein. Übrigens sind die Direktinvestitionen aus dem Ausland nirgends so stark wie in Österreich zurückgegangen. Dort haben sie binnen eines Jahres um 44 Prozent abgenommen. Was freilich dort im Wahlkampf noch von keiner Partei angesprochen worden ist.

Dass in Italien langsam wieder Arbeiten statt Feiern in Mode kommt, zeigt sich auch an einem ganz spezifischen Detail: Seit 2012 mussten im Land des guten Essens schon 10.000 Restaurants zusperren.

Zusatzurlaub für Computernutzung

Auch Griechenland hat den einen oder anderen Sanierungserfolg. Endlich wird die oft versprochene Reduktion des Beamtenheeres ernsthaft angegangen. Dieses ist ja nicht nur maßlos aufgebläht und unproduktiv. Es hat in den letzten 15 Jahren auch Gehaltserhöhungen bekommen, die fast das Zehnfache des Zuwachses für die deutschen Beamten ausmachen. Und die Regierung lässt sich bei ihrem Reduktionsplan auch von einer großen Streikwelle nicht beirren.

Bei den Streiks kämpfen die griechischen Beamten sogar um derart absurde Dinge, wie sechs Tage Zusatzurlaub für Beamte, wenn sie auch einen Computer benutzen. Unglaublich, aber Folge der 80er Jahre, als Gewerkschaften und Grüne tatsächlich europaweit massiv Propaganda gegen den Computer und die dadurch angeblich ausgelöste Arbeitserschwernis geführt haben. In Griechenland hat das zu viel heftigeren Konsequenzen geführt als anderswo. Was aber besonders ärgerlich ist: Solche Anachronismen beginnt Griechenland erst dreieinhalb Jahre nach jenem Zeitpunkt auszumerzen, da das Land Deutschland, Österreich und Co zum erstenmal in die Börse gegriffen hat . . .

PS: Die hohen Börsenkurse sollten auch in Österreich eine ganz dringende, und derzeit leider von der SPÖ völlig blockierte Debatte auslösen: Sie bedeuten den idealen Zeitpunkt für Privatisierungen. Das Geld bräuchte Österreich ja ganz dringend, nicht nur zur Eindämmung der Schuldenexplosion, sondern auch zur Abdeckung alleine des von der Kärntner und Wiener Regierung angerichteten Hypo-Alpe-Adria-Debakels.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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