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Wählen und was dann?

Viele Österreicher wählen am heutigen Tag nur noch mit sehr geringer Begeisterung das nur sehr relativ geringste Übel. Und das war‘s dann wieder? Dann kann wieder nur fünf Jahre geschimpft werden? So verhalten sich in der Tat viele Österreicher. Dabei gäbe es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich politisch auch über das Kreuzerl am Stimmzettel und eventuell eine Vorzugsstimme hinaus einzubringen. Man muss sie nur nutzen.

Der steigende Frustpegel unter den Menschen ist nicht allein, und vielleicht auch nicht in erster Linie die Schuld der Parteien und der Politik. Er ist vielmehr primär Ergebnis einer immer differenzierter werdenden Gesellschaft, in der über immer mehr Fragen durch Gesetze, Regierung und Verwaltung entschieden wird. Daher ist es eigentlich ganz logisch und zwingend, dass der Drang der Menschen immer größer wird, sich konkret in Einzelfragen einzubringen.

Beim Entstehen der Demokratie im 19. und 20. Jahrhundert waren heute im Vordergrund stehende Bereiche noch gar nicht in irgendeiner Weise Thema der Politik: das unfinanzierbar werdende Pensionssystem, Asylmissbrauch, Finanzmarkt, Gentechnik, Methoden der Energiegewinnung, Geburtenregelung, Politische Korrektheit, Demographie, globale Erwärmung, Gesamtschule: Tausende solcher Fragen beherrschen heute den politischen Raum.

Das macht es völlig unwahrscheinlich, noch eine Partei finden zu können, die dann all diese Fragen genauso sieht wie man selbst. Das geht höchstens bei neugegründeten Oppositionsparteien, die für alles gleichzeitig sind: für 95prozentige Einkommensteuern, um sich als sozial zu geben, und gleichzeitig gegen jede Steuererhöhung, um sich bei wirtschaftlich Denkenden sympathisch zu machen. Daher ist letztlich konkrete Einmischung in konkreten Fragen immer unverzichtbarer geworden. Das gilt auch dann, wenn man eigentlich der Meinung ist, dass der Staat sich lange nicht in so viele Themenbereiche einmischen sollte, wie er das schon tut oder zu tun beabsichtigt. Gerade dann muss man ja erst recht Stellung beziehen.

Das logische Instrument, um auf diese Ausdifferenzierung der modernen Welt zu reagieren, ist die direkte Demokratie. Da kann dann der Bürger unabhängig von 999 anderen Fragen klar seine Meinung sagen, wenn einmal ein konkreter Vorschlag zur Abstimmung kommt. Die direkte Demokratie wird freilich noch von der mächtigen Mandarinenklasse aus Altpolitikern, Beamten und Richtern gebremst. sie will so, wie es am Ende der Feudalzeit der Adel versucht hatte, ihre Macht nicht mit dem gemeinen Volk teilen. Aber immerhin: Schwarz, Blau, Grün haben sich in Richtung der direkten Demokratie – mehr oder weniger – festgelegt. Und selbst die abtretende Regierung hat da zumindest einen halbherzigen, aber keineswegs ganz irrelevanten Entwurf vorgelegt.

Aber selbst wenn in Sachen direkter Demokratie trotz dieser Vorboten doch nichts weitergehen sollte, ist der Bürger keineswegs so ohnmächtig, wie sich der Österreicher hält.

Da gibt es einmal die Möglichkeit, viel mehr Druck auf die Parteien auszuüben. Etwa in den USA ist es vielen Bürgerbewegungen schon gelungen, ihre Partei, ihren Abgeordneten zum Umdenken zu bringen. Durch zahllose Mails, durch Briefe, durch Anrufe in seinem Büro, durch Öffentlichkeitsarbeit, durch soziale Medien.

Politiker wollen ja vor allem eines: wiedergewählt werden. Und da ist es absolut wichtig, ihnen immer wieder zu vermitteln, dass die veröffentlichte Meinung (die ja besonders in Österreich einem dumpfen linksliberalen Mainstream folgt) in den meisten Fragen keineswegs mit der öffentlichen Meinung identisch ist. Politiker, die noch immer glauben, sich mit einem morgendlichen Blick in die Zeitungsausschnitts-Mappe über die Stimmung im Land informieren zu können, müssen zur aussterbenden Spezies gemacht werden.

Genauso wichtig ist es, sich intensiv auch in andere öffentliche Foren einzubringen. In Internet-Foren, in Postings, in Facebook, in Twitter. Ohne Schimpfen, aber mit klaren Positionen. Man glaubt gar nicht, wie sehr auch nur ein einziges kluges Argument, dass man in die Öffentlichkeit bringt, dann bisweilen doch den Gang der Ereignisse mit beeinflussen kann. Keineswegs immer, aber immerhin.

Wir leben eben nicht mehr in Zeiten, wo ein guter – oder schlechter – Kaiser von oben alles reguliert. Und wo wir uns nur noch freuen oder jammern können. Wir leben vielmehr in einer an sich erfreulichen Epoche, wo Politiker im Grund nur noch Angestellte von uns Bürgern sind. Wie ein guter Chef müssten wir ihnen halt künftig viel öfters als bisher sagen, wo es lang geht. Und endlich aufhören, an eine höhere Weisheit von Politikern zu glauben.

Es bedeutet auch jede Äußerung im öffentlichen Raum einen Beitrag zum politischen Klima. Sie wirken am Wirtshaustisch ebenso wie bei öffentlichen Versammlungen. Zugegeben: Da gehört auch ein bisschen Mut dazu. Aber es kann doch nicht sein, dass immer nur die Allerdümmsten bei solchen Veranstaltungen den allergrößten Mut haben, sich zu Wort zu melden.

Die Aktivitäts-Skala eines modernen Bürgers ist eine nach oben offene. Finanzielle Unterstützung für gute Initiativen kommt da genauso in Frage wie Teilnahme an Demonstrationen (obwohl man bei letzteren leicht für etwas mitvereinnahmt werden kann, was man gar nicht so will. Daher ist diesbezüglich Vorsicht am Platz).

Auch die EU-Ebene ist für Mitspracheversuche relevant geworden, seit es das Instrument europaweiter Bürgerinitiativen gibt. Die Antiabtreibungsinitiative „One of us“, die gegenwärtig läuft, ist eine der ersten und schon erfolgreichsten.

Man sollte sich nur vor zwei naiven Haltungen hüten: Erstens gleich wieder frustriert aufzugeben, weil die ersten Mails an Politiker, die dann oft noch von minderbemittelten Assistenten beantwortet werden, nichts bewirkt haben. Und zweitens zu glauben, mit einer Aktion (oder gar der Gründung der tausendsten Neupartei) alle Problem mit einem Schlag lösen zu können. Beispielsweise ist das Verlangen "Verwaltungsreform" noch viel zu diffus und allgemein, um wirksam werden zu können.

Viel wichtiger wäre es, sich mit ganz gezielten Aktionen auf ganz konkrete Einzelziele zu konzentrieren. Ein wunderbares Beispiel hat sich jetzt etwa in Polen abgespielt (es zeigt auch, dass Bürgermut nicht nur in den USA zum Erfolg führt): Dort haben gezielte Proteste im Internet und auf sozialen Medien den Konzern C&A in die Knie gezwungen. Es ging um T-Shirts mit dem Abbild des lateinamerikanischen Massenmörders Che Guevara. Das Produkt wurde als Folge von Boykotten schließlich aus allen C&A-Filialen abgezogen.

In Amerika gelingt es auch immer wieder, durch Druck auf werbende Konzerne ganze Fernsehketten zu Änderungen in ihrem Verhalten zu zwingen. Warum sollte das in Österreich nicht möglich sein? Wenn ein paar Tausend – ernstgemeinter! – Boykott-Ankündigungen etwa bei der täglich zahllose Male im ORF werbenden Möbelkette eingehen, wird diese mit Sicherheit sehr bald ein sehr ernstes Gespräch mit dem ORF führen. Aus nacktem Eigeninteresse.

Natürlich muss klar sein: Das geht nur über den Boykott von besonders werbeaktiven Firmen und nur zugunsten ganz konkreter und auch erfüllbarer Forderungen. Das Verlangen nach „einem besseren Programm“ oder nach einem Austausch der ganzen Redaktion hat da wenig Sinn (so berechtigt es an sich auch wäre). Aber sehr wohl kann der ORF solcherart unter Druck gesetzt werden, beispielsweise seinen Redakteuren polemisches und ideologisches Twittern zu untersagen. Oder ihn zu zwingen, gerichtlich angeordnete Entschuldigungen von grünen Politikern für unwahre Behauptungen auch zu senden. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

 

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