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Die EU hat in den vergangenen Tagen einige gewaltige Brocken gelöst, die sie seit langem geplagt haben: den neuen Finanzrahmen und die Agrarpolitik. Das ist jedenfalls eine anerkennenswerte Leistung und beweist: Europa kann sich doch noch bewegen, wenn es sein muss. Das ist fast ein Wunder angesichts des dafür nötigen Konsenses zwischen mittlerweile 28 Nationen (mit ihren bisweilen uneinigen Koalitionen), dem EU-Parlament und (ja, die gibt’s auch noch) der Kommission. Dennoch sind fünf ganz gravierende Einwände und Defizitpunkte festzuhalten.
Der erste ist ein altvertrauter. Das ist der Ärger über die prinzipiell verfehlte EU-Agrarpolitik. Zwar ist anzuerkennen, dass sich diese wieder einige Millimeter in die richtige Richtung verschoben hat. Dennoch richtet sie weiterhin viel Schaden an.
Die EU-Agrarpolitik hat in Wahrheit nur aus einer einzigen Begründung Anspruch auf Geld der Steuerzahler: Das ist der Landschafts- und Umweltschutz. Von der Pflege der Almen bis zur Reinhaltung der Grundwässer ist da vieles der Agrar-Förderungen durchaus sinnvoll. Im Grund darf und soll überall dort Geld fließen, wo andere als die Bauern selbst den Nutzen einer bestimmten Form von Landwirtschaft haben, etwa der Tourismus durch gepflegte Almen, etwa die Wassertrinker durch Schutz des Grundwassers.
Bei diesen Aufgaben kann man im übrigen auch keinen logischen Unterschied zwischen Großen und Kleinen machen, wie es manche gefordert hatten. Das ist in den Verhandlungen zu Recht am Ende abgelehnt worden. Denn (beispielsweise) Wasserverschmutzung ist bei großen Betrieben nicht weniger schlimm als bei kleinen. Ganz im Gegenteil.
Der zweite Kritikpunkt in Hinblick auf die Finanzeinigung bezieht sich auf die mehr als merkwürdige Rolle des Parlaments, die dabei stärker denn je offenkundig geworden ist. Dazu ein kurzer Blick in die Geschichte:
No taxation without representation. Keine Steuern ohne Mitsprache der Betroffenen. Mit diesem Schlachtruf wurden einst überhaupt die ersten Parlamente erkämpft. Die Steuerzahler setzten angesichts der Ausgaben- und Verschwendungsgier der Fürsten, Lobbies und Administrationen ein Mitspracherecht bei der Einhebung der Steuern durch. Und diese Funktion müsste eigentlich auch heute noch eine der zentralsten jeder Volksvertretung sein. Ja sogar noch viel mehr als einst: Ist doch die Abgaben- und Steuerquote ein Vielfaches jener der Feudalzeit.
Das EU-Parlament hat diese Aufgabe jedoch ins absolute Gegenteil verkehrt. Bei allen Streitigkeiten und Verhandlungen hat das Parlament seit seiner machtpolitischen Aufwertung für mehr und höhere Ausgaben gekämpft - gegen die im Rat vertretenen Regierungen, die relativ viel mehr die Steuerzahler vertreten haben. Das ist eigentlich eine unglaubliche Perversion der einstigen Aufgabenteilung.
Aus dieser Einstellung heraus hat das Parlament auch beim jetzigen Finanzrahmen höhere Ausgaben durchgesetzt: Dies gelang ihm mit Hilfe eines nur scheinbar harmlosen Tricks. Bisher sind Budgetposten, die aus welchen Gründen immer nicht ausgegeben werden konnten, verfallen. Das ist den europäischen Steuerzahlern als Einsparung zugute gekommen. Jetzt hat das Parlament hingegen durchgesetzt, dass das budgetierte Geld jedenfalls ausgegeben werden muss. Wenn nicht für die eigentlich vorgesehenen Zwecke dann eben für anderes.
Das Erstaunliche ist, dass auch die Liberalen, Konservativen und EU-Kritiker im Parlament – also eigentlich die Mehrheit! – Seite an Seite mit den ja immer ausgabenfreudigen Linken im EU-Parlament ständig für mehr Ausgaben kämpfen.
Dennoch beklagen manche, so etwa der österreichische Bundeskanzler, der im Rat noch an die Sparsamkeitsbeschlüsse der Finanzminister gebunden war (die wieder primär den Deutschen und Briten zu danken sind), dass etwa für die Jugendarbeitslosigkeit zu wenig Geld zur Verfügung steht. Die vorgesehenen sechs Milliarden seien viel zu wenig. Es gibt also durchaus auch Regierungspolitiker, die so wie die Parlamentarier für noch mehr Ausgaben sind. Womit wir bei der dritten Kritikzone sind.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist nun in der Tat ein gewaltiges Problem Europas. Nur braucht es zu ihrer Bekämpfung keineswegs mehr Geld. Das kann ja nur auf Schulden zu Lasten der Jungen aufgetrieben werden, denen man vorgibt, helfen zu wollen.
Es geht vielmehr darum, dass in vielen Ländern Tarifverträge und Gewerkschaften die Arbeitsplätze der Älteren und deren hohe Gehälter effektvoll schützen, während die Jungen arbeitslos herumhängen und nicht mehr in das Privilegiensystem hineinkommen.
Es geht darum, dass eine völlig fehlgeleitete Bildungspolitik die Jugend Europas einseitig zu Abitur und Studium hinlenkt – noch dazu völlig überdimensioniert in Richtung der schönen, aber kaum benötigten Sozial- und Geisteswissenschaften. Die viel notwendigere Facharbeiterausbildung bleibt hingegen weitgehend auf das duale System in Deutschland und Österreich beschränkt, also jene Länder, die keine zwangsweise Gesamtschule und kaum Jugendarbeitslosigkeit haben.
Und es geht schließlich darum, dass viel zu wenige der arbeitslosen Jungen aus den Südländern nach Deutschland&Co kommen. Dabei gibt es dort derzeit noch eine Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften. Dabei kann man ja heute in Europa überall seinen Arbeits- und Ausbildungsplatz suchen.
Migration ist an sich auch nichts Inhumanes. Arbeitsmigration, also die Auswanderung zu den Plätzen, die Arbeitskräfte brauchen, ist seit jeher ein Teil der Menschheitsgeschichte. Umso genauer ist für die Beseitigung von bürokratischen Hürden und sprachlichen Defiziten zu kämpfen, die einer innereuropäischen Migration noch im Wege stehen.
Der vierte trotz Budgeteinigung sehr negativ stimmende Aspekt in Europa ist die derzeitige Politik Frankreichs. Dort sieht man stärker denn je Europa nur als einen Mechanismus, um ans Geld anderer Länder heranzukommen. Frankreich wehrt sich jedoch vehement, wenn die EU auch die Grande Nation auf die dringend notwendigen und im Prinzip längst beschlossenen Strukturreformen drängt. Als Antwort wird in Paris provozierend behauptet, dass diese die EU nichts angingen. Was schlicht nicht stimmt. Die Union wird in Frankreich von der Regierung neuerdings sogar als schuldig daran beschimpft, dass dort die gemäßigte und die radikale Rechte deutlich Auftrieb haben.
Zugleich verlangt Frankreich aber, dass seine wenig erfolgreiche Kulturindustrie vor dem Wettbewerb geschützt werde. Das aber verurteilt die soeben anlaufenden Verhandlungen mit Amerika über eine große Freihandelszone mit hoher Wahrscheinlichkeit a priori zum Scheitern. Ist doch die amerikanische Kultur-Industrie im Gegensatz zur französischen sehr erfolgreich. Und noch haben die Menschen die Freiheit, selbst zu bestimmen, welche Filme sie ansehen, welche Musik sie hören.
Was besonders schlimm an diesem französischen Kulturchauvinismus ist: Durch Frankreichs Haltung zum Thema Kultur ist die gesamte, jetzt intensiv als Allheilmittel diskutierte transatlantische Freihandelszone bedroht. Diese würde viele Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen. Diese Jobs würden wiederum die europäischen Finanzprobleme mildern und die Jugendarbeitslosigkeit signifikant reduzieren. Womit sich der Kreis schließt.
Und last not least ist auch eine neue Mitgliedschaft zu verzeichnen, nämlich die Kroatiens. Gewiss kann und soll man sich darüber menschlich mit den sympathischen Menschen zwischen Istrien, Slawonien und Dalmatien nach langen Jahren der Kämpfe um die Selbständigkeit freuen. Aber wirtschaftlich bedeutet Kroatien eine Wiederholung dessen, was frühere Aufnahmen von Balkanländern gebracht haben. Und damit sind wir beim fünften und letzten Sorgenpunkt.
Das ausgepowerte Kroatien ist eine weitere große Last für die europäischen Schuldentöpfe. Es ist in Sachen Rechtsstaat und Korruption noch lange nicht auf dem europäischen Standard. Der ist erst dann erreicht, wenn nicht nur so wie in der Ukraine Politiker der jeweils früheren Regierungen strafrechtlich verfolgt werden. Sondern wenn es auch Korruptionisten aus dem Kreis der gegenwärtigen Machthaber an den Kragen geht.
Freilich muss man zugeben: Auch in Frankreich oder Österreich ist man da offensichtlich noch nicht ganz so weit. Man sehe sich nur den unterschiedlichen Umgang mit aktueller und früherer Korruption an.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.