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Spindelegger: Vision und Realität

Michael Spindelegger will Bundeskanzler werden. Das hat er vor einem großen Parteipublikum klargemacht – und er steht mit diesem deutlich unterstrichenen Anspruch keineswegs so lächerlich da, wie es noch vor einem Jahr der Fall gewesen wäre. Freilich: Zwischen Vision und Realität klafft dennoch eine weite Kluft.

Das lässt sich gut an Spindeleggers großer Grundsatzrede vom 15. Mai zeigen. Im Grund hat er (nur oder immerhin?) in zwei Punkten glasklar gemacht, wozu er keinesfalls eine Koalitionsvereinbarung unterschreiben werde: Erstens werde er nie einer Abschaffung des differenzierten Schulwesens und des Gymnasiums zustimmen; und zweitens werde er ebensowenig irgendwelchen Steuererhöhungen zustimmen.

Die Botschaft höre ich und bin begeistert – bis mir die Realität der ÖVP wieder in den Kopf kommt. Meines Wissens war es nämlich niemand anderer als die ÖVP, die gerade in Tirol im Wahlkampf und dann noch einmal im Koalitionsvertrag die Gesamtschule auf ihre (wenn auch ziemlich zerschlissenen) Fahnen geschrieben hat. Und meines Wissens war es niemand anderer als die Bundes-ÖVP, die von der Finanztransaktionssteuer über die Bankenabgabe bis zur Kursgewinnsteuer bis zuletzt sehr wohl Steuererhöhungen (mit)beschlossen hat.

Die Faymannsteuern

Das waren nicht nur „Faymannsteuern“, wie Spindelegger jetzt die neuen, noch viel weitergehenden Pläne der SPÖ nennt. Die ÖVP hat bei den Steuererhöhungen keineswegs so gewirkt, als wäre sie bloß vom Druck der steuersüchtigen SPÖ getrieben. Die ÖVP hat für die Zustimmung zu den Steuererhöhungen nicht einmal von ihrem Koalitionspartner irgendwelche substanziellen Zugeständnisse bekommen. Ob man die nun in Sachen Gesellschaftspolitik oder bei der Pensionsreform oder beim Universitätszugang oder bei der Aufhebung des Amtsgeheimnisses oder bei der Verankerung der Schuldenbremse oder bei der gemeinsamen Obsorge oder bei der Schwulenadoption erwarten hätte können. Selbst das schon vor Jahren groß gefeierte Transparenzkonto ist noch immer in weiter Ferne.

Was bekommt aber der Wähler jetzt, wenn er ÖVP wählt? Die Spindelegger-Ankündigungen? Oder neuerlich die Steuererhöhungs- und Reformverweigerungs-Realität der letzten Jahre, die zwar primär von der SPÖ ausgegangen ist, die aber eben von der ÖVP als Koalitionspartner immer mitgetragen worden ist?

Diese Sorge ist groß: Ist der ÖVP-Obmann doch offensichtlich willens, es trotz aller Kritik am klassenkämpferisch gewordenen Koalitionspartner wieder mit der SPÖ zu versuchen. Er würde halt nur gern selbst Nummer eins werden. Rot-Schwarz beziehungsweise Schwarz-Rot scheint bei der ÖVP derzeit alternativlos zu sein, auch wenn es nicht ausgesprochen wird. Die grünen Spielereien aus dem Westen gelten bundesweit als absurd. Und die FPÖ kommt bei den schwarzen Überlegungen überhaupt nicht vor.

Die Partei scheint aber auch der SPÖ gegenüber nicht imstande zu sein, irgendwo wirklich zu sagen: „Dann gehen wir halt lieber in Opposition. Bis hierher und nicht weiter.“ Oder: „Gerne mit der SPÖ – aber nur mit einer reformwilligen wie in der Steiermark und der Stadt Salzburg, jedoch nicht mit Faymann als Gewerkschafts-Fortsatz.“

Wie lange gelten Spindeleggers Versprechen?

Und noch etwas schürt die Angst des Bürgers: Was ist, wenn dasselbe passiert wie bei der letzten Wahl? Da haben ÖVP-Wähler einen Molterer gewählt – und dann einen Pröll bekommen, der ohne jedes Wählermandat, sondern nur auf Raiffeisenwunsch eine sehr linke Politik gemacht hat (Schwulenehe usw.). Immerhin hat die ÖVP ja große Tradition darin, einen Obmann abzuschießen, wenn er am Wahltag nicht so gut reüssiert, wie es die schwarzen Wunschträume vor der Wahl gehofft hatten. Und dann sitzen am Ende die Platters hinter den Polstertüren und bestimmen einen Nachfolger. Eine grauenhafte Vorstellung.

Dennoch hat Spindelegger einige Chancen, trotz der wohl unvermeidlichen neuerlichen Stimmverluste seiner Partei nach Salzburger Art Nummer eins zu werden. Denn die Faymann-SPÖ ist, wie auch die jüngsten Urnengänge gezeigt haben, in einem so deplorablen Zustand, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit noch viel tiefer abstürzen dürfte als die Schwarzen.

Der rote Glaube, dass der vom SPÖ-ORF anfangs so gepushte Frank Stronach nur bei den rechten Parteien grasen würde, hat sich als schwerer Irrtum erwiesen. Die bourgeoisen Salon- und Beisl-Linken, die einst geschlossen Kreisky gewählt hatten, haben sich zu den Grünen begeben. Und bei der Arbeiterschaft ziehen nach wie vor die Freiheitlichen stark mit dem Ausländerthema, das ja nur in der medialen und koalitionären Wunschwelt als Problem verschwunden ist.

Schmutzkanone Darabos

Freilich ist anzunehmen, dass die SPÖ mit Hilfe der vielen bestochenen Zeitungen, mit dem total unter Parteikontrolle befindlichen ORF und unter dem Kommando des altneuen Sekretärs Darabos die ganz große Schmutzschleuderkanone ausfahren wird. Diese vermag ja durchaus Wirkung zu erzielen, auch wenn sie reihum kritisiert wird.

Kann Spindeleggers fade Art gegen die Darabos-Schmutzwäsche eine Art Gegenprogramm sein? Der ÖVP-Obmann hat jedenfalls in der überfüllten Hofburg sehr lange gebraucht, um rhetorisch an den vor ihm aufgetretenen schwarzen Jungstar Sebastian Kurz heranzukommen. Der Vizekanzler tut sich halt schwer, emotional zu werden. (Spindelegger lässt sich übrigens wieder als Vizekanzler ansprechen, während sein Vorgänger Pröll ganz auf den Ministertitel gewechselt war; aber das sind wohl nur die kleinen Mätzchen von Ministersekretären, mit denen sie sich so die Zeit vertreiben).

Spindeleggers Positionierung ist eine klar wirtschaftsliberale, auch wenn er sie als konservativ bezeichnet. Die wirklich konservativen Themen wie innere Sicherheit, Kriminalität, Islamisierung, Heimat, Qualität der Universitäten, Disziplin, Schwulenfrage, EU-Überregulierung, Feminismus, Political correctness usw. blieben mit Ausnahme der Familie in seiner Grundsatzrede hingegen komplett unerwähnt.

Fekter bleibt ungenannt

Ziemlich seltsam ist auch, wie man als ÖVP-Obmann so viel über Wirtschaft reden kann, ohne den Namen der Finanzministerin zu erwähnen – hingegen den des Landwirtschaftsministers schon. Es ist ziemlich selbstbeschädigend, ganz alleine und offenbar gegen Maria Fekter in die Wahlschlacht zu ziehen.

Immer wieder merkte man Spindelegger auch das derzeitige schwarze Grunddilemma an: einerseits einen weitgehenden Kurswechsel zu verlangen, andererseits aber selber schon seit 27 Jahren an der Regierung beteiligt gewesen zu sein, sodass man deren Arbeit auch irgendwie loben muss (ausgerechnet den Sozialminister lobte er sogar namentlich).

In Sachen wirtschaftsliberal war Spindelegger hingegen sehr ansprechend. Auch wenn er das ungleiche Frauenpensionsalter nicht erwähnte. Auch wenn man nur noch schmunzeln kann, wenn jemand behaupten kann, in fünf Jahren genau 420.000 Arbeitsplätze schaffen zu können (in den verteilten schriftlichen Unterlagen waren es übrigens bloß 400.000; aber seit Drucklegung durfte es halt offenbar noch ein bisserl mehr werden).

Wenn man die genannten Bedenken ignoriert, dann klingt Spindelegger jedoch wirklich erfreulich, wie etwa mit diesen Aussagen: „Es ist keine Schande, reich zu sein; die Armut ist der Skandal“; ein flammendes Plädoyer für die von den Linken so bekämpfte Möglichkeit der Teilzeitarbeit; eine Kampfansage an die teuren sozialistischen Gas- und Strommonopole in den Städten; eine Absage an die grüne Regulierungswut; und sein Bekenntnis zur Leistung, zum Schuldenabbau, zur Wahlfreiheit bei Ganztagsschulen, zum Eigentum, zur Privatisierung, zur Mitarbeiterbeteiligung und zu längeren Lebensarbeitszeiten.

Die Abgrenzung zu links ist geglückt

Spindelegger hat sich klar bemüht, (zumindest sozial- und wirtschaftspolitisch) einen deutlich erkennbaren Gegenpol zu den Linksparteien zu setzen. Das ist ebenso lobenswert wie der Zugewinn an Professionalität gegenüber seinen früheren Großveranstaltungen. Er wurde diesmal vor jugendliche Zuhörer positioniert und nicht mehr vor eine Wand; lautstarke Trommler machten besser Stimmung als zuletzt zwei peinliche einsame Tanzpaare.

Inszenierung wie Wirtschaftsprogramm sind also durchaus positiv. Aber die schwarze Praxis der letzten Jahre (und die gegenwärtige in Tirol) bleibt halt ebenso Faktum, wie eben alles bei einer programmatischen Rede Nichtgesagte nicht gesagt bleibt.

PS.: Rätselhaft ist, warum die neueste ÖVP-Kampagne durchaus aktuelle Themen mit Jahreszahlen einer fernen Zukunft versieht, so wie schon bei ihrer „Aktion 2050“. Die Wähler wollen jetzt und heute Antworten und nicht im Leben einer nächsten Generation.

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