Der Christbaum: Eine kleine Kulturgeschichte

Autor: Ronald Schwarzer

Wir brauchen dringend ein gemeinsames Fundament für unsere Gesellschaft

Autor: Christian Klepej

Deutschlands gemütliche Machtergreifung von 2024/25

Autor: Leo Dorner

Wenn alle untreu werden

Autor: Dieter Grillmayer

Zeichen der Hoffnung für den Westen

Autor: Karl-Peter Schwarz

Rumänien als Probelauf für die Abschaffung der Demokratie in Europa?

Autor: Wilfried Grießer

Die Woken und ihre Geschichten

Autor: Karl-Peter Schwarz

Brandmauern gegen rechts: EU-Länder werden unregierbar

Autor: Werner Reichel

EU am Scheideweg: Markt- oder Planwirtschaft?

Autor: Andreas Tögel

Langsam, aber sicher wird die Freiheit in Europa rückabgewickelt

Autor: Christian Klepej

Alle Gastkommentare

Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Die Medien regieren, Politik und Justiz danken ab

Die Frage wird ein zentrales Thema des österreichischen Wahlkampfes sein: In welcher Form findet dieser im Fernsehen statt? Dafür praktiziert der ORF nämlich seit Jahren eine Formel, die weder mit Demokratie noch mit Gerechtigkeit noch mit Zuschauerinteresse zu tun hatte. Die Koalition will eine andere Formel, und trifft damit ausnahmsweise auch das Interesse der Zuschauer. Sie hat jedoch nur geringe Erfolgsaussichten. Denn wirklich wagen werden weder Rot noch Schwarz den Kampf gegen den ORF. Dessen mediale Macht ist noch immer viel stärker als die einer knieweichen Koalition.

Die Auseinandersetzung ähnelt im Kern übrigens verblüffend dem deutsch-türkischen Megakrieg um den bevorstehenden Prozess gegen eine mutmaßliche Mittäterin zweier toter rechtsextremistischer Massenmörder. In Bayern musste jetzt der ganze Prozess nur deshalb verschoben werden, weil man die Frage nicht zu klären vermocht hatte, welche Journalisten denn die raren Zuhörerplätze bekommen sollen.

Das Gericht hatte ja eigentlich schon entschieden gehabt, jene Journalisten, die sich zuerst anmelden, dürfen teilnehmen. Die anderen müssen draußen bleiben. Unter den 50 rechtzeitig Angemeldeten befand sich freilich kein einziger Vertreter eines türkischen Mediums. Es sind jedoch fast alle Ermordeten türkischer Abstammung, sodass das Verfahren logischerweise auch in der Türkei gewaltiges Interesse auslöst. Auf allen politischen und sonstigen Kanälen ist seither aus Ankara gegen diesen Ausschluss türkischer Journalisten angekämpft worden.

Jetzt hat nun jedoch Karlsruhe dem eigentlich zuständigen Gericht gesagt: So geht’s nicht. Freilich haben die Höchstrichter (wie so oft) dabei dem Münchner Gericht nicht genau festgelegt, wie es denn sonst gehen solle.

Gibt es künftig eine nationale Quote bei den Zuhörerplätzen? Ab wie vielen Toten gilt die Quote von drei Journalisten aus dem Land der Opfer? Wird künftig gar nach der Auflagengröße entschieden? Wird gewürfelt? Wird im Zweifel jahrelang nicht verhandelt, bis die Besetzung der Zuhörerbänke geklärt ist? Wird ein neues Gerichtsgebäude gebaut? Wird es einen zweiten Saal mit Video-Übertragung geben? Ist das noch gleichwertig? Wird in eine Stadthalle übersiedelt? Oder macht man gleich das, was manche TV-Stationen gerne hätten, nämlich eine Live-Übertragung aller spektakulären Prozesse für alle Bürger?

All das hat der deutsche Bundesgerichtshof offen gelassen. Alles ist möglich. Eines steht freilich fest: Die letztgenannte Variante wäre das endgültige Ende des Rechtsstaats, in dem eigentlich Richter ohne Druck von außen entscheiden sollten.

Die deutsche Politik ist jedenfalls heilfroh, dass sie nicht selber entscheiden muss. Und die deutsche Justiz lernt die deutsche Realverfassung, dass nicht sie oder das Parlament die oberste Rechtsstaats-Instanz ist, sondern offensichtlich die Quotengeilheit der Medien, ob diese nun aus Deutschland kommen oder der Türkei. Über das eigentliche Thema, Schuld oder Unschuld der Angeklagten, kann dann wahrscheinlich gar nicht mehr so viel gestritten werden wie über die Rolle der Medien.

So wie die Deutschen lernen müssen, dass die Medien offensichtlich über allem stehen, so muss das aber auch die österreichische Politik. Hier tobt derzeit ein Streit um die Zahl der Politikerdebatten vor der nächsten Wahl. Für die derzeitigen Oppositionsparteien ist das vom ORF seit etlichen Wahlgängen praktizierte Format extrem hilfreich. Sie bekommen nämlich dadurch weit über ihre Größe hinaus Sendezeit. Der ORF behandelt Klein- und Großparteien haargenau gleich. Auch wenn die einen mehrfach so viel Stimmen und Abgeordnete haben wie die anderen.

Das widerspricht freilich massiv dem demokratischen Mehrheits-Prinzip. Diese Vorgangsweise wurde aber einst vom ORF als Hilfsaktion für die Grünen und das LIF entwickelt, also für zwei Kleinparteien, denen die Mehrheit der „öffentlich-rechtlichen“ ORF-Redaktion viel näher steht als den Großen. Zusätzlich mögen manche ORF-Männer anfangs auch geglaubt haben, eine lange Reihe solcher Zweikämpfe wäre quotenfördernd. Dieser Glaube kann aber heute nicht mehr ernsthaft vorhanden sein.

Das Verhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist beim LIF – und ebenso jetzt bei Stronach – doppelt undemokratisch gewesen. Erstens wegen der im Vergleich zu den anderen Parteien sehr geringen Zahl von Abgeordneten; und zweitens weil beide Gruppierungen überhaupt nur durch Abspaltung einiger frustrierter Abgeordneter zustandegekommen sind. Dennoch bekamen sie vom Anfang an beim ORF die gleiche Behandlung wie seit Jahrzehnten bei Wahlen weit erfolgreichere Parteien.

Das ist aber nicht nur den viel größeren Wahlwerbern gegenüber undemokratisch und ungerecht. Das ist es auch gegenüber allen anderen neu kandidierenden Parteien: Diese bekommen zu keiner einzigen Zweierdebatte eine Einladung, während die auf Bundesebene noch nie gewählte Stronach-Liste gleich fünf erhält. Auch Umfragen können die Diskrepanz nicht erklären. Denn auch das BZÖ darf fünf Mal diskutieren, obwohl es bei Umfragen praktisch genauso schlecht liegt wie die neu kandidierenden Neos.

Der ORF behandelt eben nicht Gleiches gleich, sondern Ungleiches gleich, und Gleiches ungleich. Die Neos und all die anderen möglicherweise antretenden Listen werden mit ganz wenigen kurzen (und meist überkritischen) Beiträgen in einer spätabendlichen Nachrichtensendung abgespeist. An der Ungerechtigkeit dieses Verhaltens ändert auch das Amüsement nichts, dass der ORF, der einst das LIF aus ideologischen Gründen undemokratisch bevorzugt hat, jetzt die vom LIF unterstützten Neos undemokratisch benachteiligt.

Ausgleichende Ungerechtigkeit stellt noch keine Gerechtigkeit dar. Denn andere Kleinstparteien, die sich nicht mit einer politischen Leiche vermählen, werden ja überhaupt nur diskriminiert.

Wie undemokratisch und auch dumm das ORF-Verhalten ist, zeigt noch ein weiterer Vergleich: Die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP müssten sich, wären sie schlau, bloß knapp vor der Wahl jeweils(!) in acht neue Fraktionen aufspalten. Und schon bekämen sowohl SPÖ wie auch ÖVP nach der ORF-Regel acht Mal so viele Auftritte und Diskussionsforen, wie ihnen derzeit zustehen. Hätten sie Mumm, würden sie das machen. So hätten sie ja den ORF endgültig ad absurdum führen können. „Hätte, hätte Fahrradkette“, wie der erste weise Wahlkampfslogan von Peer Steinbrück lautet.

Zurück zum österreichischen Wahlkampf: Demokratisch heißt, dass die Zahl der Wähler beziehungsweise Abgeordneten zählt und nicht die Zahl der Fraktionen, die durch eine von niemandem so gewollte (aber einst von Heinz Fischer zugunsten Heide Schmidts so gedrechselte) Geschäftsordnung entstanden sind.

Dabei wird jetzt alles noch viel schlimmer: Von den nun drohenden Zweierkonfrontationen hat es beim letzten Mal noch um fünf Stück weniger gegeben. Damals hat es ja eine Fraktion weniger im Nationalrat gegeben. Dennoch waren schon zehn Debatten kaum mehr erträglich. Jetzt drohen uns sogar volle 15 Zweierkonfrontationen. Diese werden wohl auch viele der härtesten Politik-Freaks zu Nichtwählern machen.

Dazu kommt noch, dass beim letzten Mal mit Jörg Haider und Alexander Van der Bellen wenigstens zwei interessante und intelligente Ausnahmepolitiker in die Arena gestiegen sind. Solche fehlen heute aber ringsum.

Höchstens die Aggressivität eines Frank Stronach könnte noch einen gewissen Unterhaltungswert erzielen. Jedoch ist bei ihm eher unwahrscheinlich, dass er sich neben all den anderen unvermeidlichen Wahlkampfpflichten und Streitschlichtereien fünf Mal alleine im ORF hinsetzen wird. Das würde ihn nicht nur physisch überbeanspruchen. Das könnte auch mit der Notwendigkeit kollidieren, mehr als die Hälfte des Jahres zum Zweck der Steuerminimierung im Ausland zu leben.

Der Rest ist ein glatter Alptraum: Fünf Mal Bucher, fünf Mal Strache, fünf Mal Lugar können an Fadesse glatt mit fünf Mal Faymann und fünf Mal Spindelegger mithalten, die ja ebenfalls jede Menge Nostalgie nach Schüssel und Gusenbauer wachrufen.

Weder spannende Duelle noch sachliche, über den Showwert hinausgehende Debatten sind dabei zu erwarten. Und nur darauf zu warten, dass einem der Diskutanten wenigstens von seinen Beratern ein witziger Sager der Qualität Schüssel vs. Haider („Jetzt ist Ihnen Ihr Taferl umgefallen“) mitgegeben worden ist, ist ein bisschen mager.

Dennoch wird das Diskussionsformat trotz des Antretens von sechs Fraktionen dasselbe bleiben. Der ORF wird sich nämlich nicht aus seiner Haut heraustrauen. Das bräuchte starke Persönlichkeiten an seiner Spitze und nicht die jetzigen Karikaturen.

Überdies würde jede Änderung mit Sicherheit von mindestens einer Fraktion durch alle Instanzen angefochten werden. Und davor fürchtet sich der ORF nicht ganz zu Unrecht, auch wenn in den ersten Instanzen politische Freunde der ORF-Führung auf den entscheidenden Richterbänken dominieren. Wahrscheinlich würde aber wegen einer Änderung des Diskussionsformats ohnedies nicht nur der ORF belangt, sondern es würde überdies auch gleich versucht werden, die Gültigkeit der ganzen Wahl anzufechten.

Natürlich könnten neben den Sehern, die das sicher tun werden, auch Rot und Schwarz die ewig gleichen Diskussionsformate boykottieren. Aber das wird natürlich nicht passieren. Dazu sind beide Parteien in ihrem heutigen Zustand viel zu feig.

Die ÖVP versucht zwar seit einiger Zeit, die immer schwer linkslastigen Sonntagabend-Diskussionen zu boykottieren. Ohne dass ihr ihre Absenz dabei schaden würde. Aber eine echte ORF-Debatte anzuzünden gelingt ihr damit auch nicht – selbst wenn dann so absurde Formate herauskommen, bei denen nur noch Politmethusalems wie Hannes Androschs und Attac-Leute unter sich sitzen. Denn die Gebührenzahler nehmen ja sogar die Moderatorin zähneknirschend, aber stillschweigend in Kauf, welche von den meisten Themen keine Ahnung hat und welche die wenigen verbliebenen Zuschauer mit ihrer Ahnungslosigkeit und Angst vor ihren linken Chefs nur daran erinnert, wie gut die vielen deutschen Moderatoren sind. Rätselhaft bleibt allerdings, warum bisher keiner der drei Privatsender das schlagseitige Vakuum zu füllen begonnen hat, dass der ORF im Bereich politischer Information geöffnet hat.

Unabhängig davon bleibt das Faktum zu bilanzieren: Die Medien dominieren mehr denn je – sowohl über die Justiz wie auch die Politik. Selbst wenn sie dabei nur unglaubliche Dummheiten produzieren, fürchten sich Justiz und Politik vor ihnen.

PS.: Nochmals zum deutschen Prozess: Man hätte tausendmal mehr Verständnis für die Empörung der Türkei über die Vergabe der Medienplätze, wenn sie ein wenig mehr einem Rechtsstaat gliche. Dieser Glaube ist aber gleichzeitig mit der Karlsruhe-Entscheidung erneut zertrümmert worden. Denn ein türkisches Gericht hat Fazil Say – den weltweit bedeutendsten Pianisten der jüngeren Generation – zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe wegen Beleidigung des Islam verurteilt. Sein Delikt: Say hatte es gewagt, sich in mehreren Tweets kritisch über die Regierung und die islamische Frömmelei zu äußern: „Überall wo es Schwätzer, Gemeine, Sensationsgierige, Diebe, Scharlatane gibt, sind sie alle übertrieben gläubig (wörtlich: Allahisten)“.

Wegen solcher Sätze wird man im EU-Kandidatenland Türkei verurteilt! Kein Wunder, dass der Klavierspieler auswandern will. Denn der Unterschied zu Saudi-Arabien ist nur noch marginal.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung