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Das Unheil begann mit einem Wertewandel

Viele Europäer wollen derzeit die Politiker ins Gefängnis werfen; Politiker und ihre medialen Verbündeten wollen dasselbe mit den Bankern tun. Die Szene ist die einer verzweifelten Sündenbocksuche nach einer schweren Niederlage. Gelöst ist mit Gefängnisstrafen freilich noch nichts. Kein Weg, kein Randthema kann nämlich an der Tatsache vorbeiführen, dass wir alle - egal ob mitschuld oder nicht (die meisten sind mitschuld, haben sie doch populistische Parteien gewählt) - für die Schuldenpolitik der Jahrzehnte seit 1970 zahlen müssen: für die verlogenen Euro-Rettungsaktionen; für fehlgeleitete Staatsausgaben (die statt in Investitionen zu Wählerbestechungen in Form von Frühpensionen, Gratisstudium, Förderungen und Gratisgesundheit verwendet worden sind); oder für die Aufnahme von (schon allein auf Grund ihrer Schulden) ungeeigneten Ländern in den Euro-Raum. Wir zahlen und müssen noch viel mehr zahlen, als Steuerzahler, als Sparer, als Schüler.

Im Vordergrund sollte derzeit aber vor allem die Frage stehen, wie wir ohne allzuviel weitere Schäden aus all den Irrungen der Krise herauskommen können. Dazu müssen wir freilich auch die Fehler der Vergangenheit analysieren, wie auch die der Gegenwart. Und wir müssen uns eingestehen, dass uns die Fehler der letzten Jahre jedenfalls teuer kommen.

Wenn selbst linke Apologeten wie der Linksaußenökonom Stephan Schulmeister zugeben, dass vor 1971 alles besser gewesen sei, dann ist das schon ein guter gemeinsamer Ansatz der notwendigen Analyse. Denn 1971 waren europaweit die Schulden noch sensationell tief. Etwa in Österreich betrugen sie 18 Prozent des damaligen Bruttoinlandsprodukts, das damals viel tiefer war als das heutige. Damals haben die Menschen, trotz viel niedriger Lebenserwartung, deutlich länger gearbeitet. Sie gingen später in Pension, sie arbeiteten großteils 45 Stunden, also auch noch an Samstagen, und sie hatten viel weniger Urlaube. Modische Wohlfahrts-Kuscheleien wie die verbreitete Frühpension wegen Burnouts kannte noch niemand. Und auch die Staatsquote (Steuern und Abgaben) war weit niedriger. Nostalgie? Nein, eine Wirtschaft, die noch funktioniert hatte.

Die Gewerkschaften haben noch nichts begriffen

Also darauf, dass ein Zurück Richtung 1971 eigentlich ein exzellentes Signal wäre, könnte man sich offenbar auch mit der radikalen Linken gut verständigen. Freilich steht da die seltsame Tatsache im Raum, dass gerade Ökonomen wie Schulmeister in den letzten Jahrzehnten immer für noch mehr Schulden und nie für mehr Arbeiten plädiert haben.

Und die Gewerkschaften sowieso. Diese haben soeben in Österreich eine obligatorische sechste Urlaubswoche für alle gefordert und gleich auch jede Menge Steuererhöhungen. Von ihrer Mitschuld an den Fehlentwicklungen seit 1971 reden sie hingegen nicht. Diese werden ja bei einer Gewerkschaft regelmäßig als große Erfolge gefeiert.

Rund um 1971 wurde Europa von einem kompletten Wertewandel erschüttert. Dessen Hauptursache war, dass die damals an die Macht kommenden Sozialdemokraten nicht mehr die oft asketischen und jedenfalls leistungsorientierten Werte ihrer Bewegung von früher vertreten haben, sondern die Sichtweisen der 68er Generation. In deren Zentrum stand aber der Kampf gegen die Privatwirtschaft und für ständig mehr Staatsleistungen ohne Rücksicht auf die Kosten.

Aber auch die christdemokratischen und liberalen Parteien wurden teilweise von diesem Wertewandel angesteckt. Die einen wurden plötzlich linksliberal (sie nannten es sozialliberal), die anderen glaubten, dass das Wort „sozial“ in „Soziale Marktwirtschaft“ eine Einschränkung der Marktwirtschaft bedeuten würde. In Wahrheit war dieses Adjektiv aber von ihren Schöpfern – von Ludwig Erhard bis zur Freiburger Schule – als nähere Qualifizierung der Marktwirtschaft gemeint, als erklärender Zusatz für das, was eine funktionierende Marktwirtschaft leistet. Und zwar nur sie.

Schröpfpläne und Unsinnigkeiten

Man kann aber auch in der Gegenwart, etwa rund um die zypriotische Krise viel Unsinniges entdecken:

  • Kann beispielsweise jemand erklären, warum die größte zypriotische Bank in Russland viel mehr Filialen hat als im eigenen Land, aber wir Europäer zu zwei Drittel das zypriotische Banksystem retten mussten?
  • Kann jemand erklären, warum nun eine griechische Bank um eine halbe Milliarde alle Filialen zypriotischer Banken auf Griechenland kaufen kann? Haben die Europäer nicht gerade Griechenland selbst mit mehreren Hundert Milliarden kostenden Hilfsaktionen retten müssen?
  • Kann jemand erklären, warum beispielsweise ein durchschnittlicher spanischer Haushalt dreimal so reich ist wie ein deutscher, aber die Deutschen die Spanier retten müssen, und demnächst wohl auch die Italiener und Franzosen, die ebenfalls reicher sind als ein durchschnittlicher deutscher Haushalt?
  • Ebenso schwer erklärlich ist, dass die EU-Kommission laut dem Kommissar Michel Barnier nun offiziell beabsichtigt, dass alle Besitzer von Konten über 100.000 Euro künftig für die Abwicklung von Banken herangezogen werden, die unter 100.000 aber absolut geschützt werden.

Wird dann auch nur ein Idiot so blöd sein, bei einer Bank mehr als 100.000 Euro liegen zu haben? Wird dann nicht jeder seinen Vorteil besser wahren, wenn er das über der „Mindestsicherung“ liegende Geld von der Bank nimmt, im eigenen Haus in Bar versteckt oder in Gold anlegt, das man ihm nicht so leicht abnehmen kann? Oder wenn er es ganz aus Europa hinausträgt? Haben nicht eigentlich gerade fast alle Politiker das Gegenteil erklärt, nämlich dass nach Zypern Einleger nicht mehr bluten werden? Hat man nicht soeben gerade das vor zwei Wochen von den Euro-Lenkern vorgelegte Modell als unsozial verworfen, dass alle Einleger für die Bankenverluste mitzahlen müssen, wenn sie mehr an Zinsen kassiert haben, als in stabilen Niedrigzinsländern des gleichen Währungsraums üblich ist? Dabei wäre gerade dieses Modell das relativ am weitaus schmerzärmste und gerechteste gewesen, hätte doch gemäß diesem ersten Zypernbeschluss kein einziger Sparer mehr als den Zinsengewinn der letzten Jahre verloren.

Gerechtigkeit und Vernunft sind chancenlos geworden

Gegen die jeder Vernunft widersprechende Regel, dass andere Personen als die zuvor profitierenden Gläubiger für eine in Konkurs gehende Bank haften und zahlen müssen, haben Gerechtigkeit und marktwirtschaftliche Vernunft keine Chance mehr. Solange dieses perverse Prinzip nicht aufgegeben wird, gerät Europa immer mehr in einen mörderischen Strudel.

Die Botschaft der wirtschaftlichen Vernunft ist freilich bei dem Menschen Südeuropas nicht angekommen. Sie begreifen nicht, was es heißt, dass ihre Länder derzeit in einer historischen Krise sind. Aus eigenem Verschulden. Sie glauben offenbar noch immer, dass Deutsche, Holländer, Österreicher und Finnen sie auch weiterhin herauspauken werden. Auch wenn diese dafür ständig beschimpft werden.

Anders ließen sich die jüngsten deutschen Zahlen nicht erklären: Aus den 2004 der EU beigetretenen Ländern sind im Vorjahr 100.000 Menschen nach Deutschland gekommen, um dort zu arbeiten. Aus  Griechenland, Portugal, Italien und Spanien waren es in Summe hingegen nur 30.000. Deutlicher kann man gar nicht beweisen, dass im Süden immer noch primär aufs Klagen, Jammern und Schimpfen als Antikrisentherapie gesetzt wird und nicht auf die eigene Arbeit, zu der ja auch Mobilität gehört. Die Euro-Länder haben freilich auch alles getan, um den Süden in dieser schönen Illusion zu lassen.

Hochstapler machen sich mit Lügen populär

Wie weit man in jenen Ländern von der nüchternen Realität entfernt ist, zeigt der Fall eines portugiesischen Hochstaplers: der Ex-Häftling Artur Baptista da Silva hat sich dort als internationaler Spitzenökonom, UNO- und Weltbankberater ausgegeben und als solcher bis vor wenigen Wochen bei zahllosen Diskussionen, Vorträgen und Talk Shows brilliert. Er predigte nämlich genau das, was die Portugiesen gerne hörten: Man dürfe das Land nicht zu Tode sparen! Die Zinsen seien viel zu hoch! Die portugiesische Regierung müsse von den Deutschen noch viel mehr Geld herausverhandeln! Peinlich nur, dass weder sein Lebenslauf noch seine Vorschläge irgendetwas mit der Realität zu tun hatten. Der Mann ist nach langem endlich doch als Hochstapler entlarvt worden.

Manchen wird dieses Schwadronieren aber durchaus bekannt vorkommen. Verlangen doch auch die Arbeiterkammer-„Experten“ unter Beifall so mancher Journalisten noch viel höhere Schulden zur Krisenbekämpfung. Offenbar sind die Menschen nicht sehr lernfähig, sonst würden sie solchen Einsatz von Benzin zur Brandbekämpfung als ziemlich problematisch erkennen.

Die Wahrheit ist viel unpopulärer: Nur Leistung, Sparsamkeit und Arbeit können Europa da wieder herausbringen. Zwar wird jede Partei abgewählt, die die Wahrheit sagt. Aber auch demokratisch gewählte Illusionen bleiben Illusionen, die am Ende gegen die harten Fakten untergehen werden.

Mit den Russen vertreibt Zypern sein Einkommen

Die Zyprioten haben es sich ziemlich schwer gemacht, sich durch Arbeit selbst aus dem Sumpf zu ziehen: Weil man aus populistischen Gründen den kleinen Sparern nicht einmal einen teilweisen Verlust der Zinsen zumuten wollte, während größere Einleger hingegen zu 37 bis 100 Prozent geschröpft werden, hat Zypern jetzt seine eigene Haupteinnahmequelle vertrieben. Die dort in großer Zahl lebenden beziehungsweise regelmäßig einpendelnden Russen verlassen nun rasch die Insel. Trotz ihres einladenden Wetters und ihres hohen touristischen Wertes.

Mit den Russen sind aber auch die beiden Hauptbranchen der Insel tot: die Tourismusindustrie und das groß dimensionierte Bankwesen. Die Russen sind nämlich zu klug, als dass sie nicht erkannt hätten: Sie sind ganz gezielt zu Opfern einer Schröpfaktion geworden. Und das hat kein Volk sonderlich gerne. Zypern schonte die eigenen Wähler und bestrafte – unter nur scheinbarer Gleichbehandlung – die Russen. Diese sind jedoch zugleich die besten Kunden der Zyprioten (für Mitteleuropäer hingegen sind die Tourismus-Preise auf Zypern schon lange viel zu hoch).

Bei der Russen-Schröpfaktion half mit, dass man diese relativ einfach und ungeprüft zu Mafiosi erklären kann. Da ist es aber gleichzeitig kein Wunder, dass da kein Russe gern auf Zypern bleibt. Und dass deshalb die populistisch geschonten „kleinen“ Zyprioten bald keine Jobs mehr haben werden. Dafür können sie weiterhin ungestraft ihr Geld – bis 100.000 Euro pro Bank – dort anlegen, wo es die höchsten Zinsen gibt. Ohne auf die Stabilität der Bank achten zu müssen. Das gilt freilich nur, sofern sie überhaupt noch Geld haben. Denn das muss man ja in der Regel vorher verdienen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für die unabhängige Internet-Zeitung eu-infothek.com.

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