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Zypern, die Vernunft und das große Aufheulen

Zum ersten Mal haben die europäischen Finanzminister in der Euro-Krise etwas halbwegs Vernünftiges beschlossen – und sofort wird ringsum aufgeheult, ausgerechnet in Österreich und Deutschland am lautesten, die vom Minister-Beschluss eigentlich profitiert hätten. Dementsprechend ist das Vorhaben binnen weniger Tage an den Heulern und am zypriotischen Parlament gescheitert. Die Heuler haben, wie die letzten Stunden zeigen, offenbar Erfolg, obwohl sie fast durchwegs dumm und geradezu selbstbeschädigend argumentieren. Vor allem begreifen sie nicht, was die zwei einzigen möglichen Alternativen sind, wenn die zypriotischen Sparer nun sakrosankt bleiben. Oder sie verschweigen es populistisch.

Wenn Zyperns Sparer (zu einem hohen Anteil russische Steuerflüchtlinge!) nicht geschoren werden, kommt es zum ersten Mal zu einem Totalcrash eines europäischen Staates – oder es kommen neuerlich die – derzeitigen und künftigen – europäischen Steuerzahler unters Messer. Aber offenbar wollen die Heuler das ja. Und sie setzen das auch durch, da das zypriotische Parlament eine Beschneidung der Sparguthaben ablehnt. Wäre nicht in Westeuropa das populistische Aufheulen so laut gewesen, dann hätte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das zypriotische Parlament nicht getraut, Nein zu sagen.

Die Krokodilstränen um die „armen Sparer“ auf Zypern sind insbesondere deshalb absurd, weil diese in den letzten Jahren durch (gegenüber Deutschland und Österreich) weit überhöhte Zinsen ein Vielfaches dessen kassiert haben, was sie jetzt zahlen hätten sollen. Wer in zehn Jahren 20 Prozent mehr kassiert als hierzulande ein Sparer, der sollte eigentlich auch 10 oder 16 Prozent Verlust hinnehmen können.

Es heulen auch jene auf, die schon lange – prinzipiell voll zu Recht – dagegen protestiert haben, dass in den letzten Jahren „die Banken“ gerettet worden sind; sie haben zwar protestiert, nur haben sie offenbar nicht begriffen, was das heißt. Denn werden einmal „die Banken“ nicht gerettet, hat das logischerweise Konsequenzen, nämlich bei den Gläubigern der Banken. Das ist die geradezu zwingende Folge jedes Konkurses (=Nichtrettung eines insolventen Unternehmens).

Die Gläubiger einer Bank sind aber genau die Sparer. Daher hätte es eigentlich von der ersten Stunde an die Sparer treffen müssen, wenn griechische, spanische, zypriotische, französische, italienische Banken in Probleme geraten. Diese Sparer haben in den genannten Ländern ja auch überall deutlich höhere Zinsen kassiert als die österreichischen. Aber Nein, die Sparer im Süden kassierten und bleiben auch weiterhin ungeschoren. Und die Steuerzahler und Sparer in Deutschland und Österreich müssen sie ständig retten. Ungefragt.

Typisch ist etwa der Kommentator einer Zeitung, die behauptet, von Wirtschaft zumindest irgendetwas zu verstehen. Er verlangt nämlich in einem Populismus und in einer Ahnungslosigkeit, die Straches und Faymanns Wirtschaftskompetenz noch weit unterbietet, dass die Aktionäre der Banken bluten sollen. Der Mann begreift offenbar nicht, dass diese Aktionäre längst geblutet haben. Denn ihr – schon lange eingezahltes – Aktienkapital ist fast zur Gänze weg. Was bitte will er denn denen noch wegnehmen können?

Zur Rettung der Banken und der von höheren Zinsen profitierenden Sparer ist in den letzten drei Jahren immer wieder ein Big Spender eingesprungen, nämlich der – empört, aber wirkungslos mit den Zähnen knirschende – deutsche, österreichische, niederländische und finnische Steuerzahler.

Heuer aber muss erstmals der deutsche Steuerzahler gefragt werden. Nämlich bei der Bundestagswahl. Und da zittert die Berliner Regierung zunehmend vor der Antwort. Sie will daher erstmals die Sparer eines Schuldenstaates nicht ungeschoren lassen. So wie man schon einmal die privaten (und auch ganz kleinen) Besitzer griechischer Staatsanleihen geschoren hat, will Berlin mit gutem Grund nun zypriotischen Sparbuchbesitzern ein Teil des Geldes abnehmen. Die (bis vor wenigen Wochen kommunistische!) Regierung Zyperns hat sich ja seit Jahren geweigert, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, welche die Katastrophe noch abwenden hätte können.

Ist es ungerecht, nun als letzte Möglichkeit auf die Sparer zuzugreifen? Subjektiv empfinden das sicher viele Betroffene so. Aber das ist immer noch zehn Mal besser als die Politik jener Parteien – vor allem, aber nicht nur der Linken –, die jede Woche bei uns und in Deutschland eine neue Steuer einführen wollen, um irgendjemanden zu retten.

Wie man nun die notwendigen Schnitte konkret auf die zypriotischen Sparer aufteilt, ist eine politische Frage, die einzig die Zyprioten angeht. Das zypriotische Parlament hat jedoch nun erklärt, dass überhaupt niemand für das überschuldete Finanzsystem zahlen solle. Da das irgendwie mit der Logik nicht zusammenpasst, seien kurz die wichtigsten Denkansätze zur Aufteilung analysiert.

Da erkennt man bald: Wer vorgibt, da gäbe es einen „gerechten“ Aufteilungsschlüssel, ist ein Lügner. Und selbst, wenn es einen solchen Schlüssel gäbe, hieße das: Tausende Finanzbeamte müssten jetzt jedes einzelne Konto anschauen, um zu entscheiden, ob dessen Besitzer ganz, halb oder gar nicht geschoren werden soll. In dieser Zeit ist längst das ganze Finanzsystem kollabiert.

Eine Unterscheidung „Inländer bekommen alles, Ausländer hingegen sollen bluten“ ist aus Hunderten rechtlichen Gründen nicht zulässig. Sie würde auch sofort zu dramatischen Retorsionen etwa aus Russland führen, wo man ohnedies schon heftig empört ist. Man kann nicht einfach pauschal jeden Russen zu einem Mafioso und Geldwäscher erklären. Das muss wirklich in jedem Fall geprüft werden, wenn man zumindest minimale Reste von Rechtsstaatlichkeit bewahren will. Was jetzt angeblich zwar geschieht, was aber die Zyprioten zweifellos lange unterlassen haben.

Auch jede Unterscheidung zwischen großen und kleinen Spareinlagen klingt nur gerechter, ist es aber keineswegs. Sie belohnt erstens einmal jene Großen, die sich die Mühe gemacht haben, ihr Geld auf viele kleine Sparbücher bei vielen Instituten aufzuteilen. Da profitiert halt der, der statt eines Sparbuchs über drei Millionen 30 Sparbücher über 100.000 Euro bei verschiedenen Instituten aufgemacht hat. Wer aber solchen Tricks nachzugehen versucht, der ist ebenfalls viele Monate unterwegs – solange kann auch Zypern die Banken nicht geschlossen halten.

Jedenfalls haben auch jene, die kleinere Sparbücher haben, von den maßlos überhöhten Zinsen auf Zypern profitiert. Diese hohen Zinsen waren ja eben schon in den letzten Jahren genau das Signal, dass Zypern und seine Banken Wackelkandidaten sind.

Die österreichische Einlagensicherung behauptet wie ähnliche Einrichtungen in allen europäischen Ländern, jeden Sparer bei jedem(!) Institut mit bis zu 100.000 Euro absolut abzusichern. Dass diese „Sicherung“ natürlich nur solange etwas wert ist, als entweder der jeweilige Finanzsektor oder die Republik solvent sind, wird gerne verschwiegen. Auch sie ist daher eine Lüge.

Halbwegs Gerechtigkeit könnte man nur dadurch herstellen, dass man bei jedem Konto durchrechnet, wieviel der Besitzer jeweils von den überhöhten Zinsen profitiert hat. Denn einer, der den Großteil seines Geldes schon vor zehn Jahren eingezahlt hat, hat natürlich viel mehr profitiert als einer, der das überwiegend erst im Vorjahr getan hat. Nur: Auch solche Berechnungen brauchen jedenfalls ein kompliziertes Computermodell, das es frühestens in ein paar Wochen geben könnte. Natürlich wären in dieser Zeit längst alle Konten abgeräumt.

Festzuhalten bleibt, was keinen der Heuler zu stören scheint: Auch bei der am vergangenen Wochenende ausgehandelten Zypern-Vereinbarung würden zwei Drittel der Kosten dieser „Rettung“ wieder von den anderen europäischen Steuerzahlern und Sparern getragen. Aber immerhin: Die Angst vor den deutschen Wählern hat dazu geführt, dass sie diesmal nicht mehr alles allein tragen müssen. Zumindest wenn Wolfgang Schäuble und Maria Fekter endlich einmal hart bleiben. Die Illusionen aus den Zeiten eines Finanzministers Pröll, dass all diese Haftungen und Kredite ja eh ein großes Geschäft wären, sind ohnedies längst verflogen.

Jetzt ist guter Rat absolut teuer. Das Allerschlechteste und der endgültige Untergang nicht nur des Euro, sondern wirklich der ganzen europäischen Integration wäre es, wenn nun Resteuropa nachgibt und doch dem europäischen Steuerzahler die ganze Last aufbürdet.

Positive Folge der Zypern-Krise könnte es hingegen sein, dass sich die Sparer endlich europaweit genauer anschauen, wem sie ihr Geld anvertrauen. Wie stabil die Bank, der Sektor, das Land sind. Einlagensicherung hin oder her. Das bloße Interesse an höheren Zinsen als alleiniger Entscheidungsfaktor wird dann endlich vorbei sein.

PS.: Das Geimpfte geht einem auf, wenn neben den Steinewerfern von Attac nun ausgerechnet der pensionierte Betriebsrat des Wirtschaftsforschungsinstitut am lautesten gegen einen zypriotischen Haarschnitt protestiert, also der wegen seiner linksradikalen Haltung berüchtigte Stephan Sch. Denn gerade er ist seit Jahrzehnten nachweislich dafür bekannt, ständig Forderungen der vielfältigsten Art aufgestellt zu haben, die zu noch viel mehr Schulden und Defiziten geführt hätten,als sie Europa ohnedies jetzt schon umbringen. Österreich wäre schon längst in die griechisch-zypriotische Liga getrieben worden, hätte es den Ratschlägen des Herrn Sch. und denen von Betriebsräten, Arbeiterkämmerern und Gewerkschaftern gefolgt. Es ist einfach widerlich und heuchlerisch, wenn sich Täter über die Folgen ihrer Taten empören.

PPS.: Einen Vorwurf kann man Fekter, Schäuble, dem IWF, der EZB & Co freilich nicht ersparen: Wenn man nach Jahren einer falschen Politik einen so gravierenden Wechsel der Finanzpolitik vorzunehmen versucht, muss man das mit einer ungeheuer breiten Informations-Kampagne begleiten. Die es aber nicht gibt. Bis auf Fekter selbst halten sich derzeit auch in Österreich fast alle bedeckt oder äußern sich populistisch – obwohl sie hinter vorgehaltener Hand zugeben, dass die Ministerin recht hat. Obwohl es um österreichische Überlebensinteressen geht.

PPPS.: Um die gegenwärtig ebenfalls fallenden Börsenkurse würde ich mir am wenigsten Angst machen. Denn die Anleger werden nach einer Schrecksekunde erkennen, dass Aktien noch immer etwas Reelleres darstellen als eine bloße Forderung gegen eine Bank. Und mehr ist ein Sparbuch nicht.

PPPPS.: Es mag viele Zufälle im Leben geben. Aber dass sich ausgerechnet in der Nacht des Zypern-Njets die erschreckten EU-Europäer nun plötzlich auf das seit ewig umstrittene Agrarbudget geeinigt haben, ist mit Garantie kein Zufall.

 

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