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Franziskus I. ist in vielerlei Hinsicht ein neues Signal in der Kirche. In fast allen Aspekten ist die Wahl des Argentiniers zum neuen Papst auch ein sehr positives, ja bewegendes Signal. Nur in einer Hinsicht muss man sehr skeptisch beobachten, was da auf uns zukommt.
Das für die Kirche Erfreulichste ist noch mehr als die schnelle Wahl die Tatsache, wie sehr praktisch alle Medien mit ihren Insider-Berichten über angebliche Favoriten falsch gelegen sind. Jorge Mario Bergoglio war für kein Medium Favorit. Damit hat die Kirche bewiesen, dass sie doch noch in hohem Ausmaß Vertraulichkeit bewahren kann, dass die angeblichen Geheiminformationen von Vatikan-Experten, die uns in den letzten Wochen umschwirrt haben, eben doch nur ahnungsloses Geschwätz waren. Eine Institution, die so unbeirrt den eigenen Weg geht – das ist schon eindrucksvoll.
Auch sonst wird sich der gerade Weg der Kirche unter diesem Papst in allen grundsätzlichen Positionen nicht ändern. Alle Ratschläge von Möchtegernreformern innerhalb und außerhalb der Kirche perlen erfreulicherweise vorerst an der Kirche ab. Selbst wenn bei Geschiedenenpastoral und Zölibatsfrage zumindest für Europa diese Ratschläge auch durchaus ernst zu nehmen sind.
Umso gravierender ist der Bruch mit der Tradition europäischer Päpste. Erstmals kommt das Oberhaupt der Kirche aus Amerika, aus der neuen Welt, nachdem diese Funktion lange eine europäische Erbpacht gewesen zu sein schien. (Das Tagbuch hat ja schon eine Stunde nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. geschrieben, was mit einem Anflug von Eitelkeit zitiert werden darf: „ . . . ist die Wahrscheinlichkeit so groß wie noch nie, dass der nächste Papst nicht mehr aus Europa kommt.“) Das bestätigt den ja auch auf vielen anderen Feldern stattfindenden Rückgang der Bedeutung Europas voll.
Freilich muss man das relativieren: Erstens ist Bergoglio keineswegs der erste nichteuropäische Papst. Ist doch schon ein gewisser Petrus aus einer asiatischen Region gekommen. Und bei vielen anderen Päpsten der Frühkirche weiß man nichts Genaueres.
Zweitens hat der neue Papst nicht nur einen italienischen Namen, er hat nicht nur weiße Hautfarbe, er kommt nicht nur aus einem Land, das trotz der spanischen Umgangssprache mehrheitlich von italienischen Auswanderern bevölkert ist, er hat sogar (neben der argentinischen) die italienische Staatsbürgerschaft. Damit ist der neue Bischof von Rom nach dem polnischen und deutschen Intermezzo wieder zumindest zur Hälfte ein alter Italiener. Wie er es vorher viele Jahrhunderte gewesen ist. Da waren Wojtyla und Ratzinger auffallendere Fremdkörper. Insofern ist aber der Italiener aus Argentinien auch ein sehr weiser Kompromiss im kolportierten Konflikt Europa vs. Nichteuropa.
Und drittens hat Franziskus mehr als all seine Vorgänger schon in seinen ersten Worten ständig betont, dass er Bischof von Rom geworden ist. Die Oberhoheit über die ganze Kirche war da viel weniger im Vordergrund. Auch das ist ein bewusstes Signal des argentinischen Papstes.
Ein 76-jähriger Papst hat genau das richtige Alter (selbst wenn das im Land der Frühpensionisten viele erstaunen mag). Die Kardinäle waren insgeheim wohl auch bedacht, keinen zu jungen Kollegen zu wählen, sodass die meisten von ihnen noch einmal zu einem Konklave zusammentreten werden. Das ist auch insofern interessant, als Bergoglio schon beim letzten Konklave, das Ratzinger gewählt hat, einst die zweitmeisten Stimmen bekommen hat. Also ist vielleicht auch diesmal von den Kardinälen ein Nachfolger zumindest schon ins Auge gefasst worden. Und vielleicht können sie es auch diesmal so geheimhalten wie zuletzt.
Bergoglio könnte andererseits immerhin noch rund ein Jahrzehnt regieren, also solange, wie auch in den meisten Demokratien Staatspräsidenten maximal amtieren dürfen. Selbst wenn er wie sein Vorgänger wieder bei Lebzeiten abtreten dürfte, ist das Zeit genug, um Akzente zu setzen, aber zu kurz, um eine ganze Epoche zu prägen, wie es der polnische Papst getan hat.
Zu den Akzenten, die der neue Papst sicher nicht setzen wird, gehört eine Abkehr von der Lehre der Kirche in allen grundsätzlichen und moralischen Fragen. Das mag einen Pfarrer Schüller und seine Gesinnungs- und Altersgenossen zwar ärgern. Sie wollen ja anstelle des Konzils, anstelle zweitausend Jahre kirchlicher Tradition sowie der biblischen Wurzeln einen ominösen, von ihnen selbst zu interpretierenden "Geist des Konzils" gleichsam zum obersten Kirchengesetz machen. Es gibt übrigens genug andere Kirchen, die Schüllers Vorschläge schon lange realisiert haben, die sich auch über Neuzugänge freuen würden, die aber in Wahrheit eine noch viel größere Krise durchlaufen, als es der katholischen in Europa derzeit passiert. Hingegen blüht die Kirche in vielen anderen Kontinenten – erstaunlicherweise etwa auch intensiv in Australien.
Fast wichtiger als der Wechsel von Europa nach Lateinamerika ist die Tatsache, dass erstmals ein Jesuit Papst ist. Da dieser Orden einst immer wieder trotz oder wegen seiner Nüchternheit polarisiert hat, ist das kirchengeschichtlich wohl besonders bedeutend. Das ist auch dem neuen Papst zweifellos bewusst. Deshalb hat er gleichsam zum Ausgleich als erster Papst der Geschichte den Namen Franziskus gewählt, also des Gründers jenes Ordens, der mehrfach zu den Gegenkräften der Jesuiten gezählt hat.
Besonders sympathisch ist die Bescheidenheit und Demut des neuen Papstes. Aus Argentinien wird sein Verzicht auf viele kirchenfürstliche Insignien und Privilegien berichtet, bis hin zur Tatsache, dass er öffentliche Verkehrsmittel benützt und auf ein Bischofspalais verzichtet hat. Sehr einnehmend war auch die erste Amtshandlung, als er nicht gleich die im römischen Regen Versammelten segnete, sondern diese zuvor um ihr Gebet bat. Ebenso stark war sein Beginn mit einem Vater unser für den Vorgänger. Auch das ein klares Signal.
Auf der positiven Seite ist auch seine kraftvolle Stimme zu verzeichnen. Diese klingt – im Medienzeitalter wichtig – viel dynamischer als bei seinem Vorgänger. Noch wichtiger ist aber vor allem der Mut und die Konsequenz, mit denen er in den letzten Jahren den gesellschaftspolitischen Linkspopulismus der argentinischen Machthaber etwa in Sachen Homosexuellen-Ehe entgegengetreten ist. Er wagte es mehr, als es hierzulande die Bischöfe derzeit gegenüber den hiesigen Machthabern tun, dem Getue der Präsidentenfamilie Kirchner offen und frontal entgegenzutreten. Er war ein offener Kämpfer gegen die Korruption und nannte die Dinge beim Namen. Genau das ist es, was die Kirche braucht: Klare Worte, wenn es nötig ist, und das gerade gegen die Träger der Macht.
Die werden vielleicht auch bald nötig sein, da manche in Argentinien gerade wieder einmal einen Krieg anzetteln möchten.
Die einzig wirklich kritische Frage, welche die Person von Papst Franziskus aufwirft, ist die nach seinen sozialpolitischen Positionen. So wunderbar und nachahmenswert persönliche Demut, Bescheidenheit und Nächstenliebe sind, so fragwürdig könnte es für die Kirche werden, wenn daraus ein kirchlicher Sozialismus abgeleitet würde. Seit der Bergoglio-Wahl fragen sich viele, ob sich der neue Papst in den letzten Jahrzehnten nicht allzu sehr von der argentinischen Krankheit anstecken hat lassen. Denn es werden einige Marktwirtschafts-kritische Sätze von ihm berichtet.
Tatsächlich sind in dem einst reichsten Land Südamerikas seit den Zeiten der Perons, unter fast allen nachfolgenden Präsidenten sowie insbesondere auch in der Epoche der Kirchners alle nur denkbaren Verbrechen gegen Währungsstabilität und gegen die Grundgesetze der Wirtschaft begangen worden. Diese Dummheiten scheinen aber Bergoglio im Gegensatz zur Schwulenehe nie wirklich gestört zu haben.
Das Ergebnis: leere Supermarktregale, rationierte Grundnahrungsmittel, den Schaden noch vergrößernde populistische Preisregulierungen, heftige Inflation, Nichtbedienung von Staatsschulden, Manipulation der Wirtschaftsdaten, Entwicklung von Schwarzmärkten: Das ist die aktuelle Bilanz des dort herrschenden Linkspopulismus. Die Indizien sind – vorerst – stark, dass Bergoglio nicht die notwendigen Lehren daraus gezogen hat.
Es kann in Wahrheit kein Zweifel bestehen: Der Platz der Kirche hat immer auf der Seite der Armen zu sein. Das hat durch persönliche wie kirchliche Solidarität gezeigt zu werden, durch Bescheidenheit und Demut. Aber gerade deshalb darf ein weiser Kirchenführer niemals eine (links- oder rechts-)populistische Wirtschafts- und Sozialpolitik vertreten, die am Ende gerade den Armen schadet. Die aber für Menschen ohne Wissen um ökonomische Zusammenhänge sehr verführerisch klingt. Gerade ein sozial engagierter Papst sollte wissen oder sich zumindest gut beraten lassen: Schuldenmacherei, die Vertreibung von Investoren, künstlich geregelte Preise schaden am Ende des Tages den Allerärmsten am meisten. Denen ist es bisher nur in den von manchen Theoretikern verteufelten Marktwirtschaften gut gegangen. Und auch die Kirche sollte empirische Evidenz ernsthaft zur Kenntnis nehmen.