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Die Lehrer, unsere Kinder und die Volksschulkrise

Es ist eines der Projekte, das die Regierung noch mit Brachialgewalt vor den Wahlen über die Bühne bringen will; es ist aber deswegen alles andere als zwingend und logisch: das geplante neue Lehrerdienstrecht. Während die Politik ständig vom Dienstrecht reden will, herrscht an anderen Fronten im Bildungssystem längst ein Flächenbrand. Vor allem an unseren Volksschulen.

Das einzige, was an den Regierungsvorhaben im Prinzip richtig ist, ist der Plan, die Lebensverdienstkurve der Lehrer abzuflachen. Lehrer zu sein ist zwar längst kein Hungerleider-Job mehr wie einst, aber in den ersten Jahren ist das Einkommen alles andere als üppig. Hingegen sind die Einkommen in den letzten zehn bis zwanzig Jahren überaus reichlich.

Die subjektiven Bedürfnisse verhalten sich genau umgekehrt. In jüngeren Jahren ist eine Wohnung zu kaufen und einzurichten, man gründet (hoffentlich) eine Familie, die Kinder liegen einem (hoffentlich) auf der Tasche. Am Ende der Karriere ist es umgekehrt. Die Bedürfnisse gehen da subjektiv wie objektiv zurück.

Auch der Markt führt zur gleichen Erkenntnis: Ein 55-jähriger Lehrer wird nur in den seltensten Fällen von der Privatwirtschaft abgeworben. Mit 25 oder 30 hingegen sind gerade die Tüchtigen unter den Lehrern auch für viele andere Arbeitgeber interessant. Auch alle jene, die verachtungsvoll die Augen verdrehen, wenn das Wort „Markt“ fällt – unter den Lehrern sind das leider besonders viele! –, sollten irgendwann begreifen: Die Marktmechanismen sind immer wirksam, ob man sie nun mag oder nicht.

Nach drei Jahren ist kein Unterschied mehr legitim

Die niedrigen Einstiegsgehälter sind zweifellos auch ein Grund, warum der Lehrerberuf so massiv verweiblicht. Männer verhalten sich (auch in anderen Bereichen) viel stärker gehaltsorientiert als Frauen. Es wird heute jedoch von allen Seiten der Wunsch nach einem höheren Männeranteil in unseren Schulen als dringend angesehen. Natürlich hat der hohe Frauenanteil auch mit anderen Dingen wie insbesondere der Arbeitszeit zu tun. Freilich ist es politisch nicht korrekt, das zu erwähnen.

Lediglich ein Argument spricht für niedrigere Einstiegsgehälter: In den ersten zwei oder drei Jahren ist ein junger Lehrer noch ein wenig Lehrling, der manche pädagogischen Tricks und administrativen Vorgänge lernen muss. Aber etwa nach dem dritten Jahr ist er meist schon gleichwertig mit einem Lehrer in seiner letzten Berufsdekade. Daher gibt es ab diesem Zeitpunkt eigentlich keine Gründe mehr für eine unterschiedliche Bezahlung, es sei denn, jemand übernimmt zusätzliche Verantwortungen oder Aufgaben. Die jungen Lehrer ersetzen in der Regel das durch Dynamik und Engagement, was die älteren an – ebenfalls wertvoller – Erfahrung einbringen.

So weit so klar. Das erste Problem taucht aber für den Übergang auf. Und der würde ein paar Jahrzehnte dauern: Es wäre ja wohl ungerecht, den älteren Lehrern – die einst in ihren Anfangsjahren in der Erwartung des späteren Geldsegens wenig verdient haben – das Einkommen zu kürzen, nur weil jetzt die jüngeren Kollegen mehr bekommen. Mehr Geld aber wird es gerade in Sparzeiten nicht geben können. Und Sparzeiten gibt es eigentlich immer. Daher wäre eigentlich nur eine Strategie realistisch: Bei jeder Gehaltsrunde unten ein wenig aufzurunden, und oben ein wenig zu kappen. Das ist gewiss ein langer Prozess, aber nur so ist eine Änderung politisch möglich. Bei uns jedoch wird seit Jahren von der großen Reform geredet, sodass nicht einmal die mögliche kleine begonnen worden ist.

Nun versucht jedoch die Regierung gerade wegen dieser Notlage, die Lebenseinkommen der Lehrer signifikant zu reduzieren. Das aber kann sich wiederum keine Gewerkschaft gefallen lassen. Vor allem wenn ihre Gruppe als einzige betroffen ist. Einen Lehrerstreik will sich die Regierung jedoch ganz gewiss nicht leisten, in Wahljahren schon gar nicht.

Gleichzeitig wird versucht, die Lehrerdienstzeiten deutlich zu verlängern. Die Jungen sollen also deutlich länger arbeiten als die Älteren – obwohl diese weiterhin mehr verdienen. Eine solche provozierende Zweiklassengesellschaft würde aber mit Sicherheit zu einer Sprengbombe mit Zeitzünder für jedes Konferenzzimmer in unseren Schulen. Kann man das ernsthaft  wollen, wenn es eigentlich um bessere Schulen gehen sollte?

Aber arbeiten die Lehrer nicht tatsächlich recht wenig? Dem werden in der Tat die meisten Österreicher zustimmen. Die Studien über eine lange Jahresstundenleistung von Lehrern genießen wohl zu Recht wenig Glaubwürdigkeit, beruhen sie doch mangels objektiver Messmöglichkeiten vor allem auf Eigenangaben der Lehrer selbst. An die glaubt aber eher nur die Gewerkschaft.

Löwenbändigen macht Stress

Dennoch kann man es sich nicht so einfach machen, wie viele Zeitungskommentatoren, deren liebste Beschäftigung des Lehrer-Prügeln ist, und einfach nach weniger Lehrer-Entlohnung zu rufen. Dem steht nicht nur das erstaunlich hohe Ansehen der Lehrer in der Bevölkerung entgegen, sondern auch die Tatsache, dass eine Unterrichtsstunde vor einem Haufen (vor/post)pubertärer Jugendlicher einen unglaublichen Stress bedeutet, der mit kaum einem anderen Job vergleichbar ist. Im Gegensatz zu sonstigen Berufen darf man ja als Löwenbändiger keine Sekunde die Konzentration verlieren. Diese Aufgabe ist zweifellos noch viel schwieriger geworden, seit die Immigrationspolitik die Klassen mit Massen Jugendlicher aus bildungsdesinteressierten Kulturen vom Balkan und aus der Dritten Welt gefüllt hat.

Dazu kommt ein gewichtiges psychologisches Argument: Selbst in der Krise hat in Österreich keine größere Gruppe ein echtes dauerhaftes Minus (weniger Einkommen verbunden mit mehr Leistung) hinnehmen müssen. Das jetzt einzig und alleine von Lehrern erreichen zu wollen, ist eine absolute Mission impossible. Das ginge höchstens in echten Notzeiten, in einem gemeinsamen nationalen Kraftaufschwung, wenn also auch die Richter 40 Stunden im Gericht sein müssen, wenn der Handel am Sonntag öffnen wird, wenn auch ÖBBler erst mit 65 in Pension gehen könnten usw. Oder eben wenn – wie in Griechenland – alle deutlich weniger verdienen. Eine Gruppe allein gezielt herauszupicken, kann aber niemals funktionieren.

Natürlich könnte man die Lehrer auch außerhalb des Unterrichts zur Anwesenheit in der Schule zwingen. Dann können sie dort Arbeiten verrichten wie Vorbereitungen, Weiterbildung, Korrigieren, Eltern- und Schülergespräche. Nur: Wenn ein Dienstgeber das will, dann muss er seinen Mitarbeitern auch genauso viel Raum zur Verfügung stellen wie jeder andere Arbeitgeber: also mindestens acht Quadratmeter, einen funktionalen Schreibtisch und einen PC mit Internet und Drucker als Mindestausstattung.

Statt jahrelang sinnlose Verhandlungen über ein Dienstrecht zu führen, wäre es viel klüger gewesen, ein paar Schulen mit ordentlichen Lehrer-Arbeitsplätzen auszustatten. Dann hätte man dort ohne vorheriges Warten auf die  Weltrevolution an konkreten Einzelbeispielen beobachten können, wie sich das auswirkt: auf die pädagogischen Erfolge wie auch auf die Motivation der Lehrer. Aber vieles deutet ja darauf hin, dass diese Unterrichtsministerin das gar nicht will. Sie will keine positiven Veränderungen, sie will nur stänkern, ideologisieren und Journalisten PR-Geschichten über die bösen Lehrer ins Blatt drucken.

Worum es eigentlich gehen sollte

Eine wirksame Dienstrechtsreform würde auch viel stärker als bisher die Weiterbildungspflicht der Lehrer beachten. Sie würde auch das sachliche Wissen und Können der Lehrer neben ihren pädagogischen Fähigkeiten zur Voraussetzung einer Anstellung machen.

Mit anderen Worten: Die Direktoren müssten sich leicht von Lehrern trennen können, die einer Klasse nicht gewachsen sind; von allen jenen, die etwa nach zwanzig Jahren nicht mehr auf dem Laufenden ihres Faches sind (beispielsweise nicht einmal die gelehrte Fremdsprache perfekt beherrschen); sowie von all jenen, die schon von Anfang an Opfer des dramatischen Qualitätsverlustes unserer Universitäten sind, wo leider weder meritorisch noch pädagogisch die Unfähigen ausgesiebt werden.

Ein perfektes Dienstrecht würde aber auch vorsehen, dass jeder neue Lehrer zumindest zwei Jahre im wirklichen Leben gearbeitet haben soll, also irgendwo außerhalb von Klassenzimmern und Hörsälen. Nur solche Lehrer können den Kindern einen Eindruck von der realen Welt vermitteln, die sich halt total von den Lesebuch- und Gutmensch-Vorstellungen der Grünen unterscheidet.

Der allerschlimmste Wahnsinn ist aber, dass diese Dienstrechtsreform wie ein Prokrustesbett für alle Lehrer gelten soll. Also von der Volksschule bis zur AHS und BHS. Während die Praxis schon längst zeigt, dass vor allem bei bestimmten technischen Fächern an einer Berufsbildenden Höheren Schule nur durch (marktgerechte) höhere Gehälter gute Lehrer gefunden werden können, sollen sie nun mit Volksschullehrern gleichgestellt werden. Das ist entweder völlig unfinanzierbar oder es heißt: Gute Nacht für unsere – noch – exzellente Techniker-Ausbildung.

Dieses Prokrustesbett würde auch für die AHS zur Katastrophe: Denn jeder weiß – bis auf die Unterrichtsministerin –, dass wir dort in den nächsten Jahren eine gewaltige Pensionierungswelle haben, gegen die dringend vorgebaut werden müsste. Aber vielleicht teilt irgendwer einmal der unglückseligen Claudia Schmied mit, dass in den nächsten sieben Jahren jeder dritte Lehrer in Pension gehen wird. Vielleicht leistet sich die ÖVP auch wieder einmal einen Schulexperten, nachdem man den ungeliebten und unbeliebten Neugebauer auf die Strafbank gesetzt hat.

Gleichmacherei über alles

Hinter dieser geplanten Einheitsbezahlung steckt natürlich die gleichmacherische Ideologie, dass alle dieselbe Ausbildung genießen sollen. Was völlig absurd ist.

Volksschullehrer, die selbst schwere Rechtschreibdefizite haben, werden nicht besser, wenn man nur noch Master auf unsere Kleinsten loslässt. Denn das Rechtschreiben lernen sie ebensowenig auf der Universität wie das Einmaleins oder die Namen der Wiener Bezirke, also jene Dinge, an denen Zehnjährige bei allen internationalen Vergleichstests so blamabel scheitern. Die wahren Probleme liegen nämlich schon bei der Auswahl der Möchtegern-Lehrer an den Pädagogischen Hochschulen, wo man viel zu wenig konsequent ist. Und vorher bei der Matura, wo es immer weniger selbstverständlich ist, dass ein Maturant die Rechtschreibung beherrscht.

Das von der ÖVP offenbar nicht durchschaute Motiv der SPÖ: Diese will den Weg zur Gesamtschule durch die Hintertür noch breiter zu machen. Die linken Ideologen glauben in ihrer Dummheit nämlich, dass der Hauptwiderstand gegen die Gesamtschule von AHS-Lehrern kommt, die nicht auf eine gleiche Stufe mit Volksschullehrern geraten wollen.

Das mag es zwar schon geben. Aber der entscheidende Hauptwiderstand kommt natürlich von all jenen Eltern, die für ihre Kinder die bestmögliche Ausbildung wollen. Und die diese in einer zwangsweisen Einheitsschule mit Sicherheit nicht bekommen werden – schon gar nicht in Wien, wo bereits mehr als die Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund hat.

Alle Kraft den Volksschulen

Eine ernsthafte Bildungspolitik würde neben einer ganz anderen – realistischen, daher kleinen – Dienstrechtsreform die ganze Energie unseren Volksschulen widmen. Dort nämlich, also in der Gesamtschule für die 6- bis 10-Jährigen, spielt sich nach allen vorhandenen Untersuchungen die wahre Bildungskatastrophe ab.

Was zu deren Behebung notwendig wäre, wäre eine strengere Lehrerauslese, eine ernsthafte und auch individuell anrechenbare externe Leistungsevaluation, die Rückkehr zu Disziplin im Klassenzimmer, Mut zu mehr Frontalunterricht und zu einem altersangepassten Leistungsdruck, mehr erlaubte Vielfalt an Volksschul-Modellen, Aufnahmsprüfungen am Wechsel von der Volksschule zur AHS und vieles andere mehr. Es ist kein Zufall, dass es sich in einem ganzen Bezirk herumspricht, wo es noch eine strenge Volksschullehrerin gibt. Zu der wollen dann fast alle Eltern ihre Kindern schicken. Und nicht zu den Kuschellehrern im Ungeist der Siebziger Jahre.

Um nur ein paar Daten über die Dimension der Volksschulkatastrophe zu nennen (von der Frage, ob diese auch mit dem hohen Frauenanteil gerade in den Grundschulen zu tun haben könnte, will ich dabei gar nicht reden – auch wenn dieser zumindest auffällt):

  • Bei den 10-Jährigen ist der Vorsprung der finnischen auf die österreichischen Kinder ein halbes Jahr größer als dann mit 14 nach der ach so bösen differenzierten Unterstufe (dass die Finnen übrigens immer vor Österreich bleiben werden, liegt an drei ganz anderen Faktoren: In Finnland dominiert der Frontalunterricht; dort darf noch Wert auf Disziplin gelegt werden; und dort gibt es fast keine Kinder, die nicht Finnisch als erste Sprache zu sprechen gelernt haben).
  • Unter allen bei den internationalen Tests untersuchten europäischen Ländern gibt es in den österreichischen Volksschulen die meisten disziplinären Probleme.
  • Bei der Lesekompetenz der 10-Jährigen nimmt Österreich unter 14 untersuchten europäischen Vergleichsländern den letzten Platz ein. Österreich hat in dieser Gruppe auch die wenigsten „sehr guten“ Lese-Kinder, und die meisten leseschwachen.
  • Bei Mathematik liegen Österreichs 10-Jährige unter den 14 Vergleichsländern an 11. Stelle. Was in Nordirland 25 Prozent der Kinder schaffen, schaffen in Österreich nur 2 Prozent.

Es ist lichterlohes Feuer am Dach. Aber wir reden nur über Dienstrecht und Gesamtschule, also leistungsverschlechternde Dinge. Und niemand redet über die echten Notwendigkeiten.

Ob das vielleicht gar Absicht ist?

 

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