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Es lebe der kleine Unterschied: Wenn man fußballverdrossen ist, geht man nicht mehr auf den Sportplatz und kann auch ohne diesen Sport unbekümmert weiterleben. Wenn man politikverdrossen ist und nicht mehr zu Wahlen geht, dann bekommt man dennoch alle Konsequenzen politischer Entscheidungen zu spüren, ohne dass man den winzigen Mitspielraum genutzt hätte, den jeder in einer Demokratie (noch) hat. Man straft also nicht die Politik oder Politiker, sondern sich selber und macht die anderen mächtiger.
Jedenfalls sinkt die Wahlbeteiligung als sichtbarste Form der Politikverdrossenheit kontinuierlich. Zugleich bleibt in allen Parteien weitgehend der qualifizierte Nachwuchs aus. Das Image der Politiker hat einen Tiefpunkt erreicht. All diese Aspekte sind Folgen eines historischen Erdbebens im geistigen Fundament unserer Gesellschaften: Sowohl das demokratische wie auch das rechtsstaatliche Prinzip wie auch das Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Leistungsprinzip sind als Ganzes unterminiert und beschädigt. Denn viele Menschen haben das Bewusstsein um den Wert dieser Grundlagen verloren. Die Ursache ist erstaunlich: Gerade der Erfolg der marktwirtschaftlich-rechtsstaatlichen Demokratie hat diese Grundlagen scheinbar unwichtig gemacht.
Noch nie haben zwei Generationen ohne jede Unterbrechung in einer Periode des inneren und äußeren Friedens, des ständig wachsenden Wohlstands und Aufstiegs leben können. Den Menschen wurden aber nicht Rechtsstaat, Marktwirtschaft und Demokratie als Grundlage dieses Segens vermittelt. Statt dessen wurde ihnen eingetrichtert: Wenn man nur die richtige Partei wählt, kommt der restliche Segen ganz von selbst. Das ewige Glück schien machbar. Jetzt aber platzen die verantwortungslosen Versprechungen der Parteien. Sie sind rat- und orientierungslos, die Wähler ebenso: Und gemeinsam versuchen sie, die bedrohlichen Fakten so lange es geht zu verdrängen.
Die große Frage lautet: Kann die Wahrheit, kann das Wissen um diese Basis noch einmal in unser kollektives Bewusstsein zurückgeholt werden? Zu dieser Basis gehören: Die fundamentalen Bedeutung des Rechtsstaats, in dem unabhängige und charakterlich saubere Richter nach klaren und bekannten Gesetzen judizieren; die Überlegenheit der Marktwirtschaft als einzig funktionierende Quelle von Wohlstand und Gerechtigkeit; die freiwillige Befolgung der Regeln des Zusammenlebens durch die Bürger, auch wenn kein Polizist dahintersteht; die Prinzipien der Demokratie; die Selbstverständlichkeit von Fleiß und Leistung; die Einhaltung diverser Generationenverträge; und nicht zuletzt die Kompromissfähigkeit.
Fast alles von dem ist in Erosion, ist innerlich ausgehöhlt. Die Bürger spüren, dass es jetzt eigentlich nur noch bergab gehen kann. Sie sind in ihrer Frustration sogar bereit, in phrasendreschenden Selbstdarstellern die erträumten Wunderheiler zu erblicken. Denn sie glauben – nachvollziehbar, aber falsch – nach wie vor an die billigen und einfachen Problemlösungen. Als ob man Jahrzehnte von Fehlern mit einem Mal wieder gut machen kann. Und ebenso falsch wie nachvollziehbar ist, dass sie die Fehler nur bei der Politik suchen, aber nie bei sich selber.
In Wahrheit ist ein guter Teil der Fehler dieser letzten Jahrzehnte nicht mehr reversibel. Und vieles andere wäre nur noch mit größter Mühe wieder ins Lot zu bringen. Was sind nun die konkreten Fehler, die sich in dieser Systemkrise und der Politikverdrossenheit niederschlagen? In Stichworten – und das Wichtigste zuerst:
Angesichts dieser hier kurz angerissenen katastrophalen Entwicklungen ist psychologisch die frustrierte Abwendung vieler, insbesondere auch junger Menschen nachvollziehbar. Dabei bräuchten Demokratie und Rechtsstaat deren Engagement stärker denn je. Freilich nicht zu einer Perpetuierung all dieser Fehlentwicklungen, sondern zu einem mutigen Neubeginn.
Dieser Beitrag erschien in einer ähnlichen Form auch in einer Studentenzeitschrift (der Ostaricia).