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Es war eine mehr als verräterische Aussage: Die Euro-Länder würden Griechenland zumindest bis 2014 das finanzielle Überleben sichern wollen: „Darum geht es im Augenblick“. So lässt es uns nun der mächtigste Finanzminister Europas, Wolfgang Schäuble, wissen. Verräterisch daran ist erstens, dass anstelle der einstigen „Rettung“ neuerdings plötzlich nur noch von einem befristeten Überleben der Griechen die Rede ist. Verräterisch ist zweitens der genannte Zeitpunkt, bis zu dem Schäuble den Griechen das Überleben sichern will.
Denn während ringsum eigentlich schon seit Monaten eine weitere Verlängerung des griechischen Aufenthalts in der Intensivstation mindestens bis zum Ende des Jahrzehnts als unvermeidlich dargestellt wird, gibt der Schäuble-Ausspruch plötzlich indirekt eine Änderung der Strategie zu: Es geht nicht mehr um eine Rettung Griechenlands (und anderer Länder), sondern nur noch darum, die gesamte Schulden-Überbrückungs-Konstruktion samt ihren ständig wachsenden Kosten noch etwas mehr als ein Jahr in Funktion zu halten.
Diese Zeitspanne schließt aber ganz, ganz zufällig auch die nächsten deutschen Wahlen ein. Diese werden nämlich (spätestens) im September 2013 stattfinden. Der von Schäuble angesprochene Zeitpunkt bedeutet also in Wahrheit das Eingeständnis eines recht zynischen Politik: Bis zu den Bundestagswahlen darf nichts passieren, danach aber kann die immer höher aufgestaute Sintflut losbrechen.
Ähnlich ist es ja auch im vergangenen Winter darum gegangen, Nicolas Sarkozy über den französischen Wahltag zu helfen. Das war freilich eine vergebliche Liebesmüh, wie wir heute wissen. Wird im Falle der deutschen Koalition die selbe Taktik am Ende auch vergeblich gewesen sein? Wird es auch für Schwarz-Gelb heißen: Außer Spesen nichts gewesen? Durchaus möglich, auch wenn Spekulationen viel zu früh sind, und auch wenn Rot-Grün natürlich noch viel mehr Spesen bedeuten würde.
Unabhängig von dieser Frage ist jedenfalls klar: Auch Schäuble glaubt insgeheim nicht mehr, dass Griechenland noch zu retten ist. Gleichgültig, welche der Hunderten derzeit durch die Luft schwirrenden „Hilfs“- und „Rettungs“-Varianten auch immer realisiert werden sollte. Eine Bankrottvermeidung wird schon bei den anderen schwer verschuldeten Ländern und Banken schwierig genug.
Was wird nun passieren, wenn Resteuropa im nächsten Winter das Hunderte Male angedrohte Nein zu weiteren Zahlungen für Griechenland endlich auch realisieren sollte? Legitim wäre das ja jedenfalls, nachdem dieses Land in den letzten drei Jahren noch nach jeder Vereinbarung die Durchführung eines Gutteils der hoch und heilig versprochenen Reformen unterlassen hat.
Ein solches Nein bedeutet nicht automatisch einen Hinauswurf aus dem Euro-Raum. Ein solcher Hinauswurf ist ja rein vertragsrechtlich gar nicht möglich. Diesen kann nur das betroffene Land selbst beschließen. Ein Ausscheiden aus der gemeinsamen Währung wäre jedoch ab dem Stopp weiterer Euro-Hilfen wohl die beste Entscheidung der Griechen selber. Voraussetzung ist freilich, dass bis dahin zwischen Athen, Berlin, Frankfurt und Brüssel alle technischen Details einer notwendigerweise schlagartigen Währungsumstellung gut vorbereitet sind – was freilich noch immer nicht sicher ist.
Bei einer Rückkehr zu einer eigenen Währung könnten die Griechen durch deren Abwertung jedenfalls die eigenen Exporte wieder wettbewerbsfähig machen und die Importe fast unerschwinglich teuer machen.
Aber selbst ohne Rückkehr zur Drachme tritt bei einem Stopp der Hilfen automatisch und in noch viel schärferem Ausmaß das ein, was die griechischen Regierungen immer als unmöglich dargestellt haben: Das Land könnte dann nur noch das ausgeben, was es einnimmt. Das Land müsste dann Beamten- und Pensionsbezüge weiter senken – notfalls sogar auf jenes Niveau, wie es in etlichen anderen EU-Ländern (etwa auf dem benachbarten Balkan) ohne lautes Murren hingenommen wird. Es müsste endlich die Beamtenzahlen reduzieren, Investoren mit Freude statt mit Bürokratie begrüßen, Pseudo-Behinderte und Bezieher der Renten Verstorbener bestrafen, Steuerhinterziehungen unterbinden, Staatsunternehmen (und eventuell auch Inseln) privatisieren und jedenfalls kräftig deregulieren.
Jedenfalls kann Griechenland nach einer Einstellung der ständigen Hilfen kein Primärdefizit mehr bauen. Was Athen in den letzten Jahren nie gelungen ist. Lediglich im letzten Monat soll jetzt dieses Ziel plötzlich erreicht worden sein – was aber wahrscheinlich wieder nur ein statistischer Trick ist, stehen doch die Verhandlungen mit der Troika gerade wieder auf des Messers Schneide. Dabei bedeutet ein ausgeglichener Primärhaushalt nur: Ein Land gibt nicht mehr aus, als es einnimmt, selbst wenn es keinen einzigen Euro mehr für Kreditrückzahlungen und Zinsendienst zahlen würde.
Die Nicht-mehr-Bedienung aller Kredite dürfte im Fall eines Versiegens der europäischen Hilfsgelder jedenfalls sofort passieren. Kein Cent flösse dann mehr an die Gläubiger Griechenlands. Bankrott ist ja nur ein anderes Wort dafür, dass man Schulden nicht mehr bedient. Das hätte zwar für Athen die Konsequenz, auf Jahre keinen Kredit mehr zu bekommen. Selbst Treibstoff-, Medikamenten- oder Lebensmittelimporte wären nur noch mit Vorauskasse möglich. Das wäre aber zweifellos auch die einzig wirksame Therapie für jenes Land.
Zu dieser Schocktherapie wird es aber erst kommen, wenn Griechenland endgültig den Glauben aufgeben muss, dass das ewig gleiche Gejammere „Mehr Sparen geht nun wirklich nicht mehr“ noch irgendeine Wirkung erzielt. Solange hingegen diese Behauptung auch von vielen westlichen Korrespondenten voller Empathie verbreitet wird, und solange immer wieder über weitere Hilfsprogramme verhandelt wird, werden die Griechen weiterhin glauben, dass sie mit der Mitleidsmasche um eine echte Sanierung herumkämen.
Dabei würde eine echte Sanierung mit Sicherheit nach etwa zwei – freilich sehr harten – Jahren einen steilen Aufschwung einleiten, wie wir es schon in vielen anderen Ländern nach dem Bankrott gesehen haben.
Eine Bankrotterklärung Griechenlands wäre natürlich auch für das Ausland ein schwerer Schlag. Dort müsste man ja alle Forderungen gegen Griechenland sofort abschreiben. Die Vermeidung dieses Schlages wird von den anderen Euro-Regierungen daher immer als Grund angegeben, weshalb man Griechenland ständig weiter helfen müsse.
Nüchterne Menschen sollten sich aber davor längst nicht mehr fürchten. Da steckt viel Angstpropaganda drinnen. Denn:
Erstens hat die angebliche Griechenland-Rettung in den letzten drei Jahren viele andere undisziplinierte Staaten von einem wirksamen Sparkurs abgehalten. Das hat die europäische Schuldenkatastrophe natürlich weiter verschlimmert. Schlechte Beispiele verderben die Sitten. Wenn man Betrug nicht mehr bestraft, wird es viel mehr Betrugs-Versuche geben. Wenn das EU-rechtliche Verbot der Rettung eines verschuldeten Landes durch die Zentralbank und andere Staaten zugunsten der Griechen aufgehoben worden ist, dann muss es ja wohl auch bei uns (Spaniern, Portugiesen usw.) aufgehoben werden.
Zweitens hat die Griechenland-Hilfe jetzt schon weit mehr gekostet, als es gekostet hätte, wenn die anderen EU-Länder 2010, vor den ersten Hilfsmaßnahmen und an deren Stelle, ihren eigenen Banken sämtliche Forderungen gegen Griechenland abgegolten hätten. Nach seriösen Schätzungen hielten Auslandsbanken damals höchstens 160 Milliarden Euro an griechischen Papieren.
So viel Geld in die Hand zu nehmen wäre im übrigen gar nicht nötig gewesen. Denn die meisten Banken – bis auf etliche französische – hätten einen Ausfall Griechenlands vermutlich schon damals tragen können. Und auch die wirklich gefährdeten Banken hätte man nur soweit absichern müssen, dass Einleger und Sparer nicht zu Schaden kommen. Das heißt: Bilanzen herunter bis aufs regulatorische Mindestkapital; zuerst werden die Aktionäre geschoren; dann sind auch Kündigungen beim Bankpersonal sinnvoll; erst dann darf der Steuerzahler drankommen.
Drittens ist inzwischen ohnedies schon der Großteil der Forderungen gegen Griechenland in Händen der Europäischen Zentralbank beziehungsweise einzelner Staaten. Die Kommerzbanken und andere privaten Gläubiger Griechenlands hingegen sind ja schon beim „Hair-Cut“ um einen Großteil ihrer Forderungen umgefallen; etliche griechische Anleihen sind inzwischen überdies schon abgereift; und viele weitere sind an die EZB weitergegeben worden.
Die unter „Zweitens“ und „Drittens“ genannten Punkte widerlegen auch ein in den letzten beiden Jahren von vielen verbreitetes Märchen: Die Hilfsaktionen würden ja nur den Interessen der Banken dienen. Wenn das wahr wäre, wäre uns die Schuldenkrise viel billiger gekommen.
Die Wahrheit sieht anders aus:
Die Hilfsgelder für Griechenland und andere Schuldenländer flossen zwar zum Teil zweifellos sofort an Gläubiger-Banken weiter. Das war aber voll beabsichtigt, denn ein Krachen von Banken löst immer einen gefährlichen Dominoeffekt aus. Dadurch würde unweigerlich ein Banken-Run ausgelöst, also der kollektive und gleichzeitige Versuch, alle Einlagen bei Geldinstituten abzuheben. Das würde das gesamte Wirtschaftsleben zum Einsturz bringen. Dadurch würden nicht nur Serienkonkurse von Finanzinstituten, sondern auch von all jenen Unternehmen der Realwirtschaft mit all ihren Arbeitsplätzen ausgelöst, die nicht schnell genug auf die Bank gelaufen sind.
Es geht nie primär darum, Banken zu retten. Und es ist wohl auch primär nie darum gegangen. Jedoch hätte etwa Österreich die Hypo Alpen-Adria unter Schonung der Einleger viel schneller abwickeln sollen, statt sie vorerst formal voll weiterzuführen, um die Bank-Arbeitsplätze zu retten. Dennoch ist auch in diesem Fall klar: Hauptzweck von Bankenrettungen ist immer nur die Vermeidung eines Dominoeffekts. Eine Überschuldung wird nicht kleiner, wenn man einen maroden Laden weiterführt.
Die Rettung der Bankkunden würde jedenfalls viel billiger kommen als Rettung ganzer Länder. Das war schon 2010 der Fall und gilt für heute erst recht, da fast alle Banken – unter Druck, aber auch aus eigenem Antrieb – ihren Sicherheitspolster deutlich vergrößert haben.
Die Rettungsaktionen hatten jedoch einen ganz anderen Hauptzweck, auch wenn Politiker und deren Ideologen gerne davon ablenken. Der wahre Zweck lautete: Die Regierungen wollten um jeden Preis den Eindruck vermeiden, dass auch ein Staat des Euro-Raumes bankrott gehen könnte. Dabei hat dieses Schicksal davor schon Hunderte Male Staaten ereilt, ist also an sich so logisch wie gewöhnlich.
Eine solche Bankrotterklärung Griechenlands wäre jedoch erstens das Ende des großen Selbstbetrugs gewesen, dass der Euro eine Zauberwährung wäre, bei der vieles Logische wie durch ein Wunder nicht mehr passieren kann. Zweitens haben viele EU-Länder gefürchtet, dass nach einem griechischen Bankrott die Geldverleiher auch die Kreditwürdigkeit der anderen Schuldenländer genau überprüfen würden.
Solche Prüfungen von Euro-Staaten hatten die Geldverleiher ja im Jahrzehnt davor grob fahrlässig unterlassen. Auch sie haben an den Euro-Zauber geglaubt und es dadurch den Regierungen ermöglicht, sich durch eine ständige Schuldenpolitik wohlfahrtsstaatlicher Wählerbestechung die Macht zu erkaufen.
Umso genauer prüfen Geldverleiher aber seit 2010 die Kreditwürdigkeit. Trotz der Rettungsaktionen stoßen jetzt viele Euro-Staaten und Euro-Banken bei Geldgebern auf verbreitetes Misstrauen. Damit aber ist klar: Der Hauptzweck der Griechenland-Rettung ist völlig verfehlt worden.
Viele Staaten können sich heute nur noch deshalb finanzieren, weil die Europäische Zentralbank Geld praktisch unlimitiert druckt und zu Billigstkonditionen verleiht. Dieses Geld hält die Krisenstaaten weiter am Überleben.
Wer aber glaubt, dass das Gelddrucken jetzt ohnedies eine brauchbare Lösungsstrategie wäre, der irrt neuerlich kräftig. Denn die Zeche zahlen neben den Steuerzahlern alle Sparer, alle Inhaber einer Lebensversicherung. Noch nie lagen als Folge der EZB-Politik die für Einlagen jeder Art gezahlten Zinsen so weit unter der Inflationsrate (wobei wir gar nicht die Debatte beginnen wollen, ob die nicht in Wahrheit noch viel höher ist, als offiziell angegeben wird). Damit werden Sparer und Steuerzahler kräftig enteignet. Eine solche Politik kann so wie in der Zwischenkriegszeit sowohl zu sozialen wie politischen Explosionen führen.
So weit so schlecht. Das absolut Faszinierende aber ist: Die Regierungen verstehen es noch immer, diese ganze Fehlkonstruktion als alternativlos, als ein Werk im Interesse ihrer Bürger darzustellen. Und viele Medien plappern das nach. Das bestätigt wieder einmal: Mundus decipi vult, ergo decipiatur. Die Menschen wollen offenbar hineingelegt werden, daher werden sie auch hineingelegt.
Zumindest bis 2014 dürfte das nun so weitergehen.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.