Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Europäische Fata Morgana: das deutsche Rettungskonzept

Im europäischen Schulden- und Finanzdschungel nimmt sich die deutsche Regierung als einsame Lichtung der Vernunft aus. Dieser Eindruck entpuppt sich aber zunehmend als Fata Morgana. Auch die Politik der Angela Merkel bietet nämlich in Wahrheit längst keinen Ausweg mehr als dem Krisendickicht. Und das macht bange. War doch Deutschland die letzte Hoffnung im Euroraum.

Die deutsche Strategie scheint auf den ersten Blick klar und logisch. Komprimiert lautet sie: Da ein Auseinanderbrechen des Euro-Raumes schlimme Folgen hätte, und ein Bankrott von Euro-Staaten noch viel mehr, wird Ländern wie Griechenland oder Portugal weiterhin mit viel Geld geholfen, wofür diese im Gegenzug zu einem straffen Sanierungs- und Reformprogramm gezwungen werden.

An dieser Strategie klingt vieles richtig. Sie kann aber dennoch nicht funktionieren, weil sie absolut weltfremd ist. Natürlich stimmt es, dass ein Zerbrechen des Euro-Raums oder Staatsbankrotte sehr unangenehm und schmerzhaft wären. Nur kann es nicht funktionieren, Länder auf diesem Weg zu einer Reform- und Sanierungspolitik zu zwingen. Und nach einem Scheitern der diversen Rettungsversuche wird der Schaden noch viel größer sein und dann ganz Europa erschüttern.

Europas neue Kolonialpolitik

Der deutsche Versuch ähnelt den einstigen Bemühungen der französischen Kolonialpolitik, aus den Untertanen in Übersee Franzosen wie alle anderen zu machen, die sich höchstens durch die Hautfarbe unterscheiden. Das ist zwar in vereinzelten Fällen geglückt, an der großen Masse der kolonialen Bevölkerung jedoch ohne Hinterlassung von Spuren vorbeigerauscht. Dabei hat sich Frankreich durchaus bemüht (mehr als andere Kolonialmächte). Es wurden Schulen, Universitäten und Verwaltungsbehörden eingerichtet. Viele Franzosen übernahmen Verantwortung in den Kolonien. Aber eine kulturelle Verhaltensänderung in der breiten Masse konnte dennoch nie erzielt werden.

Ähnliches spielt sich derzeit – von der Außenwelt kaum noch beachtet – in Bosnien ab. In einer komplizierten Verfassungskonstruktion versuchen nun schon seit fast zwei Jahrzehnten internationale Truppen, viele Hilfsorganisationen und ein vom Ausland eingesetzter Diktator (der österreichische Diplomat Valentin Inzko), aus drei Landesteilen, die am Beginn der 90er Jahre  gegeneinander Krieg geführt haben, eine Einheit zu schmieden. Und dennoch weiß heute jeder, der es wissen will: Der Versuch ist missglückt. Kaum sind eines Tages die ausländischen Truppen abgezogen, wird es den fiktiven bosnischen Staat wieder zerreißen.

Vor allem die bosnischen Serben werden sich wieder aus der verordneten Einheit lösen und sich direkt oder indirekt an Serbien anschließen. Auch bei den bosnischen Kroaten wird vermutlich ein ähnlicher Anschluss Richtung Zagreb stattfinden. Und die moslemischen Bosnier werden das hinnehmen – oder wieder Krieg führen müssen. Der würde aber ebenso blutig wie vergeblich sein, wie einst der Krieg der jugoslawischen Volksarmee zur „Rettung“ der jugoslawischen Einheit.

Ebensowenig wird und kann der Versuch gelingen, aus Griechen nette Mittelmeer-Germanen zu machen, die so effizient, fleißig, korrekt und technisch begabt sind wie Bayern oder Oberösterreicher, wie Schweizer oder Schwaben. Solche Zivilisations-Mutationen gelingen bestenfalls nach Jahrhunderten, nicht aber binnen der knappen Zeit, die noch zur Verfügung steht, damit der deutsche Rettungsweg zum Ziel führt.

Dies sieht man schon daran, dass von Griechenland bis Portugal die Sanierungsetappen regelmäßig verfehlt werden, dass immer wieder eine Lockerung der Vorgaben hingenommen werden muss, weil diese nicht erreicht worden sind. Zwar erwecken die regelmäßigen Kontrollen der sogenannten Troika einen strengen Eindruck, zwar sind die Folgen der Schuldenpolitik für die betroffenen Bürger überaus hart – aber dennoch kann dieser Weg nicht zum Ziel führen.

1. Ein fremdes Diktat wird ignoriert

Denn zum ersten werden die Sanierungsbemühungen von der betroffenen Bevölkerung als ausländisches Diktat und nicht als zwangsläufige Folge der eigenen Schuldenpolitik und des Zurückgehens der eigenen Wettbewerbsfähigkeit verstanden. Das zeigt sich am deutlichsten an den regelmäßigen Generalstreiks und aggressiven Demonstrationen. Dadurch wird nämlich in Wahrheit nur das eigene Bruttoinlandsprodukt weiter reduziert, dessen Schrumpfen freilich gleichzeitig als Schuld der anderen lauthals beklagt wird. Das, was man den Deutschen oder der Troika in die Schuhe schiebt, verursacht man dadurch neuerlich höchstselbst.

2. Die Deutschen bluffen

Zweitens haben Griechen&Co längst die Überzeugung gewonnen: Die Deutschen, die EZB und der Währungsfonds drohen zwar, aber sie werden ihre Drohungen letztlich nie wahrmachen. Auch wenn sich die Schuldnernationen mit dieser Überzeugung langfristig täuschen könnten, so haben sie kurz- und mittelfristig zweifellos recht: die Deutschen bluffen. Zumindest bis zu den Bundestagswahlen werden sie die Griechen und deren Schuldengenossen nicht fallenlassen.

Denn damit würden ja Angela Merkel und Wolfgang Schäuble eingestehen, dass ihre Politik der letzten drei Jahre abgrundtief falsch war, die inzwischen den Deutschen an Krediten und Haftungen in der Summe eine runde Billion Euro gekostet hat, also tausend Milliarden. Da schieben sie diesem verlorenen Geld lieber noch weitere Summen nach, bevor sie ihren Fehler eingestehen.

Und die Linksparteien könnten in diesem Fall triumphieren – obwohl sie in diesen drei Jahren eigentlich noch viel mehr Geld noch viel schneller verbrennen wollten als die schwarz-gelbe Koalition.

3. Die nationale Souveränität gewinnt am Ende immer

Zum dritten kann das Merkel-Schäuble-Rezept auch deshalb nicht funktionieren, weil Griechenland ein souveräner Staat ist und bleiben wird. Solange er nicht von fremden Truppen besetzt ist, würde ein EU-Staat niemals zustimmen, dass die EU bei ihm so durchgreifen könnte wie etwa in Bosnien. Dort kann der Hohe EU-Repräsentant Inzko Gesetze suspendieren und Minister feuern – und selbst das hat nicht funktioniert. Denn nach Hinauswurf eines Ministers übernehmen halt andere den Job – und verhalten sich genauso wie ihre Vorgänger (nachdem sie ein paar Monate lang einen anderen Eindruck zu erwecken versucht haben).

4. Eigenverantwortung als europäisches Fremdwort

Denn zum vierten – und am wichtigsten: Das Merkel-Rezept verkennt die zentrale Bedeutung des Begriffs Eigenverantwortung. Damit zeigt auch die CDU, dass sie in Wahrheit an sozialistische Rezepte der kollektivierten Verantwortungslosigkeit glaubt.

Dazu sei noch ein historischer Vergleich gestattet: nämlich mit Österreich nach 1945. Das Land war damals das ärmste Europas. Es hat aber gewusst, dass es auf sich selbst gestellt ist. Die Stabilisierung hat viele Jahre gedauert, ziemlich genau ein Jahrzehnt. In dieser Zeit haben sich alle Österreicher angestrengt, ohne eine Sekunde an Streiks zu denken oder Dritten die Schuld an der eigenen Not in die Schuhe zu schieben. Als kommunistische Gruppen (zum Zwecke eines politischen Putsches) zu streiken begannen, bereiteten dem die anderen Gewerkschafter selbst handgreiflich ein rasches Ende.

Zwar hat Österreich mit dem Marshall-Plan damals auch etliches an Hilfe von außen bekommen. Aber diese war in Relation verschwindend klein gegen die Summe der Hilfsprogramme, die jetzt schon im Süden der EU wirkungslos versickert sind. Das österreichische wie deutsche Wirtschaftswunder der 50er Jahre ist ganz eindeutig primär durch eigene Disziplin, durch Fleiß und Anstrengung erzielt worden; es ist den Arbeitern und Unternehmern genauso zu danken wie der liberalen Politik der Minister Kamitz und Erhard.

Die Griechen sind von diesem Geist meilenweit entfernt. Es ist müßig nachzudenken, ob Klima, Gene, Kultur oder Geschichte die Schuld daran tragen. Es ist jedenfalls Tatsache, dass sich ein solcher Geist nicht erzwingen oder verordnen lässt.

Daher werden auch alle deutschen Lösungsmodelle scheitern, etwa die Idee, dass ein Brüsseler Kommissar ein Eingriffsrecht in nationale Budgets bekommen sollte. Das wird mit Sicherheit keinen Konsens finden. Keine Regierung, keine Nation stimmt der Selbstkastration freiwillig zu. Und selbst wenn es diesen Kommissar eines fernen Tages doch gäbe, könnte er die griechischen, portugiesischen, süditalienischen, spanischen oder gar französischen Realitäten niemals ändern. Ein solcher Kommissar würde zwar wie ein knapp vor der Niederlage stehender Kriegsherr Befehle ausschicken – mit dem Verhalten an den fernen Fronten werden diese Befehle aber keinen Bezug mehr haben.

Der Gedanke, die Europäer auf diese Weise ändern zu können, ist so abstrus, dass man ihn besser gleich bleiben lassen sollte, um nicht noch mehr Schaden anzurichten.

Aufsicht über 6000 Banken

Er ist ebenso realitätsfremd wie ein anderer aktueller Schwerpunkt der europäischen Politik, der ebenfalls von Berlin forciert wird: Es ist der Versuch, eine zentrale Bankenaufsicht über – mindestens – 6000 Geldinstitute zu schaffen. Das, woran nationale Notenbanken und Aufseher scheinbar gescheitert sind, soll nun eine ferne Zentrale erreichen, welche die näheren Verhältnisse nicht kennt: ein seltsamer Gedanke. Man glaubt aber ernstlich, auf diese Weise den Crash von Banken verhindern zu können. Das wird aber nur als müder Scherz in die Bücher der Wirtschaftsgeschichte eingehen.

Denn erstens wird es immer Crashs geben. Das ist in der Welt der Banken so natürlich wie in jener der Baufirmen oder Computerhändler. Solange es kein Mittel gibt (und es gibt keines), beispielsweise den Verfall von Immobilienpreisen auf ein Viertel des einstigen Wertes oder noch weniger zu verhindern, werden Banken gegen die Wand donnern.

Denn zweitens gibt es nach wie vor keinen Konsens, wer im Fall eines Bankencrashs zumindest zum Teil gerettet werden soll. Konsens herrscht nur, dass die Eigentümer der Bank nicht gerettet werden. Aber das ist nur der kleinste Teil der Antwort.

Gegen einen sofortigen Jobverlust für alle Angestellten empören sich hingegen die Gewerkschaften und Parteien; daher sind auch in Österreich alle Dienstverträge bei der Hypo Alpen-Adria oder der Volksbank weitergelaufen. Genauso fragwürdig ist aber auch die sogenannte Einlagensicherung. Warum soll jemand, der Zinsen für sein Geld kassiert, im Gegenzug nicht auch ein Risiko tragen? Und warum soll er auf Kosten der anderen Sparer und Steuerzahler voll gesichert werden?

Der Hauptgrund, warum Banken „gerettet“ werden, sind aber die Großeinleger. Das sind nämlich meistens Unternehmen, die bei einem Platzen ihrer Einlagen selber konkursreif wären. Was wiederum Tausende Arbeitsplätze kosten würde. Und das wollen wiederum die Parteien ganz und gar nicht.

Von der Regulierung zur Verwirrung

Seit 2008 liegen diese Fragen auf dem Tisch. Und bis heute gibt es keine Antwort. Statt dessen werden ständig neue und widersprüchliche Regulierungs-, also vor allem Eigenkapitalanforderungen an die Banken formuliert. Einmal von der EZB, einmal von der Basler BIZ, einmal von den nationalen Aufsehern, einmal von Zentralbanken, einmal von Gesetzgebern.

Damit erreicht man nur eines: Verwirrung und eine enorme Bürokratie zur Administration all dieser Regulierungen. Denn in Wahrheit sind erhöhte Eigenkapitalanforderungen sehr zweischneidig: Sie erhöhen zwar die Sicherheit einer Bank (ohne jemals einen Crash ganz verhindern zu können). Sie schaden aber andererseits der Wirtschaft.

Denn logischerweise müssen die Banken bei strengeren Eigenkapitalregeln auf die Finanzierung von so manchen spannenden Investitionen verzichten. Denn jede Investition hat ein Risiko, ist also spekulativ. Jede Investition aber, die ausbleibt, reduziert die Zahl der Jobs. Daher will die Politik einen weiteren Rückgang der Investitionen in Zeiten wie diesen um jeden Preis vermeiden. Regulierung kostet Arbeitsplätze. Mit anderen Worten: Wer ist stärker? Ich oder ich?

Außerdem müsste eine Risikoreduktion bei den Banken noch ein weiteres Element beinhalten: eine Reduktion der Gelder, die an Staaten verliehen werden. Das Schicksal der griechischen Anleihen hat ja bewiesen, dass auch Staatsanleihen alles andere als sicher sind. Diesen logischen Aspekt einer Regulierung will aber europaweit überhaupt niemand ernstlich angreifen.

Sicherheit ist teuer und letztlich unerreichbar

Konklusion: Wir sollten endlich begreifen, dass absolute Sicherheit gegen Krisen und Banken-Zusammenbrüche nicht möglich ist. Je mehr man diese Sicherheit erhöhen will, umso teurer wird es für uns alle. Daher führt das ganze Gerede um die Herstellung von Sicherheit durch Regulierung und Aufsicht entweder zu neuen Schäden, oder es ist ohnedies nur leeres Gerede für die Galerie.

Auf dieser Galerie sitzen wir Bürger Europas. Freilich nur solange bis sie einstürzt.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung