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Keinem Europäer ist es zu verübeln, wenn er in der Vielfalt von Gerüchten, Fakten und Meldungen rund um Griechenland und die Finanzkrise den Überblick verliert. Denn erstens haben diesen Überblick mittlerweile auch sämtliche Akteure verloren. Und zweitens wird von vielen Seiten sogar bewusst auf Widersprüchlichkeit und Verwirrung gesetzt: So glaubt man, den Widerstand der Menschen gegen Chaos und Schuldenmacherei schwächen zu können.
Einen Tag verkünden die griechische Regierung ebenso wie die Süddeutsche Zeitung definitiv, dass Griechenland eine zweijährige Fristverlängerung bekommen hat. Am nächsten Tag will wieder niemand etwas davon wissen.
Dann wird wieder verbreitet, dass nach den privaten Gläubigern Griechenlands nun auch die staatlichen zum freiwillig-unfreiwilligen Haarschnitt antreten werden. Am nächsten Tag wollen viele Länder auch davon nichts wissen.
Dann erklärt wieder die Europäische Zentralbank: Wenn schon Haarschnitt, dann aber bitte ohne die EZB. Denn diese dürfe aus rechtlichen Gründen da leider nicht mitmachen. Nur liegen halt die meisten griechischen Papiere schon bei der EZB.
Dann wird wieder das Projekt eines Sperrkontos als Lösung verkündet, auf dem die Griechenland-Hilfe landen und nur Schritt für Schritt losgeeist werden soll (dabei hatten wir geglaubt, dieses Modell wäre schon seit zweieinhalb Jahren in Kraft).
Dann heißt es wieder: Nix ist fix, man müsse ja erst auf den Bericht der Troika warten. Dabei weiß alle Welt, dass die Troika-Experten letztlich nur auf die Weisungen der politischen Instanzen Europas warten, was sie denn am Schluss „berichten“ und empfehlen sollen. An die Unabhängigkeit der in Athen abgestiegenen Experten von IWF, EZB und EU glaubt niemand mehr. Aber auch sonst will niemand mehr Verantwortung für Entscheidungen tragen.
Nichts von dem, was in den letzten Wochen als definitiv gemeldet worden ist, ist also sicher. Genauso möglich ist aber, dass alles realisiert wird. Denn niemand glaubt so recht, dass Deutschland diesmal – endlich – Nein zu weiteren Belastungen sagen wird.
Allerdings hat der Widerstand vor allem Wolfgang Schäubles gegen weitere Konzessionen an Athen erstaunlich stark zugenommen. Dabei war Schäuble einst der erste deutsche Spitzenpolitiker, der sich 2010 für Hilfen an Griechenland ausgesprochen hat.
Den deutschen Finanzminister treiben bei seinen derzeit harten Worten gegen Griechenland wohl drei Motive: Erstens scheint inzwischen auch er wirklich empört und enttäuscht, weil keine der griechischen Zusagen voll umgesetzt worden ist. Zweitens hat das deutsche Parlament in Zusammenwirken mit dem Bundesgerichtshof den Spielraum der Regierung für die Vergabe weiterer Kredite und Haftungen deutlich verengt. Und drittens muss Deutschland spätestens im September wählen: Da hat die CDU/CSU nur eine einzige Chance: sich als Hort der Stabilität und Verteidigerin der Sparguthaben gegen die deutlich stärker schuldenwilligen Rot-Grünen zu profilieren.
Aber dennoch wird Deutschland wohl am Ende gegen die Interessen seiner Bürger handeln und mit irgendwelchen neuen Hilfen noch einmal einen griechischen Crash verhindern. Denn es steht in Europa sehr isoliert da, was gerade Deutschland vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit gar nicht gern hat. Inzwischen ist ja sogar Österreichs größere Regierungspartei mit wehenden Fahnen ins Noch-mehr-Schulden-für-Griechenland-Lager gewechselt, obwohl die Alpenrepublik eigentlich die gleichen Interessenlage wie Deutschland hätte.
Etwas anderes wird die deutsche Entscheidung noch stärker beeinflussen: Ein griechischer Zusammenbruch und die daraus folgenden unvermeidlichen Schockwellen würden natürlich auch Deutschland unmittelbar beben lassen. Und das will man in einem Wahljahr unbedingt vermeiden.Vor allem würde es wieder die kritische Frage aufwerfen: Warum haben Schäuble und Angela Merkel nicht schon im Mai 2010 Nein zu den auch damals schon wirkungslosen, ökonomisch unsinnigen und EU-vertragswidrigen Krediten und Haftungen gesagt? Damals wären die Auswirkungen noch viel leichter zu bewältigen gewesen, bevor Billionen bei sinnlosen Hilfsaktionen verbrannt worden sind.
Man versteht die Situation in Griechenland wohl am deutlichsten, wenn man sich den jüngsten Vorfall bewusst macht: Ein Journalist wurde festgenommen, weil er die Namen von mehr als zweitausend Griechen veröffentlicht hat, die offensichtlich unversteuerte Gelder in die Schweiz überwiesen haben. Wohlgemerkt: Ihm wird nicht in der Schweiz der Prozess gemacht, wie jenen Datendieben, die das dortige Bankgeheimnis verletzt haben, sondern in Griechenland, also in jenem Land, das durch die Steuerhinterziehungen schweren Schaden erlitten hat, und nicht durch deren Veröffentlichung. In Deutschland hingegen erhalten solche Datendiebe eine saftige Belohnung, wenn sie deutsche Steuerflüchtlinge verraten. Der griechische Journalist hingegen hat keineswegs von irgendwem Geld verlangt oder selbst Daten aus einem Computer entwendet, sondern er hat die ihm zugespielten Namen angesichts der Untätigkeit der Behörden einfach veröffentlicht.
Was den griechischen Fall noch schlimmer macht: Diese Namensliste ist der griechischen Regierung schon vor zwei Jahren von der damaligen französischen Finanzministerin übergeben worden. Jedoch hat jede der in Athen rasch wechselnden Regierungen diese Liste wie heiße Erdäpfel an die nächste weitergereicht, ohne einzugreifen. Ebenso haben Justiz und Finanzbehörden bis heute geschlafen. Schnell waren die Behörden nur bei der – vorübergehenden – Festnahme und bei der nun folgenden Anklage gegen den Journalisten. Vorwand: Er habe den Datenschutz verletzt.
Das bestätigt nicht nur neuerlich, dass der Datenschutz weltweit primär zur Tarnung von Gaunereien dient. Das zeigt vor allem, dass Griechenland auch in den letzten Jahren und Monaten nie ehrlich gespielt hat. Nicht die Täter, sondern ein Aufdecker werden verfolgt. Offenbar stehen auf dieser Liste Persönlichkeiten und Freunde aus allen politischen Lagern. Anders lässt sich dieses skandalöse Verhalten nicht erklären.
Tatsache ist auch, dass Griechenland viele der sonstigen Reformzusagen nie erfüllt hat, die es der Troika und den europäischen Partnern gegeben hat. Experten aus dem Kreis der Troika sprechen davon, dass lediglich 60 Prozent der längst zugesagten Gesetze auch beschlossen worden seien. Von der trägen Umsetzung durch widerwillige Beamte und Richter gar nicht zu reden. Die gesamte Konstruktion „Wir helfen im Gegenzug für Reformen“ ist kollabiert. Die griechischen Reformen haben in Wahrheit gutteils aus levantinischen Schmähs und leeren Fassaden bestanden.
Es wurden nicht wie versprochen zum versprochenen Zeitpunkt (Ende 2011) 30.000 Beamte abgebaut. Es werden bis heute 90.000 Pensionen für mutmaßlich tote Griechen bezahlt. Die Gesetzgeber leisten weiter hinhaltenden Widerstand gegen die geforderte Aufweichung des Mindestlohns, gegen die Erleichterung von Kündigungen, gegen die Aufhebung von ständischem Berufsschutz. Es ist bisher nicht einmal gelungen, die Verpflichtung der Arbeitgeber zu einer zehnprozentigen Lohnerhöhung bei Heirat abzuschaffen. Auch dürfen Arbeitgeber weiterhin die Tariflöhne nicht einmal auf Grund einer Vereinbarung mit ihren Angestellten unterschreiten. Überdies besteht Athen darauf, dass die – schon mehrfach zugesagten – Privatisierungen dennoch vom Parlament gebilligt werden müssen.
Das ist alles andere als eine Reformpolitik,die die griechische Wettbewerbsfähigkeit und Glaubwürdigkeit wiederherstellen könnte. Da wird auch weiterhin niemand investieren.
Gewiss könnte es sich Europa leisten, trotz allem die Griechen auf Dauer durchzufüttern. Auf diese Konsequenz laufen beispielsweise die Forderungen des mit Hunderttausenden Steuer-Euros und Geldern aus dem Spielcasino-Milieu gefütterten Salon-Schriftstellers Robert Menasse hinaus (Dass der von jeder ökonomischen Ahnung freie Autor jetzt auch noch von den ÖVP-Landtagsabgeordneten zu einem Vortrag zu diesem Thema eingeladen worden ist, macht einigermaßen fassungslos).
Griechenland alleine ist in der Tat freilich die ganze Aufregung nicht wert: Aber jede Entscheidung zu diesem Land hat automatisch Auswirkungen auch auf Spanien, Portugal, Italien und wohl auch Frankreich sowie etliche andere Länder. Diese Auswirkungen sind freilich sehr widersprüchlich: Denn einerseits würde ein Fallenlassen Griechenlands auch dazu führen, dass alle Geldgeber sehr kritisch schauen, ob man nicht bei den anderen Schuldenstaaten noch viel vorsichtiger werden müsste. Das würde deren Zinsniveau wohl signifikant erhöhen.
Aber andererseits wären neuerliche Konzessionen an Griechenland auch ein fatales Signal an die Schuldnerländer selber: Keine der dortigen Regierung würde dann noch die versprochenen Reformen im eigenen Land durchbringen. Die Welle der Generalstreiks spricht ja schon eine deutliche Sprache des großen Widerstandes. Auch die jeweiligen Parlamentsabgeordneten – die ja wiedergewählt werden wollen – werden sich mit Händen und Füßen gegen weitere unpopuläre Beschlüsse wehren, wenn ihnen nicht das Messer des drohenden Staatsbankrotts am Hals sitzt. Und offenbar ist die Mehrheit der Wähler ja überall der Meinung, dass man ruhig weiter über seine Verhältnisse leben könne. Hat sich doch noch immer jemand gefunden, der die Zeche zahlt.
Wenn nach Griechenland auch in all diesen romanischen Ländern nichts reformiert wird, dann ist Euroland mit absoluter Sicherheit an seinem katastrophalen Ende angelangt. Denn was bei Griechenland noch irgendwie zu stemmen wäre, ist in der Summe dieser Länder absolut unmöglich.
So erklären sich die verzweifelten Versuche vor allem der Deutschen, die Griechen doch noch zu wirksamen Reformen zu zwingen. Die Deutschen spüren erstmals nun auch für sich die Gefahr eines schlimmen Endes und werden immer zögerlicher. Die Griechen auf der anderen Seite hingegen fühlen sich sicher, dass sie letztlich „gerettet“ werden. Darauf bauen sie – ohne Rücksicht darauf, was das für das ganze Euroland bedeutet.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.